Bundestagswahl 2013

In Berlin brachte die Wahl viele Überraschungen

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Joachim Fahrun

Das Aus der FDP und das neue Wahlrecht lassen auch unbekannte Politiker aus der Berlin in den Bundestag einziehen. Und ausgerechnet Frank Steffel erzielt das beste Ergebnis als Direktkandidat.

Frank Steffel ist der beste in Berlin. Kein anderer Politiker hat bei der Bundestagswahl 2013 in seinem Wahlkreis ein besseres Ergebnis eingefahren als der CDU-Mann aus Reinickendorf. Weder Linken-Star Gregor Gysi in Treptow-Köpenick noch Grünen-Guru Hans-Christian Ströbele in Friedrichshain-Kreuzberg oder Steffels Parteifreund Karl-Georg Wellmann in Steglitz-Zehlendorf und schon gar kein Sozialdemokrat kamen auf jene 44,9 Prozent der Erststimmen, mit denen Steffel sein Direktmandat im Berliner Norden zum zweiten Mal in Folge gewann.

Der Unternehmer geriet am Tag danach ins Schwärmen. „Ich bin von dieser Zustimmung in meinem Heimatbezirk total überwältigt“, sagte Steffel, „die CDU ist eine Großstadtpartei. Von Tegel bis zum Märkischen Viertel und von Frohnau bis in die Residenzstraße kümmern wir uns um die Entwicklung in unserem Bezirk.“

Steffels Einschätzung wird durch das Berliner Wahlergebnis gedeckt. Die Union holte am Sonntag in Berlin mehr als eine halbe Million Zweitstimmen, das waren 160.000 mehr als bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2011. Mit 28,5 Prozent, einem Plus von 5,7 Prozentpunkten gegenüber 2009, hielten die Christdemokraten ihren Berliner Koalitionspartner von der SPD deutlich auf Distanz. Die SPD stieg von 20,2 auf 24,6 Prozent.

Fünf Direktmandate für die CDU

Die starke Position und das neue Wahlrecht beschert der Berliner CDU eine bisher ungekannt große Zahl von Abgeordneten im nächsten Deutschen Bundestag. Zwei CDU-Frauen und sieben Männer werden in der kommenden Legislaturperiode die Kanzlerin in der Unionsfraktion stützen. Wie vor vier Jahren holten die Christdemokraten fünf Direktmandate, alle im Westen der Stadt, wobei sie Charlottenburg-Wilmersdorf von der SPD eroberten und Neukölln an die Sozialdemokraten verloren. Die Etablierten Frank Steffel (Reinickendorf), Karl-Georg Wellmann (Steglitz-Zehlendorf), Kai Wegner (Spandau) und Jan-Marco Luczak (Tempelhof-Schöneberg) verteidigten ihr Mandat.

Hinzu kommt der bisherige Bezirksstadtrat Klaus-Dieter Gröhler aus der City West. Christina Schwarzer wird es verschmerzen können, dass sie gegen den Lateinlehrer und SPD-Landesvize Fritz Felgentreu in Neukölln verlor. Denn über die Landesliste zog die 36 Jahre alte Immobilienverwalterin und Chefin der CDU-Fraktion in der BVV in den Bundestag ein. Dass dies auch Monika Grütters gelang. ist wenig verwunderlich, schließlich stand die 51 Jahre alte Kulturexpertin der CDU auf Platz eins der Landesliste. Im Kampf um das Direktmandat in Marzahn-Hellersdorf hatte Grütters trotz erheblicher Zuwächse von fast acht Prozent in der Linken-Hochburg keine Chance.

Wohl auch für sie selbst überraschend kommt der Einzug von zwei jungen, auf der Landesebene unbekannten Christdemokraten ins deutsche Parlament. Martin Pätzold aus Lichtenberg, Jahrgang 1984, der über den Transformationsprozess der Berliner Wirtschaft nach der Wende promoviert hat, wird seinen Job als persönlicher Referent des Sozialstaatssekretärs Dirk Gerstle aufgeben und Profi-Politiker werden. Und Philipp Lengsfeld tritt in die Fußstapfen seiner Mutter, der DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, und zieht ebenfalls in Bundestag ein, obwohl er das Rennen um das Direktmandat in Mitte gegen die Sozialdemokratin Eva Högl verlor.

Die SPD bekommt ein Trostpflaster

Für die Berliner SPD ist die Zahl von acht Bundestagsabgeordneten „ein Trostpflaster“ für das letztlich unbefriedigende Wahlergebnis. Drei zusätzliche Parlamentarier bedeuten zehn bis zwölf Jobs für Parteigänger, mehr Wahlkreisbüros in der Fläche und wegen der Abgabe der Mandatsträger an die Partei auch höhere Einnahmen. Von den fünf Sozialdemokraten der abgelaufenen Legislaturperiode sind nur noch Eva Högl mit ihrem verteidigten Direktmandat in Mitte sowie Swen Schulz und Mechthild Rawert dabei, die über die Landesliste ins Parlament kommen. Der Neuköllner Fritz Felgentreu, ein Frontmann des rechten SPD-Flügels, stärkt im Bundestag die Linie des Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky.

Eher vom linken SPD-Flügel kommt der langjährige Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Klaus Mindrup aus Pankow. Cansel Kiziltepe, 38, Gastarbeiterkind aus Kreuzberg mit Volkswirtschaftsdiplom und gutem Job beim VW-Vorstand hat alle Chancen, zu einem neuen, frischen Gesicht der SPD auch über Berlin hinaus zu werden.

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In der SPD-Fraktion gibt es nicht allzu viele Migranten und kaum eine, die als Referentin des verstorbenen SPD-Sozialpolitikers und Agenda-Kritikers Ottmar Schreiner den Politikbetrieb so gut kennt, wie die Frau aus dem Wrangel-Kiez. Völlig unerwartet kommt der Einzug der Friedensaktivistin Ute Finckh-Krämer, 56, aus Steglitz-Zehlendorf. Wenn es FDP oder AfD über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft hätten, wäre sie draußen geblieben und würde weiter als stellvertretende Referatsleiterin beim Bundespresseamt arbeiten. Und erst recht keine Chance hatte sich Matthias Schmidt ausgerechnet. Der Fraktionschef der SPD-Fraktion in der BVV Treptow-Köpenick, der im Bundesinnenministerium arbeitet, verkörpert die Hoffnung der Berliner SPD, irgendwann in einer Zeit nach Gregor Gysi wieder den früher lange bei den Sozialdemokraten liegenden Wahlkreis im Berliner Südosten zu gewinnen.

Bei der Linken ziehen die „ewigen Drei“

Für die Linke haben die „Ewigen Drei“ Gregor Gysi, die Ex-Bundesvorsitzende Gesine Lötzsch und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau wieder ihre Wahlkreise im Berliner Osten geholt, wobei Gysi seinen Prominenten-Bonus besonders stark nutzen konnte und deutlich mehr Erst- als Zweitstimmen gewann. Auch Stefan Liebich, der einstige Berliner Landesvorsitzende, verteidigte sein Mandat in Pankow und dürfte diesen Schub mitnehmen in die parteiinternen Auseinandersetzungen um den Kurs der Linken. Liebich, der sich im Parlament der Außenpolitik widmet, ist wie alle wesentlichen Berliner Linken ein Vertreter des pragmatischen Reformer-Flügels.

An seiner Seite streitet oft Halina Wawzyniak, die wieder über die Liste einzog. Weil auch die Linke einen Sitz mehr erhält als 2009 kommt auch Azize Tank in den Bundestag. Die parteilose gebürtige Türkin arbeitete fast 20 Jahre als Integrationsbeauftragte des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf und ist ein bekanntes Gesicht in der Berliner Integrationsszene.

Die Grünen entsenden wieder die Promis Hans-Christian Ströbele und Renate Künast, sowie die Wirtschaftsexpertin Lisa Paus. Neu auf der Bundesebene ist Özcan Mutlu. Der Bildungsexperte im Abgeordnetenhaus, der den Wahlkreis Mitte nicht direkt gewinnen konnte, zieht auch über die Liste ein.