Berlin. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat Deutschland infolge des Ukraine-Krieges auf harte Zeiten eingestimmt. „Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu“, sagte er am Freitag in einer Rede in Berlin. Die Zeit vor dem 24. Februar sei eine „Epoche mit Rückenwind“ gewesen, in der die Deutschen von der Friedensdividende nach dem Ende der Blockkonfrontation reichlich profitiert hätten. „Die Friedensdividende ist aufgezehrt. Es beginnt für Deutschland eine Epoche im Gegenwind.“
Der Epochenbruch verlange viel von der Bevölkerung ab: „Klar ist: Wir müssen in den nächsten Jahren Einschränkungen hinnehmen“, unterstrich der Bundespräsident. „Das spüren die meisten längst.“ Die aktuelle Krise verlange, „dass wir wieder lernen, uns zu bescheiden“.
Dabei sei ihm klar, dass sich niemand gerne einschränke, fuhr Steinmeier fort. „Aber ich wünsche mir, dass wir unsere Perspektive verändern. Dass wir nicht als erstes fragen: “Wer kann mir die Last abnehmen?' Sondern eher: 'Hilft das, um gemeinsam durch die Krise zu kommen?" Der Staat lasse die Menschen nicht allein, versicherte Steinmeier.
Bundespräsident Steinmeier: Deutschland muss aufrüsten
Deutschland könne in diesen Jahren auf seine Kraft und Stärke bauen, die es sich in der Vergangenheit erarbeitet habe, sagte Steinmeier weiter. Das Land sei wirtschaftlich stark, habe gute Forschung, starke Unternehmen, einen leistungsfähigen Staat sowie eine große und starke Mitte in seiner Gesellschaft.
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Zu den Stärken, die Deutschland bislang geholfen hätten, müsse aber etwas hinzukommen. „Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen wie nach außen. Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung und auch die Kraft zur Selbstbeschränkung.“ Nötig sei keine Kriegsmentalität, erklärte Steinmeier: „Aber wir brauchen Widerstandsgeist und Widerstandskraft.“
Dazu gehöre zuallererst eine starke und gut ausgestattete Bundeswehr, betonte der Bundespräsident. Deutschland sei das starke Land in der Mitte Europas und stehe in der Pflicht, seinen Beitrag zur Bündnisverteidigung zu leisten. „Ich versichere unseren Partnern: Deutschland nimmt seine Verantwortung an, in der Nato, in Europa.“
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Steinmeier wendet sich mit Appell an die reiche Bevölkerung
Konfliktfähigkeit und Widerstandskraft erfordere aber noch mehr. In dem Maße, in dem die Erwartungen an Deutschland wüchsen, werde auch die Kritik an der Bundesrepublik zunehmen. „Dass ein Land wie unseres in der Kritik steht, daran werden wir uns gewöhnen müssen“, sagte Steinmeier. „Damit müssen wir erwachsen umgehen und nicht jede Kritik von außen umgehend als Munition in der innenpolitischen Auseinandersetzung missbrauchen.“
Steinmeier wandte sich direkt an die Bürgerinnen und Bürger. Die neue Zeit fordere jeden Einzelnen. „Vielleicht konnte man in den Zeiten mit Rückenwind noch durchkommen, ohne sich selbst großartig einzusetzen“, sagte er. „Das gilt heute nicht mehr. Deutschland, unser Land, braucht Ihren Willen zur Veränderung, braucht Ihren Einsatz für unser Gemeinwesen, damit wir dort ankommen, wo wir hin wollen.“
Vermögende und reiche Menschen müssten jetzt ihren Beitrag dazu leisten, die immensen Kosten der Entlastungen zu stemmen. Dazu helfe der Staat mit Entlastungspaketen und der geplanten Gaspreisbremse. „Beeindruckende Entlastungspakete sind wichtig – aber nicht weniger wichtig ist Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten“, warnte Steinmeier.
Steinmeier: Russland und Deutschland "stehen heute gegeneinander"
Dieser Abschied gelte insbesondere für den Blick auf Russland. Der friedliche Abzug der sowjetischen Truppen mit der Wiedervereinigung habe viel Hoffnung auf eine friedliche Zukunft gemacht. „Diese Hoffnung hatte auch ich, und sie war Antrieb für meine Arbeit in vielen Jahren“. Wenn man auf das Russland von heute schaue, sei kein Platz für alte Träume. „Unsere Länder stehen heute gegeneinander.“
Steinmeier betonte, der russische Angriff auf die Ukraine sei ein Angriff auf das Recht, auf die Prinzipien von Gewaltverzicht und unverletzlichen Grenzen. Gleichzeitig fragten viele Menschen fragten ihn, warum Deutschland denn Lasten tragen solle für einen Krieg in einem anderen Land, und ob man die Sanktionen nicht sein lassen könne. Er wolle diese Fragen nicht abtun, denn die dahinter stehenden Ängste seien real. „Wir müssen diese Fragen beantworten.“
Die Sanktionen hätten Kosten, auch für uns, räumte Steinmeier ein. „Aber was wäre denn die Alternative? Tatenlos diesem verbrecherischen Angriff zuschauen? Einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen?“ Es sei im deutschen Interesse, sich mit den Partnern Russlands Rechtsbruch entgegenzustemmen. „Es ist unser Interesse, dass wir uns aus Abhängigkeiten von einem Regime lösen, das Panzer rollen lässt gegen ein Nachbarland und Energie als Waffe benutzt.“
Steinmeier: Größte Krise seit der Wiedervereinigung
Politik könne keine Wunder vollbringen, betonte Steinmeier. „Niemand, auch kein Bundespräsident, kann in dieser zutiefst unsicheren Zeit alle Sorgen nehmen.“ Viele der Sorgen seien – im Gegenteil – berechtigt. „Wir erfahren die tiefste Krise, die unser wiedervereintes Deutschland erlebt“, sagte er. (afp/dpa/epd/reba)
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Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.