Theologen fordern ein Ende der Zölibatspflicht, ein Jesuit warnt vor “sakralem Getto“. Doch führende Kirchenrepräsentanten mauern.

Stefan Kiechle (50) überlegt kurz: „Es ist besser, ich sage vorerst nichts mehr.“ Kiechle ist der Provinzial der deutschen Jesuiten. Er hat seit seinem Amtsantritt im vergangenen Herbst viel gesagt - zu viel, wie manche Kirchenmänner meinen.

Kiechle hat für die Lockerung der Zölibatspflicht plädiert. Er hat nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals das kirchliche „Schweigekartell“ angeprangert, er hat zum Nachdenken über die Zulassung von Frauen zum Priesteramt angeregt und vor einem Rückzug ins „sakrale Getto“ gewarnt. Der ehemalige Hochschul- und City-Seelsorger steht wie sein Ordensbruder Klaus Mertes, der im Januar 2010 die sexuellen Verfehlungen am Berliner Canisiuskolleg aufdeckte, im Feuer der Kritik von konservativer und traditionalistischer Seite.

Deshalb legt er sich jetzt, von „Morgenpost Online“ befragt, eine Informationsaskese auf: Kein Wort zu der Missbrauchsthematik, keines zum heißen Eisen Zölibat! Offenbar spürt der sonst so redefreudige Jesuit den Druck, der von der Hierarchie ausgeht. Der Papstbesuch in Deutschland soll nicht mit Themen belastet werden, über die in der Kirche auf absehbare Zeit kein Einvernehmen zu erzielen ist, darauf möchten die Bischöfe hinwirken.

"Wider die Entmündigung - für eine offene Katholizität“

Davon halten 144 Theologieprofessoren aus dem deutschsprachigen Raum wenig, sie fordern in einem Memorandum eine tief greifende Kirchenreform, die Aufhebung der Zölibatsverpflichtung, Frauen als Geistliche, eine Beteiligung des Kirchenvolkes bei der Bestellung von Bischöfen und ein Ende des „moralischen Rigorismus“. Ihr Vorstoß weist Parallelen zur „Kölner Erklärung“ von 1989 auf, als mehr als 200 Theologen im Zusammenhang mit der umstrittenen Einsetzung von Kardinal Joachim Meisner als Erzbischof von Köln „Wider die Entmündigung - für eine offene Katholizität“ plädierten.

2009 und 2010 waren unruhige Jahre: Erst der Wirbel um die Pius-Brüder, dann die Sex-Affären und der Augsburger Fall Mixa. 2011, im Jahr der Papst-Visite, hoffte man auf Entspannung. Ein Irrtum. Die aktuelle Zölibatsdebatte, ausgelöst durch einen Brief prominenter CDU-Politiker an den deutschen Episkopat, stelle alle bisherigen Auseinandersetzungen in den Schatten, ließ sich der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann vernehmen. Die von unzähligen Frauen und Männern gelebte Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen sei ein „großer Segen für die Mitmenschen“.

Das hatten auch Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundesbildungsministerin Annette Schavan und die ehemaligen Ministerpräsidenten Dieter Althaus, Erwin Teufel und Bernhard Vogel grundsätzlich nicht in Frage gestellt, wegen des Priestermangels in Deutschland befürworteten sie jedoch die Weihe von bewährten verheirateten Männern („viri probati“). Gegebenenfalls, so ihre Empfehlung, solle ein deutscher Sonderweg eingeschlagen werden.

Das brachte den in Rom lebenden neuen deutschen Kardinal Walter Brandmüller (82) in Rage. Was legitimiere die CDU-Politiker, zu einem innerkirchlichen Thema Stellung zu nehmen, fragte er in einem offenen Brief. Die Initiative nähre für ihn den Verdacht, dass es Lammert und seinen Mitstreitern nicht nur um den Zölibat gehe, „sondern um erste Schritte hin zu einer anderen Kirche“. Einen deutschen Sonderweg ins Spiel zu bringen, führe „in die Nähe eines Schismas, einer Nationalkirche“.

Empört wies Kardinal Karl Lehmann (74), Bischof von Mainz und 21 Jahre lang Vorsitzender des deutschen Episkopats, die Intervention aus Rom zurück: „Dies ist in unserem Lande nicht der Stil, mit der wir auch bei Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen.“ Brandmüller, ein Vertrauter von Papst Benedikt XVI., hielt an seiner Kritik fest, unterstützt vom Forum Deutscher Katholiken. Es versteht sich als ein Gegengewicht um Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), dem die Verfasser des Briefes verbunden sind, und in seinen Reihen finden sich die schärfsten Lehmann-Kritiker.

Aus der Zurückweisung der harschen Brandmüller-Worte durch Lehmann lässt sich allerdings nicht schließen, dass der Mainzer Bischof sich die Position der CDU-Politiker voll zu eigen gemacht habe. Lehmann ist empört über den Ton, den der Kirchenhistoriker Brandmüller gegenüber dem Bundestagspräsidenten, einer Bundesministerin und drei „hochverdienten früheren Ministerpräsidenten“ anschlug. Man müsse im Übrigen nicht gleich eine andere Kirche wollen, wenn die Frage der Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt angesprochen werde.

"Kostbares Gut nicht beschädigen"

Lehmann hatte sich in den 70er-Jahren für eine solche Regelung eingesetzt, ist aber später immer weiter davon abgerückt. Er warnte vor einer gedankenlosen Abwertung des Zölibats. Daran knüpfte er auch in seiner Antwort an Brandmüller an: „Wir wollen ja nicht das kostbare Gut des ehelosen Priestertums beschädigen.“ Der auf dem liberalen Flügel seiner Kirche verortete international renommierte Theologe vertritt im Kern keine andere Position als seine innerkirchlichen Gegner.

Er spricht von einer „doppelten Dialogunfähigkeit“. Einerseits werde der kirchlichen Hierarchie pauschal Reformunfähigkeit vorgehalten, andererseits vergriffen sich Amtsträger wie Brandmüller im Ton. Lehmann sieht darin Gefahren für den innerkirchlichen Dialogprozess, den der Episkopat in Gang bringen will. Dieser Prozess werde sich bei allen Themen eine „neue Mitte suchen müssen, ohne nur in faule Kompromisse abzudriften“. Hoffentlich komme man „aus dieser doppelten Unfähigkeit heraus“.

Entspannt betrachtet der Hamburger Erzbischof Werner Thissen (72) die Situation: Die „viri probati“ seien nicht gerade das vordringliche Thema. Aber warum solle man nicht darüber reden? Der Zölibat sei ein durch Jahrhunderte gewachsenes Merkmal katholischer Identität. „Und diese katholische Identität zu begründen und darüber zu sprechen, das ist gut.“

Die Spitze der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) hat allerdings schon signalisiert, dass sie über die Zulassung von „viri probati“ derzeit nicht diskutieren wolle. Der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff (70), promovierter Kirchenrechtler und stellvertretender DBK-Vorsitzender, schließt einen deutschen Sonderweg aus: „Überhaupt nicht denkbar“.