Wladimir Putin sei ein “lupenreiner Demokrat“, findet Altkanzler Gerhard Schröder (SPD). Politiker von CDU, FDP und Grünen reagieren empört auf diese Bewertung.
Nein, sagte Gerhard Schröder, seinem Freund Wladimir Putin habe er noch nicht zum Wahlsieg gratuliert. Er werde das aber nachholen. Denn er halte Stabilität in Russland für wichtig und habe sich deshalb gewünscht, dass Putin im ersten Wahlgang zum Präsidenten gekürt werde.
Soweit kann man die Äußerungen des ehemaligen Bundeskanzlers im Deutschlandfunk für Realpolitik halten, frei nach dem Motto: Werte wie Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie folgen der gewünschten Stabilität dann irgendwann schon. Aber Schröder (SPD) war noch nicht am Ende und führte weiter aus: Er habe nichts von seinem 2004 geäußerten Satz abzustreichen, Putin sei ein lupenreiner Demokrat .
"Ich glaube, dass er ernsthaft sein Land auf eine wirkliche Demokratie hin orientiert", sagte Schröder. Über den Verlauf der Wahlen habe er keine eigenen Informationen: "Aber wenn ich die eine oder den anderen aus Deutschland als professioneller Wahlbeobachter, Frau Beck oder wer auch immer das ist, so sehe und reden höre, dann bin ich nicht so ganz sicher, ob da nicht Vorurteile größer sind als Urteile."
"Wes Brot ich ess, des Lied ich sing"
Das zielte auf die von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nach Russland entsandten Wahlbeobachter, zu denen auch die Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck von den Grünen und Karl-Georg Wellmann (CDU) gehörten. Die OSZE hatte kritisiert, dass die Wahlen weder gerecht noch fair verlaufen seien. In jedem dritten Wahllokal seien bei der Auszählung Unstimmigkeiten festgestellt worden.
Demokratische Standards seien nicht voll erfüllt worden. Die Bedingungen seien auf Putin zugeschnitten gewesen. "Der zentrale Punkt bei Wahlen ist, dass ihr Ausgang ungewiss sein sollte", sagte der OSZE-Beobachter Tonino Picula. Dies sei nicht der Fall gewesen.
Marieluise Beck, eine ausgewiesene Russlandkennerin, sagte Morgenpost Online, sie wolle nur mit einem Satz auf Schröders Vorwürfe antworten: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing." Das darf als Anspielung auf die berufliche Tätigkeit des Altkanzlers verstanden werden, der Vorsitzender des Aktionärsausschusses eines Joint Ventures ist für Planung, Bau und Betrieb der Gaspipeline durch die Ostesse mit Namen Nord Stream.
Daran ist der russische Gasmonopolist Gazprom mit 51 Prozent beteiligt. Die BASF-Tochter Wintershall und die E.on Ruhrgas AG halten je 15,5 Prozent. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe nannte Schröder bei "Spiegel online" sogar "Putins bestbezahlten Minnesänger".
Kein organisierter, flächendeckender Betrug
Regierungssprecher Steffen Seibert gab sich zurückhaltender. Er beschränkte sich darauf die Vorwürfe an die OSZE zurückzuweisen: "Die Bundesregierung hat überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass die OZSE-Beobachter durch Vorurteile gelenkt worden sein könnten. Sie ist im Gegenteil der Meinung, dass deren Befunde ernstgenommen werden sollen."
Die deutsche Regierung, so Seibert weiter, setze außerdem darauf, dass die russische Regierung die Unregelmäßigkeiten, die bei der Wahl festgestellt wurden, abstellt. Auch Wahlbeobachter Wellmann schlug einen gemäßigten Ton an. Die OSZE habe die Wahlen sehr differenziert bewertet, sagte er Morgenpost Online.
Es habe keinen organisierten, flächendeckenden Betrug gegeben, die meisten Beanstandungen des Wahlverlaufs beruhten auf organisatorisch-technischen Problemen. Klar sei: "Russland ist noch keine lupenreine Demokratie. Aber das Land hat den richtigen Weg eingeschlagen, auch wenn noch ein gutes Stück zu gehen ist."
FDP-Politiker nennt Schröders Demokratieverständnis "erschütternd"
Der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, Andreas Schockenhoff (CDU), formulierte deutlicher: "Es wundert mich, dass Herr Schröder nach diesen Duma- und Präsidentschaftswahlen immer noch von Putin als ,lupenreinem Demokraten’ spricht."
Wladimir Putin habe das Ergebnis der Präsidentschaftswahl schon vor sechs Monaten – auf dem Parteitag am 24. September 2011 – verkündet. "Das entspricht nicht meinem demokratischen Verständnis", sagte Schockenhoff.
Der außenpolitische Sprecher der FDP, Rainer Stinner, nannte "das Demokratieverständnis des Alt-Bundeskanzlers erschütternd". Putin als lupenreinen Demokraten zu bezeichnen, sei "eine Verhöhnung der Tausende von Bürgern, die unter dem repressiven System in Russland leiden. Die Diffamierung von OSZE-Wahlbeobachtern ist politisch unerklärlich und persönlich unsäglich."
Jusos attackieren den in der SPD verklärten Altkanzler
In der SPD, in deren Reihen selbst die heftigsten Schröder-Gegner von einst den Kanzler a. D. verklären, gab es nur zaghaften Widerspruch. Indirekte Kritik äußerte Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlamentes. "Die Berichte über Wahlmanipulationen in Russland haben mich sehr beunruhigt", sagte er Morgenpost Online: "Es ist wichtig, dass die Vorwürfe rasch und mit internationaler Hilfe aufgeklärt werden. Es ist jetzt an Wladimir Putin auf die Opposition zuzugehen."
Der Juso-Vorsitzende Sascha Vogt ging da weiter. "Wenn die OSZE Wahlbeobachter in Russland Fälschungen und Manipulation festgestellt haben, ist es nahezu eine Frechheit, ihnen Vorurteile zu unterstellen”, sagte Vogt Morgenpost Online.
Und der Mitgründer der Ost-SPD, Stephan Hilsberg, attackierte den Altkanzler scharf "Gerhard Schröder hat aus den Fehlern der Entspannungspolitik nichts gelernt. Er stellt die geopolitischen deutschen Interessen über die Solidarität der Demokraten." Nicht die Beobachter seien das Problem, "sondern die dort üblichen politischen Morde und die Medienzensur".
Philipp Mißfelder, außenpolitischer Sprecher von CDU und CSU, gab hingegen den Realpolitiker. Von lupenreiner Demokratie könne angesichts der Verstöße bei den Wahlen offenbar nicht gesprochen werden. Aber: "Den zum Teil religiösen Antrieb, den manche Russlandkritiker haben, finde ich bestürzend." Schließlich brauche man Russland "in der Außenpolitik auch morgen".
Mitarbeit: Torsten Krauel, Florian Kain