Klaus Töpfer entschied sich einst als Umweltminister gegen den Atomausstieg. Jetzt ist er Chef der Ethikkommission. Für ihn eine “quälende Abwägung“.

Die Beratungen der Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung im brandenburgischen Liebenberg haben doch länger gedauert, als Klaus Töpfer angenommen hatte. Er ruft aus dem Auto an und teilt mit, dass er später als vereinbart im Journalisten-Club des Berliner Axel-Springer-Hauses eintreffen wird.

Wen wundert’s, schließlich ist das Thema komplex, und die Kanzlerin erwartet bereits Ende Mai eine Empfehlung der von ihr beauftragten Expertengruppe um den früheren Bundesumweltminister und Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep).

Töpfer selbst spricht vom „Diktat der Kurzfristigkeit“. Zugesagt hat er der Kanzlerin dennoch. Nach dem Super-GAU in Fukushima sollen er und seine Mitstreiter in der Kommission nun innerhalb weniger Wochen den normativen Rahmen für eine Energiewende in Deutschland schaffen.

Der Zeitpunkt erscheint günstig, denn unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe in Japan spricht sich eine Mehrheit der Deutschen für einen baldigen Ausstieg aus der Atomenergie aus. Die Befürworter sind eindeutig in der Defensive. Kaum ein Politiker wagt, ein klares Bekenntnis zum Atomstrom abzulegen. Als Klaus Töpfer schließlich eintrifft, sind ihm die Anstrengungen der vergangenen Tage kaum anzusehen.

Morgenpost Online: Herr Töpfer, im April 1995 haben Sie das Amt des Bundesumweltministers an Angela Merkel abgegeben. Hat es Sie sehr überrascht, dass Sie nun von der Bundeskanzlerin gebeten wurden, das Problem der Energiewende zu lösen?

Klaus Töpfer: Zunächst war ich allerdings überrascht. Gleichwohl ist der Schritt zur Einrichtung einer Ethikkommission mehr als sinnvoll. Das hat sich bereits in unseren ersten Gesprächen in der Ethikkommission gezeigt. Die ethische Dimension der Energiefrage zu erörtern kann mehr als hilfreich sein für die Gesamtentscheidung.

Morgenpost Online: Überragt die ethische die ökonomische Dimension?

Töpfer: Eine wichtige, quälende Abwägung! Ich glaube schon, dass der Kern des Ökonomischen auch in unseren Diskussionen immer wieder gesehen werden muss. Aber es reicht nicht aus, sich allein damit zu beschäftigen. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung besitzt die Atomenergie eine ethische Dimension.

In unserer Gesellschaft wird ganz virulent die Frage erörtert, wie wir es vor der Stabilität der Schöpfung und damit gegenüber nachfolgenden Generationen verantworten können, Kosten und Gefahren auf zukünftige Generationen abzuwälzen. Durch dieses Verhalten erscheinen wir zwar reicher, werden aber im breiten Sinne des Wortes nicht wirklich wohlhabender.

Morgenpost Online: Wie würden Sie den ökonomischen Kontext umschreiben?

Töpfer: Dazu zählt etwa die Sicherung von Arbeitsplätzen, die Möglichkeit, neue Technologien zu entwickeln, die Frage, inwieweit wir mit unseren Produktionsmethoden Kosten für nachfolgende Generationen verursachen, aber auch die Frage, wie wir künftig leben wollen. Damit befasst sich ja im Übrigen auch eine Enquetekommission des Bundestages. Sie untersucht, inwieweit das Bruttosozialprodukt noch hinreichender Indikator für Wohlstand und Fortschritt sein kann.

Morgenpost Online: Bereits seit den 70er-Jahren wird die ethische Debatte über die Kernenergie geführt. Welche ethischen Fragen stellen sich denn nach dem Unglück von Fukushima anders als zuvor?

Töpfer: Sicher, der Philosoph Robert Spaemann hat die ethischen Konsequenzen aus der Nutzung der Kernenergie bereits in den 70er-Jahren sehr klar erörtert. In der katholischen Kirche hat Kardinal Joseph Höffner schon 1980 auf die Risiken und die unabschätzbaren Folgen für kommende Generationen hingewiesen. Wir sind also nicht die Ersten, die sich damit beschäftigen. Und diesen Eindruck wollen wir auch nicht erwecken.

Morgenpost Online: Also gibt es im Grunde keine neue Fragestellung?

Töpfer: Das würde ich so nicht sagen. In Fukushima ist das eingetreten, was die Verantwortlichen für diese Technologie nicht für möglich gehalten haben. Selbst in einem technologisch führenden Land mit einer exzellenten Vorbereitung auf Katastrophen reichte die Fantasie nicht aus, sich so ein Unglück vorzustellen ...

Morgenpost Online: ... entschuldigen Sie, aber schließlich gab es vor 25 Jahren den Super-GAU in Tschernobyl, es gab die Rektorkatastrophe in Harrisburg ...

Töpfer: ... und trotzdem waren die Verantwortlichen weltweit der Ansicht, das Risiko sei beherrschbar, weil Tschernobyl nicht erneut passieren könne.

Morgenpost Online: Sie selbst waren Umweltminister, als der Super-GAU in Tschernobyl festgestellt wurde. Warum haben Sie damals nicht für einen Ausstieg plädiert?

Töpfer: Ich habe, als ich Umweltminister wurde, gesagt, wir müssen eine Zukunft ohne Kernenergie erfinden ...

Morgenpost Online: ... aussteigen wollte die Union dann aber doch nicht ...

Töpfer: ... weil es unverantwortbar gewesen wäre. Wir haben uns damals bewusst gegen einen schnellen Ausstieg entschieden, weil wir bei der Entwicklung alternativer Energien bei Weitem noch nicht so weit waren. Die Alternativen wären nur fossile Energien, sprich Kohle, Öl und Gas, gewesen.

Außerdem dämmerte ja schon die Sorge um den Klimawandel herauf. Inzwischen sind wir bei den regenerativen Energien weltweit führend. Wir exportieren bereits 70 Prozent unserer Windenergie. Wir bedienen Märkte. Das wird in China und in vielen anderen Ländern aufmerksam beobachtet.

Morgenpost Online: Wie sehr hat es Sie eigentlich enttäuscht, dass das in Ihrer Partei, der CDU, bis zur Katastrophe von Fukushima mehrheitlich wenig Anerkennung fand?

Töpfer: Wissen Sie, ich wäre von meiner Partei sehr enttäuscht gewesen, wenn sie ein solches Ereignis wie Fukushima nicht zum Anlass genommen hätte, ihre Position noch einmal zu überprüfen. Das heißt ja nicht, dass diejenigen, die vorher für die Kernenergie waren, eine nicht ethische Position vertreten hätten.

Morgenpost Online: Sondern?

Töpfer: Sie unternahmen einen anderen Abwägungsprozess. Den muss man respektieren. Aber es wäre in einer offenen Demokratie seltsam, wenn man nicht zur Kenntnis nehmen würde, dass sich die Gesellschaft verändert. Deutschland ist das einzige Land weltweit, in dem es einen gesamtgesellschaftlichen Konsens über den Ausstieg aus der Kernenergie gibt.

Morgenpost Online: Wenn es den Konsens bereits gibt: Was genau erwartet die Kanzlerin dann noch von Ihnen?

Töpfer: Wir müssen Brücken bauen und Gräben überwinden zwischen Gegnern und Befürwortern eines Atomausstiegs. Wir müssen Vergiftungen heilen, die eine Folge von Kämpfen um die Kernenergie sind. Wenn uns das gelingt, haben wir auch eine ganz andere Sicherheit für die Investitionen von Politik und Wirtschaft in regenerative Energien. In Zukunft muss der politische Energiekonsens mehr sein als das, was die jeweilige Regierung darunter versteht.

Morgenpost Online: Dafür haben Sie nur wenige Wochen Zeit. Fühlen Sie sich unter Druck gesetzt?

Töpfer: Es ist eine sehr kurze Frist, das ist wahr. Und es ist mehr als notwendig, darüber nachzudenken, was in so kurzer Frist getan werden kann.

Morgenpost Online: Finden Sie es eigentlich richtig, dass eine von der Regierung eingesetzte Kommission eine so wichtige Entscheidung vorgibt, die das gewählte Parlament anschließend nur noch nachvollziehen darf?

Töpfer: Also, wir beschließen gar nichts. Wir können nur Empfehlungen aussprechen.

Morgenpost Online: Die dann aber kaum noch beraten wird. Denn Bundestag und Bundesrat sollen auf gesetzlich vorgeschriebene Fristen bei ihrer Beratung verzichten, um die Ergebnisse der Ethikkommission noch innerhalb des Moratoriums in Gesetzesform gießen zu können.

Töpfer: Dieser Zeitplan ist von der Kanzlerin so vorgegeben worden. Ich will mich da in keiner Weise wertend einlassen. Wir sind nur eine Stimme von mehreren.

Morgenpost Online: Könnten Sie sich vorstellen, dass wir beim Verzicht auf Atomenergie noch einmal verstärkt auf fossile Energien wie Kohle zurückgreifen?

Töpfer: Die deutschen Klimaziele müssen unverändert und verlässlich eingehalten werden, sonst würden wir ein Risiko durch ein anderes ersetzen. Das wäre verantwortungslos. Es muss sichergestellt sein, dass Deutschland auch ohne Kernenergie seine Treibhausgase bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent verringert.