Vor dem Dorf Gülpe erstrecken sich Wiesen bis zum Horizont, durchzogen von Havelkanälen und dem Gülper See. Das Feuchtgebiet ist dünn besiedelt. Um die 150 Menschen leben in Gülpe, in dem es keinen Laden gibt, dafür aber die „Kreativoase“.
Eine Pension, die liebevoll von Jordis Hammer und ihrem Mann Ingolf geführt wird. Außer drei Doppelzimmern und einem Ferienhaus beherbergt die alte Schmiede ein großes Atelier, in dem die Künstlerin Aquarell- und Acryl-Malkurse anbietet.
Nach vielen Urlauben in der Region fanden sie 2008 die alte Schmiede in Gülpe. Verrußt, verschmutzt, sanierungsbedürftig. Das hielt das Ehepaar nicht ab: „Die heutigen Pensionszimmer waren früher die Werkstätten.“
Dächer und Wände sind geblieben. Innenausbau und Fenster wurden gemacht. Moderne, farbenfrohe Möbel reingestellt, Terrassen angelegt mit freiem Blick über Felder und Wiesen, der Innenhof mit rustikaler Sitzecke bestückt. Seit 2011 kommen die malfreudigen Gäste, erholen sich in der Idylle, verwirklichen sich unter der Regie von Jordis Hammer.
Weshalb inspirieren Gülpe und Strodehne derart? „Hier existiert eine lebendige Natur“, schwärmt Jordis Hammer von ihrer Wahlheimat. Wir spazieren am Gülper See entlang. Die Malerin zeigt auf eine kleine Landzunge: „Jedes Mal sieht eine Stelle anders aus, und man gewinnt andere Eindrücke, je nachdem wo man steht, ob es Frühjahr oder Herbst ist, wie das Licht fällt.“
Kein Motoren-Geräuschband ist zu hören, keine Autobahn stört in der Ferne. Es rauscht in den Baumkronen. Hunderte von Vögeln zwitschern, schwingen sich übers Wasser. Das Naturschutzgebiet Gülper See ist im Frühjahr ein Brut-Dorado. Reiher, Kraniche, Wildgänse, Sing- und Zwergschwäne tummeln sich hier.
Ein einzigartiger Nachthimmel
Menschen kommen nur etwa 100 Meter an den See heran. Er ist umzäunt. Herrlich, diese Ruhe, diese Wiesen, Wälder und Seen, diese Weite. Es scheint, mehr Himmel, mehr Licht, mehr Wolkenspiele, intensivere Blaugrün-Mischungen und Sonnenuntergänge als anderswo zu geben. Und später zeigen sich Sternennächte, die inspirieren.
Bisher ist der einzigartige dunkle Nachthimmel über dem Westhavelland weniger bekannt gewesen. Zustande kommt er aufgrund der geringen künstlichen Beleuchtung in den winzigen märkischen Dörfern.
„Die Kulisse des besonders nachtdunklen Naturparks Westhavelland ist seit Anfang Februar Deutschlands erster offizieller Sternenpark“, erklärt Kordula Isermann von der Naturparkleitung. „40 Quadratkilometer ist die Kernzone groß und reine Natur. Sie erstreckt sich zwischen den Orten Parey und Gülpe und vom Gülper See bis zum Hohennauener See und Witzker See.“
Sternegucken ohne Ende. Naturparkführerin Marion Werner begrüßt uns am Abend dazu. Nach einer kurzen Astro-Kunde geht es in Strodehne los. Mit Fernglas und Laser ausgestattet, staksen wir Richtung Gülper See zum Gahlberg. Die eigene Hand vor Augen sehen? Fast unmöglich. Kein Licht verschluckt die Sterne. Vielmehr tanzen sie wie ein Glitzergewebe über den Himmel.
„Dunkelheit ist gesund“
„6000 erkennen wir, 3000 davon bei uns auf der nördlichen Halbkugel“, erfüllt Marion Werners Stimme die Stille. „Sirius ist der hellste Stern.“ Wir hören, gucken, bewundern. „Dunkelheit ist gesund“, weiß die Heilpraktikerin, die 40 Jahre in Berlin lebte, bevor sie vor zehn Jahren hierher aufs Land zog.
„Dunkelheit setzt vermehrt Melatonin frei. Das Hormon fängt freie Radikale, regt den Haarwuchs an, beugt Schlaganfälle vor, verlangsamt die Alterung.“ Vielleicht strömen künftig mehr gesundheitsbewusste Menschen ins Westhavelland. Astronomen und Sterneninteressierte kommen bereits in Scharen. Mindestens einmal im Jahr tauschen sie sich in der „Kreativoase“ zum Astro-Treff aus. Ende August findet der nächste statt.
Touristische Angebote sind ansonsten noch rar gesät. Die Geheimtipps rundum Gülpe muss man sich von Einheimischen verraten lassen. Da wäre Fischer Schröder in Strodehne. Der einzige seiner Zunft, der noch im Gülper See etwas fangen darf und seine Leckerbissen auf Brötchen verkauft.
Dann leckt man hier noch das „beste Eis der Welt“ im Eiscafé Schwarz im beschaulichen Steckelsdorf. Auch das Städtchen Rathenow ist einen Ausflug wert oder das schöne Dorf Semlin am Hohennauener See.
Wildromantische Einsamkeit
Doch vor allem diese wildromantische Natur, die Einsamkeit und dunklen Nächte muss man einmal erlebt haben. Als wir gegen 21 Uhr von der Sternenwanderung in Strodehne nach Gülpe zurückfahren, müssen wir einmal um den ganzen Gülper See.
Die Finsternis ist der ständige Begleiter beim Blick aus dem Seitenfenster des Autos rechts. Kein Licht flackert am Wasser oder Horizont. In Rhinow scheinen die etwa 1700 Einwohner schon zu schlafen. In Wolsier und Prietzen, wo wir jeweils mit der Kirche ums Dorf fahren, ist es nicht anders.
Angekommen in der „Kreativoase“ knipsen wir die Lampen gleich wieder aus. Es ist stockfinster im Zimmer. Wie ungewohnt. In der Stadt strahlt ständig irgendwo eine Lichtquelle. Hier nicht. Das ist aufregend und anregend zugleich.
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von der „Kreativoase“.