Es ist noch nicht allzu lange her, da lag Heiligendamm, das großherzoglich-mecklenburgische Sommerparadies in ostdeutscher Verwahrlosung und Gräue am Ufer der Ostsee. Doch dann kam die Fundus-Gruppe und möbelte das verlassene Idyll mit vielen Millionen auf. Der Charme von einst ist zwar weg. Aber die Farbe der “Weißen Stadt am Meer“ ist makellos wiederhergestellt.
Die Bauchmuskeln zucken verschreckt zusammen, als das kleine Leinensäckchen den Nabel berührt. Aber nur kurz, denn schon bald krabbelt Gänsehaut die Wirbelsäule hoch, während die Wärme des Säckchens das Chakra der Körpermitte flutet. Wer die Augen schließt, kann den Lavendelduft beinahe schmecken.
Der Masseur drückt das Säckchen bei der "Manipura"-Behandlung noch ein bisschen tiefer. Die angespannten Muskeln geben willig nach. Die Erinnerung an den Raum im Spa des "Grand Hotels Heiligendamm" verschwimmt - und an dem Ort zwischen Träumen und Wachen rauscht nur noch die Ostsee, die ihre Wellen an den hellen Sandstrand spült.
Muße zum Relaxen
Wer nach Heiligendamm kommt, sollte viel Muße zum Relaxen mitbringen und das 3000 Quadratmeter große Spa ausgiebig nutzen. Denn die Philosophie von Erholung und Entspannung verfolgt die "Weiße Stadt am Meer" schließlich schon seit mehr als 200 Jahren. Damals gebot der Leibarzt des Herzogs Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin seinem Patienten, der Gesundheit wegen regelmäßig in die Ostsee zu steigen. Gäste wie Mendelssohn Bartholdy oder Rilke folgten und kurten im ersten Seebad Deutschlands. Im Sinne des Leitspruchs "Freude empfängt Dich hier, entsteigst Du gesundet dem Bade", der noch in lateinischen Lettern am Kurhaus prangt. Nicht umsonst bietet nebenan eine Klinik "Medical Wellness" an, damit auch vom Burn-out-Syndrom Bedrohte bestens umsorgt werden.
Natürlich geht es in Heiligendamm aber auch noch um etwas ganz anderes - nämlich um Luxus. Dem Badeort, knapp drei Autostunden von Berlin entfernt, haftet seit seiner Gründung 1793 der Ruf des Pompösen an. Dabei ist das Areal trotz G-8-Gipfels im Jahr 2007 und der damit verbundenen 81-Millionen-Euro-Investition noch nicht ganz wiederhergestellt. An der Promenade stehen mehrere Villen, aus deren bröckelnden Fassaden sich die kräftezehrenden DDR-Jahrzehnte ablesen lassen. Auch ein Hotel, das so lange ungepflegt blieb, braucht in einem Reizklima viel Zeit zur Regeneration.
Das Gefühl, auf einer Baustelle Urlaub zu machen, kommt dennoch nicht auf. Das liegt vor allem an dem Ensemble aus sechs strahlend weißen Häusern. Seit Februar 2009 ist das Haus nicht mehr Mitglied der Kempinski-Gruppe; es vermarktet sich jetzt in Eigenregie unter dem Dach der Leading Hotels of the World. Grandhotel-Atmosphäre ist also weiterhin gegeben.
Schlicht und geradlinig
Das Luxus-Image überrascht ein wenig beim Betreten der Räume, denn die Einrichtung wirkt zwar gehoben und elegant, aber nicht gerade feudal. Stattdessen zeigt sich eine Schlichtheit und Geradlinigkeit, die der Rauheit des Nordens entspricht, das Beige des Sands und das Grün des Gespensterwaldes aufgreift, der sich an die Bucht schmiegt. An kaum einer Stelle der Ostsee harmonieren Kontraste so schön wie hier: Während die Stöckchen unter den Schritten im Wald knacken, blitzt zwischen den Bäumen grau schäumendes Meer auf.
Beschaulich geht es in dem Ostseebad zu, außer vielleicht, wenn "Molli" mal so richtig Dampf macht. Die Bäderbahn "Molli" verbindet Heiligendamm mit Bad Doberan und dem Ostseebad Kühlungsborn. Jede Stunde hält die Dampfeisenbahn in der Nähe des Hotels. Wer nach Bad Doberan fährt, kann dort das Münster bestaunen, das als das bedeutendste mittelalterliche Bauwerk in Mecklenburg-Vorpommern gilt. Auf halbem Weg nach Heiligendamm liegt die Station Pferderennbahn. Auf der ältesten Rennbahn des europäischen Kontinents - das erste Rennen wurde 1822 ausgetragen - finden mittlerweile wieder regelmäßig Galopprennen sowie Ausstellungen und Konzerte statt.
Kinderclub auf drei Etagen
Man muss im "Molli" natürlich nicht nur im Abteil sitzen, sondern kann sich innerhalb von zehn Tagen zum Ehrenlokführer mit Zertifikat ausbilden lassen. Ein besonderer Spaß für die Kleinen. Und für die wird auch im "Grand Hotel" gesorgt. Im Kinderclub werden auf drei Etagen diejenigen unterhalten, die sonst ständiger Obhut und Aufmerksamkeit bedürfen. Mit der Westernstadt im Kleinformat, mit Kinderkino und -restaurant oder Zirkuszelt vergnügen sich die Kleinen auch einmal ohne Eltern. Und diesen ist damit endlich einmal eine Pause zum Durchatmen vergönnt, um im Strandkorb zu kuscheln.
Oder im Gourmet-Restaurant "Friedrich Franz", in dem der mit einem Michelin-Stern und 16 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnete Ronny Siewert am Herd steht, ein Candle-Light-Dinner ohne Kinderteller zu genießen. Oder auf dem Balkon einfach ein Glas guten Rotwein zu trinken und dabei den Horizont zu suchen. Oder auf der Spa-Terrasse im Bademantel die letzten Strahlen der Sonne auf den Wellen tanzen zu sehen. Und sehr schnell merken die Gäste, was den bislang wahren Luxus an Heiligendamm, in diesem Schutzwall gegen Stress und Strapaze im Alltag, ausmacht: Ruhe und Sorglosigkeit - zumindest für ein paar Stunden.