Die Ethikkomission Atomkraft diskutierte erstmals öffentlich über die Energiewende. Klar wurde: Einigkeit gibt es noch lange nicht. Doch dafür originelle Vorschläge.
Die Ethikkommission Atomkraft hat ein strammes Arbeitsprogramm vor sich. Ende Mai schon will sie der Bundesregierung ihre Empfehlungen zur Energiewende vorlegen.
In der vergangenen Woche erst hatten die 17 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kirche auf Gut Liebenberg bei Berlin getagt. Nun traf sich das Gremium zu einer ersten öffentlichen Expertenanhörung in Berlin – hinter verschlossenen Türen zwar, aber nach dem Vorbild der viel gelobten Stuttgart-21-Schlichtung live begleitet vom Fernsehsender Phoenix.
„Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens in der Frage des Atomausstiegs“, sagte der Vorsitzende des Gremiums, Ex-Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU). Nun gehe es darum, die Energiewende so zu gestalten, dass keine sozialen Verwerfungen, Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft oder gar neue Risiken für das Klima entstünden.
Kommission soll Fakten für Politik liefern
Als Reaktion auf das Reaktorunglück im japanischen Fukushima hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen beschleunigten Umstieg auf erneuerbare Energien angekündigt und die acht ältesten der 17 deutschen Atommeiler vorerst vom Netz genommen.
Mitte Juni will die Bundesregierung entscheiden, wie es mit der Energiepolitik und vor allem mit der Kernenergie in Deutschland weitergehen soll – unter anderem der Bericht der eigens dafür eingesetzten Ethikkommission soll die notwendige Faktenbasis liefern.
Rein rechnerisch ließe sich die Produktionsleistung der deutschen Atomkraftwerke relativ schnell durch mehr Strom aus Kohle und Gas ersetzen. Der Ausbau von Windkraft und Fotovoltaik schreitet rasch voran. Schon 2020 könnten die erneuerbaren Energien knapp 50 Prozent des deutschen Strombedarfs decken, rechnete Dietmar Schütz, der Präsident des Bundesverbands Erneuerbare Energien, vor.
Doch so einfach ist der Einstieg in einer neues Energiezeitalter nicht zu realisieren. Zu weit reichend sind die möglichen Konsequenzen.
Angst vor Stromausfällen
So warnte E.on-Chef Johannes Teyssen vor einem vorschnellen Atomausstieg, weil Arbeit und Wohlstand durch steigende Strompreise gefährdet werden könnten. Es gebe keinen „Königsweg“ der Energieversorgung, sagte Teyssen. Auf jeden Fall werde die Kernenergie weiterhin als Brücke gebraucht.
Heinz-Peter Schlüter vom Aluminiumproduzenten Trimet betonte, wie wichtig eine sichere Stromversorgung für seine Branche ist – rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr: „Fällt der Strom für vier Stunden aus, sind unsere Produktionsanlagen irreparabel zerstört.“
Joachim von Braun, Agrarwissenschaftler an der Universität Bonn, wies dagegen auf einen bislang kaum beachteten Aspekt einer Energiewende hin: Mit den Energiepreisen steigen auch die Lebensmittelpreise – auch dieser Zusammenhang müsse berücksichtigt werden.
30 Experten eingeladen
Elf Stunden waren für die Anhörung angesetzt, rund 30 Experten waren eingeladen, ihre Position vorzustellen und zu begründen. Neben den wirtschaftlichen Aspekten des Atomausstiegs sollten auch wissenschaftliche und gesellschaftliche Fragen diskutiert werden. Die Stimmung in der Runde war ruhig und gelassen. Nichts erinnerte an die aufgeregten politischen Debatten und Grabenkämpfe der vergangenen Jahrzehnte.
Matthias Kleiner, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Co-Vorsitzender der Ethikkommission, war sogar zum Scherzen aufgelegt und erinnerte an die Meuterei auf der „Bounty“ auf den Tag genau vor 222 Jahren. Er hoffte, dass die Debatte an diesem Tag friedlicher verlaufen werde als damals zwischen Kapitän und Matrosen.
Tatsächlich antworteten die Experten ausführlich auf die bohrenden Fragen der Kommissionsmitglieder. Sehr sachlich wurde über Chancen und Risiken des Ausstiegs debattiert. „Die Frage ist, wie schnell die Zukunft ohne Kernenergie zu realisieren ist“, sagte Töpfer und mahnte die Experten zur Zeitdisziplin. „Denken Sie daran, dass Sie mit sieben Minuten auskommen müssen.“
Altbekannte Argumente
Zunächst wurden jedoch viele bekannte Argumente vorgetragen: Die deutschen Kernkraftwerke sind die sichersten der Welt. Nach Fukushima hat sich an der Sicherheit der Anlagen nichts geändert. Geändert haben sich die subjektive Wahrnehmung und die Einschätzung des Risikos. Das war eher die Perspektive der Befürworter eines langsamen Atomausstiegs.
Die Vertreter eines raschen Atomausstiegs verwiesen auf die ungenutzten Potenziale beim Stromsparen und der Energieeffizienz. Der verstärkte Einsatz fossiler Energieträger und der damit verbundene zusätzliche Ausstoß von Kohlendioxid ließen sich durch Einsparungen kompensieren. Stromtrassen müssten gebaut und Speichertechnologien entwickelt werden.
Auf einen neuen Aspekt in der Energiedebatte verwies Felix Matthes vom Freiburger Öko-Institut: „Die Betrachtung des Schadens ist in den Mittelpunkt gerückt.“ Der mögliche Schaden durch einen Atomunfall, aber auch der Schaden, der entstünde, sollte der Industriestandort Deutschland durch einen falschen Kurs in der Energiepolitik zerstört werden.
Energiewende kann wirtschaftliche Vorteile bringen
Das ist nur ein Aspekt, den die Ethikkommission in ihren Empfehlungen abwägen muss und der auch in der Diskussion deutlich wurde. Eberhard Umbach zum Beispiel, Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie, kritisierte die deutsche „Nabelschau“ in der Energiepolitik als völlig unangemessen. Von den etwa 53.000 Artikeln, die nach dem Fukushima-Unglück in Europa veröffentlicht wurden, seien mehr als 80 Prozent in Deutschland erschienen.
Umbach verwies auf die negativen Folgen für die Wirtschaft, sollte Deutschland im Alleingang hastig und übereilt aus der Atomenergie aussteigen.
Dagegen mahnte Eicke Weber, der Leiter des Freiburger Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, einen möglichst raschen Ausstieg an. Die Welt stehe vor großen Herausforderungen in der Energieversorgung, sagte Weber. Wer jetzt beim Umstieg auf erneuerbare Energien vorangehe, habe enorme wirtschaftliche Vorteile.
Weber begründete seine Forderung mit den kaum zu überschaubaren Folgen eines Atomunfalls: „Die menschliche Fantasie reicht nicht aus, sich alle möglichen Fehler vorzustellen.“ Die Behauptung, der Umstieg auf erneuerbare Energien würde die Strompreise in die Höhe treiben und besonders stromintensive Industrien vertreiben, bezeichnete Weber als „Lüge“. Die Strompreise für die Industrie seien stetig gesunken – was er auf die verstärkte Einspeisung von Strom aus Wind und Sonne zurückführte.
Die Ethikkommission steht nun vor der schwierigen Aufgabe, die widerstreitenden Expertenmeinungen in ihre Empfehlungen einfließen zu lassen. Am 13. Mai kommt das Gremium erneut zu einer dreitägigen Klausurtagung zusammen. Töpfer zeigte sich optimistisch, der Bundesregierung und dem Parlament Argumente für eine demokratische Entscheidung liefern zu können.
Suche nach Standort für atomares Endlager
Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, die sich gegen den Salzstock Gorleben als Standort für ein atomares Endlager wehrt, warf der Ethikkommission vor, keine Umweltverbände anzuhören – gerade auch in der Frage der Endlagerung. Über die Frage, wo der hoch radioaktive Müll dauerhaft gelagert werden soll, diskutierten Ethikkommission und Experten aber nur am Rande.
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) will die Suche nach einem entsprechenden Standort jedoch mit der Debatte über die künftige Energiepolitik verknüpfen. So hat der designierte baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) inzwischen die Bereitschaft erklärt, auch in seinem Bundesland nach einem Standort suchen zu lassen. Gerade auch im Bereich der Endlagerung, das machte die Anhörung deutlich, gibt es noch erheblichen Forschungsbedarf.
Und auch das zeigte die Diskussion: Der Ausstieg aus der Atomenergie und der Umstieg auf erneuerbare Energien braucht eine gewisse Zeit. So muss der Ausbau der Stromnetze sorgfältig geplant und an dezentralere Versorgungsstrukturen angepasst werden.
Die deutsche Industrie, das stellte Michael Hüther vom Institut der Wirtschaft klar, ist schon heute die effizienteste der Welt. In den deutschen Haushalten dagegen gibt es noch Nachholbedarf, sagte Franz-Georg Rips vom Deutschen Mieterbund.
Doch gerade die Hausbesitzer seien oft schon so alt, dass sie vor einer energetischen Sanierung ihrer Immobilie zurückschreckten, weil sich die Investition für sie nicht mehr amortisieren würde. Rips' praktischer Vorschlag: die finanzielle Förderung der Gebäudesanierung an einen altersgerechten Umbau koppeln. Das wäre für viele ältere Hauseigentümer attraktiv, weil sie möglichst lange in ihrem eigenen Haus wohnen bleiben wollen.