Skurriler Provinz-Wahlkampf bei Kanzlerwetter: Doris Schröder-Köpf sammelt in Hannover Müll. Und zwar dort, wo das eigentlich gar nicht nötig ist.
Schon wieder Hannover. Bundesweit strahlt die Sonne aus allen Knopflöchern, in Berlin hat der Rostocker Joachim Gauck eine bemerkenswerte Premieren-Rede als Präsident gehalten, Wolfgang Niedecken (Köln), Udo Lindenberg (Hamburg) und Peter Maffay (Mallorca) recken einem ihre Alters- Echos entgegen.
Dann wird sogar noch die Zeit verrückt um eine Stunde. Und wohin schickt einen die Redaktion? Nach Hannover.
Dabei hätte man vermuten können, dass es nun allmählich mal vorbei ist mit dem großen Niedersachsen-Rausch, mit der Ballung von Macht und Möglichkeiten, von Sieg und Neid und Tod und Teufel rings um diesen künstlich angelegten Tümpel namens Maschsee.
Gerhard Schröder – in Rente , Christian Wulff – in Ehrenpension, Carsten Maschmeyer, Teilzeit-Literat und Klüngelmeister aller Klassen, weilt mittlerweile mehr in München mit der Vroni.
Kamera an am Fiedlerplatz
Lena hat Reißaus genommen. Teresa Enke, die tapfere, Ehefrau des tragisch verstorbenen Nationaltorhüters Robert Enke, hat der Stadt inzwischen den Rücken gekehrt und lebt jetzt ebenfalls in Köln. Ihr Bauernhaus vor den Toren versuchen die Immobilisten von Engel und Völkers gerade für 770.000 Euro weiterzuverkaufen. Nur Mirko Slomka hat noch Vertrag. Also: Licht aus an der Leine.
Dachte man. Stattdessen: Kamera an am Fiedlerplatz. Sonnabendmorgen um zehn, Stadtteil Döhren, der neue Hotspot der Hannover-Saga. Versammelt haben sich: Knapp 20 Sozialdemokraten und gut 20 Journalisten – Fotografen, Schreiber, Kameraleute sowie einer für den guten Ton, den sich nur noch der NDR leisten kann.
Dazu kommt Doris Schröder-Köpf, frisch gekürte Landtagskandidatin für den Wahlkreis 24. Am vergangenen Mittwoch hat sie sich, nach einem ziemlich abenteuerlichen Abstimmungsprocedere, gegen eine altgediente Genossin durchgesetzt.
An diesem Sonnabend ist so etwas wie ein kleiner Wahlkampfauftakt in Hannover-Döhren, der erste öffentliche Auftritt als Politikerin: "Hannover putzmunter" heißt die Frühjahrsaktion des örtlichen Zweckverbands. Die SPD-Döhren sammelt mit, also ist auch die prominente Kandidatin dabei, also gucken wieder alle hin. So ist das Geschäft.
Proper und akkurat und fein saniert
Auf den ersten Blick muss man sagen: In Döhren ist so eine Müllsammelaktion gar nicht zwingend geboten. Der kleinbürgerliche Stadtteil liegt so proper und akkurat und fein saniert in der hannoverschen Frühlingssonne, dass ein Hamburger oder Berliner im Leben nicht darauf kommen würde, dass man hier mal aufräumen müsste.
Selbst Hundehaufen sind rar, die Bürgersteige so sauber, ordentlich, fast wie geleckt. Döhren, Schweiz, nur die Mülleimer sind ein bisschen zu voll. Man könnte eigentlich gleich sitzen bleiben und Eis essen bei "La Gelateria", gleich hier am Fiedlerplatz.
Macht man natürlich trotzdem nicht. Erst werden die Fiedlerplatz-Rabatten nochmal gefilzt mit grünem Gummihandschuh, aber das geht schnell. Dann teilen sich die Genossen auf.
Drei Mann an den nahe gelegenen Bahndamm, drei zum Grünstreifen zwischen den Straßenbahngleisen, drei Richtung Ziegelstraße. Doris Richtung Ziegelstraße. Journalisten Richtung Ziegelstraße.
Ja, was soll man da sagen?
Es ist merkwürdiger Tross, in dem sich eine kleine, sehr zierliche Frau in Jeans, Karohemd, Steppweste nach jeder einzelnen Kippe beugt, während drum herum die Kameras klicken, Notizen gemacht werden, wichtige Anrufe einlaufen.
Wie finden Sie das? Fragt einen das Fernsehteam. Ja, was soll man da sagen? So ist es nun mal, wenn ein Mensch, den alle aus dem Fernsehen kennen, etwas Neues wagt.
Schon am alten Döhrener Friedhof haben sich die Dinge ein wenig beruhigt. Doris Schröder-Köpf findet eine Packung Eistee, die sie gleich in die rote Putzmunter-Mülltüte stopft, ganz ohne fotografiert zu werden.
Für jede gefüllte Mülltüte gibt der Zweckverband Abfallwirtschaft einen Euro für den sozialen Zweck. Hannover-weit kommt da einiges zusammen an diesem Wochenende.
Doris Schröder-Köpf wird in den kommenden Wochen und Monate viele solcher bodenständigen, lokalen Beweise bürgerlichen Engagements liefern. Die Kandidatur der Ehefrau des früheren Bundeskanzlers ist ja nicht unumstritten in der hiesigen SPD.
Ein paar Schoten über Schröder-Köpfs Rivalin
Der junge Ortsvereinsvorsitzende Angelo Alter hat nach der Wahl Schröder-Köpfs ein Dutzend üble Schmähmails von seinen Genossen erhalten, mit vollem Namen, nicht anonym.
Alter, der sich schon vor der Delegiertenabstimmung und gegen das knappe Votum seiner Basis für Schröder-Köpf eingesetzt hatte, gilt den gewerkschaftsorientierten Unterstützern ihrer einstigen Rivalin jetzt als übler "Verräter".
Es geht zumindest hinter den Kulissen der Döhrener SPD derzeit einigermaßen wild zu. "Das muss sich jetzt erst mal beruhigen", findet Alter.
Findet auch ein Trupp schon etwas angegrauter Genossen, der sich mittlerweile im Eiscafè eingefunden hat und sich ein paar Schoten über Schröder-Köpfs Rivalin erzählt, die ja selbst nicht zimperlich gewesen sei in der Wahl ihrer Mittel.
Die eigentlich versprochen hatte, schon vor zehn Jahren abzutreten, dann aber den Ausgang nicht gefunden hat. "Pattex am Hintern." Wie das eben so geht, längst nicht nur unter Parteifreunden, wenn einer weg ist, der sonst immer zu lange da war.
Eis für alle!
Doris Schröder-Köpf ist mittlerweile auch wieder auf dem Fiedlerplatz angekommen. Zwei, drei Müllsäcke hat sie zusammenbekommen, was sehr ordentlich ist, angesichts der sauberen Verhältnisse hier.
Sie spendiert jedem eine Kugel Eis, berichtet, dass Ehemann Gerd heute mit den Kindern in den Zoo gegangen ist und erzählt auch, was sie sonst noch so vor hat in den kommenden Wahlkampfmonaten bis zum 20. Januar 2013, zur Niedersachsenwahl.
Ein Büro an der Hildesheimer Straße hat sie schon ausgesucht, aber nicht gemietet. Eine junge Genossin soll den Internet-Auftritt betreuen, der private VW-Bus, eine Caravelle ("mein Lieblingsauto") soll zum Wahlkampfmobil umgebastelt werden.
Schröder-Köpf, da kann man sich sicher sein nach diesem Probelauf, wird eine sehr bodenständige Landtagskandidatin sein. Ihr Mann, der Altkanzler und Pipeline-Aufsichtsrat, so viel Distanz muss sein, wird darin keinen Platz finden.
Das passt so wenig wie das Karstadt-Aufsichtsratmandat, das Schröder-Köpf in absehbarer Zeit wohl ebenfalls niederlegen wird.