Herrenwitze und Hotelbars sind nicht seins, dafür reist der neue FDP-Chef mit Adoptiv-Vater und Schwieger-Oma an. Und trifft damit die Tonlage der neuen FDP-Generation.

Es gibt ihn noch, den alten Sound der FDP. Zum Beispiel in der Sky-Bar, im 19. Stock des Hotels Neptun in Warnemünde. Dort hatte sich am späten Freitagabend eine Männerrunde zusammengefunden. Rainer Brüderle zählte dazu, der neue, 64 Jahre alte Fraktionschef der Freien Demokraten im Bundestag. Und Martin Lindner , einer seiner Stellvertreter.

Wie es sich für Wirtschaftsliberale gehört, diskutierten sie über Wirtschaftspolitik. Und wie es sich für Bier trinkende Liberale gehört, stieß die Runde nicht mit einem einfachen "Prost" an, sondern stilecht mit dem Bekenntnis "Freiheit!"

Freiheitsrufe und Altherrenwitze

Zum alten Ton der FDP gehört es auch, dass nach etlichen Freiheitsrufen der ein oder andere Altherrenwitz zu vernehmen war. Während kaum jemand aus der Runde einen Blick für die großartige Aussicht auf die nächtliche Ostsee hatte, wurden die wenigen Frauen in der Bar ganz genau in Augenschein genommen.

Und Liberale, die vom gegen 22 Uhr unterbrochenen Parteitag in der Rostocker Messe neu zu der fröhlichen Schar stießen, wurden herzlich aufgenommen: "Willkommen an der Basis. Freiheit!"

Doch die Runde repräsentiert bestenfalls einen Teil dieser Basis. Einen kleiner werdenden Teil. Wer die Debatten in der Messehalle an diesem Wochenende verfolgte, dem blieb nicht verborgen, dass viele der 660 Delegierten für ein ganz anderes Milieu mit ganz anderen Gewohnheiten stehen.

Neue FDP-Generation sorgt sich um Familie, Bildung, Internet

Es trat eine Reihe von jungen, sanften, nachdenklichen Menschen ans Rednerpult. Im dicken Antragsbuch wimmelte es von Anliegen, die diese Vertreter eines nachwachsenden Bürgertums bewegen: Familien- und Bildungspolitik, Frauenförderung, Integration, das Internet. Natürlich, es ging in den Debatten auch ausführlich um Marktwirtschafts- und Steuerpolitik.

Das bleiben zentrale Anliegen der FDP. Aber zum Freiheitsbekenntnis gehört es eben auch, die Antworten dieser großen Idee auf die Probleme von alleinerziehenden Müttern, die Großeltern pflegende Familien oder dem Umgang der Internetgemeinde mit mächtigen Konzernen wie Apple, Facebook oder Sony zu liefern.

Diese Themen sind nicht neu für die FDP. Neu aber ist, dass sie auf dem Par-teitag nicht untergingen, sondern ein Gesicht bekamen. Es ist das Gesicht von Philipp Rösler. Der Niedersachse mit asiatischen Wurzeln wurde in Rostock zum Nachfolger von Guido Westerwelle gewählt, mit einer überwältigenden Zustimmung von 95 Prozent .

Die liberale Partei hat damit nach zehn Jahren nicht nur einen anderen Vorsitzenden gekürt. Vor allem hat sie mit ihrem 13. Chef seit Theodor Heuss einen anderen Politikstil gewählt, sie hat sich für eine moderne Beschreibung des, mit Röslers Worten, "liberalen Lebensgefühls" entschieden. Man könnte auch sagen: Philipp Rösler steht für einen neuen Sound der FDP.

Rösler reist mit Familienbande nach Rostock

Der war schon bei seiner kurzen Bewerbungsrede zu hören. In Protokollform erzählte der mit 38 Jahren bislang jüngste Parteichef der Freidemokraten seine Lebensgeschichte. In Vietnam geboren, im Alter von neun Monaten nach Niedersachsen adoptiert, nach der Trennung der Eltern vom Vater alleine aufgezogen, später kommunalpolitisch aktiv, dann Fraktionschef und Wirtschaftsminister in Niedersachsen, schließlich Bundesgesundheitsminister, seit Donnerstag leitet er das Wirtschaftsressort.

Seine Abende verbringt er eher selten an der Hotelbar, auch in Rostock tat er das nicht. Denn Rösler ist Familienvater. Er hatte nicht nur seine Frau Wiebke, seine Zwillinge Gesche und Grietje mit zum Parteitag gebracht. Auch der Adoptivvater war angereist: "Ich freue mich, dass mein Papa hier ist, um zu gucken, was aus dem Sohn geworden ist", sagte Rösler.

Auch seine Schwiegermutter war da, "die Ruth, die als Krankenschwester arbeitet, meine Frau und drei Schwestern großgezogen hat, sich um die Enkel und die 93-jährige Großmutter kümmert". Klar, dass auch Schwieger-Oma "Klärchen" in die Hanse-Messe gekommen war.

Bei Westerwelles Abschied scheint Rechthaberei durch

In Westerwelles Abschiedsrede am Freitag war die schrill-konfrontative Ton-lage der vergangenen FDP-Dekade noch einmal aufgeblitzt. Zwar hatte sich der ehemalige Vorsitzende in Zurückhaltung geübt, sich für Fehler entschuldigt. Auch eine emotionale Annäherung an seine Partei versuchte er .

Doch die gefühlsselige Ansprache ist seine Sache nicht, immer wieder schien Rechthaberei durch: Nicht er, sondern die Umstände sind schuld am Niedergang der FDP seit der Regierungsübernahme. Westerwelle wird als ein Vorsitzender in die Parteigeschichte eingehen, der von den Liberalen vor allem wegen seiner Wahlerfolge und seines rhetorischen Talents geschätzt wurde.

Er riss die Partei durch Polarisierung ("Freiheit statt Sozialismus") mit, durch griffige Parolen ("Arbeit muss sich wieder lohnen") und durch seinen Kampf für Steuersenkungen ("Niedrig, einfach und gerecht").

Klare Ansagen an die Union

Zu diesen Zielen bekannte sich auch Rösler. Aber er sprach sie anders an. "Liebe Union", sagte er beispielsweise im Rahmen seines Bekenntnisses zu Steuersenkungen, "die Entlastung der Menschen ist gemeinsames Versprechen einer bürgerliche Regierung. Wir sind dazu bereit." Wenn das Vorhaben scheitert, so die Botschaft, dann geht das auf die Kappe der anderen.

In seine Antrittsrede am Samstag baute Rösler viele persönliche Anekdoten ein, er erklärte den Sinn liberaler Prinzipien mit Beispielen aus dem Alltag "ganz normaler Menschen". Und er zeigte, dass er die Kunst der Selbstironie beherrscht. So muss ein liberales Anliegen wie die Verteidigung der Bürgerrechte nicht laut und fordernd hinausgerufen werden. Es lässt sich auch leise und mild lächelnd formulieren.

Dazu zitierte Rösler zunächst die liberale Ikone Karl-Hermann Flach: "Die Freiheit stirbt scheibchenweise". Deshalb, so übersetzte Rösler das in aktuelle Politik, gelte es jedem Versuch des Koalitionspartners entgegen zu treten, die Grundrechte durch immer neue Sicherheitsgesetze einzuschränken.

Sticheln gegen "Claudia Roths Multikulti-Straßenfeste"

Als Arzt könne er dafür auch ein wissenschaftliches Beispiel anführen, sagte Rösler. "Wenn Sie einen Frosch in heißes Wasser werfen, dann hüpft er sofort heraus. Wenn Sie einen Frosch dagegen in kaltes Wasser setzen und langsam die Temperatur erhöhen, wird er zuerst nichts merken und nichts machen. Und wenn er etwas merkt, ist es zu spät für den Frosch." Pause. "So viel zum netten Herrn Rösler." Der Saal jubelte, ohne dass der Redner die Stimme erhoben hatte.

So durchforstete Rösler in freiem Vortrag die gesamte Palette liberaler Themen. Er stichelte gegen Grüne und Rote und deren bevormundende Ideen, vom staatlich verordneten "Vegetariertag" in Bremen bis zur fragwürdigen Idee der "Integration von durch Claudia Roth geplante Multikulti-Straßenfeste".

Brüderle und Westerwelle nur noch Nebentöne im liberalen Konzert

Auf die Aufstandsbewegung in Arabien und drohenden Freiheitsverlust durch Grenzkontrollen in Europa ging er ebenso ein wie auf die Bedürfnisse von Tagesmüttern. Er warb für die Leitanträge des FDP-Vorstands zu Europa, Energie und Bildung, um sich danach gegen irre Bürokratie durch die Sitzplatz- und Toilettenordnung für Bäckereien zu stellen.

Vor allem aber versuchte Rösler seiner gebeutelten Partei neue Hoffnung zu geben. Er will das Vertrauen in die Liberalen wieder herstellen, indem er neue Themen in den Fokus rückt und um die alten Wahlversprechen kämpft. Die Menschen seien deshalb enttäuscht, weil sie von einer bürgerlichen Regierung nicht Streit, sondern Problemlösungen erwartet hätten.

Und er versprach: "Ab heute wird die FDP liefern!" Neu erfinden will er die Partei dafür nicht, zum Führungsteam gehören auch Brüderle in der Fraktion Westerwelle im Außenamt. Aber sie sind nur noch Nebentöne im liberalen Konzert. "Freiheit!" wird künftig seltener als lauter Trinkspruch zu hören sein. Rösler möchte Freiheit, die "gedacht, gelebt und gefühlt" werden kann. So soll er klingen, der neue Sound der FDP. #