Der erste Coup der Piraten scheitert schon an der Pforte. In orangefarbener Latzhose, gelber Sicherheitsweste und einem Kopftuch betritt der mehr als zwei Meter große Piratenpolitiker Gerwald Claus-Brunner das Berliner Abgeordnetenhaus, in der Hand eine riesige Piratenflagge. Der Ordnungsdienst stoppt ihn, lässt die Fahne einrollen, unter Aufsicht zerlegen und in einer Tüte verstauen. „Das war mir nicht klar“, sagt der Abgeordnete Brunner. „Ich dachte, dass es einen Bonus gibt für den ersten Tag.“ Zum ersten Mal zog am Donnerstag die Piratenpartei in ein Landesparlament ein – und sorgt für gute Laune und einige Lacher.
Kamerateams drängen sich zu Beginn der konstituierenden Sitzung vor den Räumen der Piratenpolitiker. Der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira will Interviews, ein japanischer Sender überträgt später live aus der Sitzung. Brunner erklärt immer wieder: „Das mit der Flagge sehe ich ja noch ein, aber das Kopftuch trage ich seit 20 Jahren, das kommt mit rein.“ Andere meiden den Medien-Pulk. Brunners Fraktionskollege Fabio Reinhardt lässt sich auf der Herren-Toilette von seiner Freundin für seine Rede instruieren.
Brunner behält Recht, der Saaldiener lässt ihn nach kurzem Zögern mit Kopftuch in den Saal. Sein junger Mit-Pirat Simon Kowalewski, von Zeitungen wegen seines langen Barts, Brille und Hut schon als „Räuber Hotzenplotz“ tituliert, muss seine geliebte Kopfbedeckung abnehmen. Um 11.04 Uhr twittert Pirat Christoph Lauer: „Showtime“. Die Sitzung beginnt.
Die 15-köpfige Piratenfraktion nimmt auf den früheren FDP-Plätzen am rechten Rand neben der CDU Platz, unweit der Regierungsbank mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Lieber wollten die Piraten links zwischen Grünen und Linkspartei sitzen. Dafür hätte die SPD nach rechts rücken müssen. Das lehnte sie ab.
Abgesehen von Brunner stechen die Piratenpolitiker optisch kaum hervor. Einige tragen ungebügelte Hemden und Jacketts, Kowalewski bevorzugt ein schwarzes T-Shirt mit Aufdruck, Lauer kommt seriös im braun-grauen Dreiteiler, um das Handgelenk hat er eine gold-braune Krawatte gebunden. Ein junger CDU-Politiker raunt ihm im Vorbeigehen zu: „Cooler Anzug“.
Der Alterspräsident des Hauses, Uwe Lehmann-Brauns, ein etwas steifer CDU-Kulturpolitiker, spricht über Berlin und die Demokratie. Der Piraten-Mitarbeiter Philip Brechler, genannt „Plaetzchen“, twittert: „Der Alterspräsident zitiert Bob Dylan. Coole Sau!“ Susanne Graf von den Piraten ruft als jüngste Abgeordnete einen Teil der gewählten Parlamentarier auf und kündigt treuherzig an: „Michael Arndt, SPD. Ich soll dazu sagen, er ist auf dem Weg.“
Wowereit amüsiert sich
Eine kurze Debatte über die Geschäftsordnung konfrontiert die unkonventionellen Neu-Politiker mit der parlamentarischen Wirklichkeit. Ihr Antrag fordert mehr Rechte für einzelne Abgeordnete. Knappe Redebeiträge, die Mehrheit lehnt den Antrag ab.
Dieser soll im zuständigen Ausschuss diskutiert werden. Das weisen einige Piratenpolitiker in der Abstimmung ab. Wowereit amüsiert sich über die Differenzen. Fraktionschef Baum twittert ironisch und orthografiefrei: „ach, bei uns gibts gar keinen fraktionszwang. äh. ich mein fraktionsdisziplin? übarraschung!“ Die Piraten-Fans im Internet amüsieren sich.
Mit großer Mehrheit wird der SPD-Abgeordnete und bisherige Haushaltsausschuss-Vorsitzende Ralf Wieland zum Parlamentspräsidenten gewählt. Er begrüßt besonders die Piraten: „Wir alle warten mit Spannung auf ihre Vorschläge für diese Stadt.“ Das Abgeordnetenhaus habe sich schon immer um viel Transparenz bemüht. „Insofern sollten wir offen sein, vorurteilsfrei voneinander zu lernen.“
Demonstrativ setzt sich in einer Sitzungspause Dirk Behrendt, linker Rebell in der Grünen-Fraktion, auf einen leeren Platz im Piraten-Lager und plaudert mit Umstehenden. Die Stimmung ist hier entspannter als bei den zerstrittenen Grünen.
Einige Piraten rauchen draußen, Lauer stellt ein Bild seiner Krawatte ins Internet. Kowalewski twittert hungrig: „Wir dürfen hier nicht essen. :-( Kein Fruehstueck.“ Wenig später wird er zum Beisitzer im Präsidium gewählt. Kopftuch-Träger Brunner prophezeit: „In 30, 40 Jahren werden Kinder die Piratenpartei hassen, weil sie es im Geschichtsunterricht lernen müssen.“
Nach genau zweieinhalb Stunden ist der erste Parlamentsauftritt der Piraten beendet. Kowalewski schreibt: „Plenarsitzung ist schon vorbei und die Präsidiums-Schnellsitzung ebenso. Wenn das immer so fix geht. ;-).“ Andere Piraten gehen erstmal ins Parlaments-Restaurant, Club Mate trinken.