Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum künftigen Euro-Rettungsfonds ESM soll der Mechanismus am 8. Oktober in Kraft gesetzt werden. Das teilte Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Luxemburg mit. „Ich plane, das erste Treffen des ESM-Gouverneursrats am Rande des Eurogruppen-Treffens am 8. Oktober in Luxemburg einzuberufen”, erklärte Juncker.
Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht hat die Mitwirkung Deutschlands am ESM und am Fiskalpakt unter Auflagen gebilligt. Wie das Gericht in seinem am Mittwoch verkündeten Urteil entschied, muss die Bundesregierung bei der Ratifizierung der Verträge insbesondere sicherstellen, dass ihre Haftung auf 190 Milliarden Euro begrenzt ist und darüber hinausgehende Zahlungen in den ESM nur mit Zustimmung des Bundestags möglich sind. (Az: 2 BvR1390/12 u.a.)
Damit blieben die Eilanträge des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler und weiterer Kläger gegen den ESM und den Fiskalpakt überwiegend erfolglos. Die Kläger hatten unter anderem befürchtet, dass durch die Haftung Deutschlands für notleidende Euro-Staaten oder deren Banken im Ernstfall die Haushaltsautonomie des Bundestags und damit das Budgetrecht der Parlamentarier ausgehebelt werden könnte. Deutschland ist das einzige Land, das den ESM-Vertrag noch nicht ratifiziert hat. Er hätte eigentlich bereits zum 1. Juli in Kraft treten sollen.
Keine absolute Obergrenze für finanzielle Haftung
Das Gericht setzte in seinem Urteil keine absolute Obergrenze für die finanzielle Haftung Deutschlands im ESM fest. Die vom Bundestag bereits gebilligten Garantien von bis zu 190 Milliarden Euro überschreiten Karlsruhe zufolge noch nicht „die haushaltspolitische Belastungsgrenze“ in einem Umfang, „dass die Haushaltsautonomie praktisch leerliefe“. Dies gelte auch „unter Berücksichtigung des deutschen Gesamtengagements für die Stabilisierung der Währungsgemeinschaft“ von derzeit etwa 300 Milliarden Euro.
Laut Gericht könnte Deutschland allerdings beim Ausfall anderer Bürgen im ESM oder in Notsituationen womöglich zu weiteren Zahlungen über die Obergrenze von 190 Milliarden Euro hinaus verpflichten werden. Die Bundesregierung müsse deshalb bei der Ratifizierung der ESM-Verträge noch völkervertraglich verbindlich klarstellen, dass sie in solchen Fällen nur dann zu weiteren Zahlungen bereit ist, wenn dies zuvor der Bundestag beschlossen hat. Zur Begründung hieß es, der Bundestag müsse die Kontrolle über „fundamentale haushaltspolitische Entscheidungen“ behalten.
Das Gericht betonte in diesem Zusammenhang, dass es der EZB verboten sei, Staatsanleihen zu kaufen, wenn dies „auf eine von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten zielt“. Inwieweit das von der EZB in der vergangenen Woche beschlossene Ankaufprogramm diesen rechtlichen Vorgaben entspricht, habe nun noch nicht entschieden werden müssen.
Gericht entscheidet nicht über „Sinnhaftigkeit” des Rettungspakets
Über die „Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit“ des von Bundestag und Bundesrat mit großer Mehrheit verabschiedeten Rettungspakets hätte das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Dazu seien in erster Linie diejenigen berufen, „die direkt vom Volk gewählt sind“.
Mehrere Gruppen von Klägern hatten in Karlsruhe Eilanträge gegen den permanenten Euro-Rettungsschirm und den europäischen Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin eingelegt. Unter den Beschwerdeführern sind der CSU-Politiker Peter Gauweiler, die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und die Fraktion der Linken im Bundestag. Außerdem haben sich rund 37.000 Bürger einer Beschwerde des Vereins „Mehr Demokratie“ angeschlossen. Die Kritiker hatten eine mangelnde demokratische Legitimation der Rettungsmaßnahmen beanstandet.
Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM soll den im Mai 2010 gespannten ersten „Rettungsschirm“ EFSF ablösen und langfristig zur Stabilisierung des Euro-Raums beitragen. Der ESM soll Krisenländer mit Notkrediten von bis zu 500 Milliarden Euro unterstützen. Zum ESM-Kapital von 700 Milliarden Euro steuert Deutschland 21,7 Milliarden Bareinlagen und 168,3 Milliarden Garantien bei. Im Extremfall kann der Bundeshaushalt also mit 190 Milliarden Euro belastet werden.
Lob von Bundeskanzlerin Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bewertete die Entscheidung positiv. „Das ist ein guter Tag für Deutschland und ein guter Tag für Europa“, sagte Merkel im Bundestag. Deutschland nehme seine Verantwortung für Europa entschlossen wahr, betonte Merkel. Karlsruhe habe dies mit seiner Entscheidung für den ESM und den Fiskalvertrag deutlich gemacht.
Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer begrüßte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Euro-Rettungsschirm ESM. Damit sei klar, dass Deutschland sich für das Ausland nicht unbegrenzt verschulden dürfe, sagte der CSU-Vorsitzende am Mittwoch in Jerusalem.
„Ich glaube, dass das ein sehr logischer Schluss des Bundesverfassungsgerichts ist, eine Grenze für die Verschuldung nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland zu setzen“, sagte er. Die Leistungsfähigkeit Deutschlands dürfe nicht überfordert werden. „Weil wir sonst die Axt an Wohlstand und Arbeitsplätze legen.“ Das Gericht habe wieder einmal bewiesen, dass es in einer schwierigen Situation sehr gute Urteil fälle, sagte Seehofer, der sich bis Donnerstag in seiner Funktion als Bundesratspräsident in Israel aufhält.
CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte in München, das Gericht habe „unmissverständlich deutlich gemacht, dass es Belastungsgrenzen für Deutschland gibt, die bei der Eurorettung nicht überschritten werden dürfen.“ Die CSU sehe sich damit in ihrer Position bestärkt. „Dass die Karlsruher Richter einen deutschen Haftungsautomatismus verboten haben, ist zugleich die klare Absage an alle rot-grünen Phantasien einer europäischen Schuldenunion“, sagte Dobrindt laut Mitteilung.
„Stabiles Bollwerk rund um den Euro”
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler sagte, die Entscheidung werde die gemeinsame Währung stärken. „Mit dem klaren und eindeutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind wir dem Ziel, den Euro stabil zu halten, einen wichtigen Schritt näher gekommen“, sagte Rösler am Mittwoch in Berlin. „Damit ist der Weg für die Ratifizierung des ESM, auch des Fiskalpakts. Mit beiden schaffen wir ein stabiles Bollwerk rund um den Euro.“
„Vereinigte Schulden von Europa”
Die Linke reagierte enttäuscht. „Das ist die Geburtsstunde der Vereinigten Schulden von Europa“, sagte der Parteivorsitzende Bernd Riexinger. „Erstmals in der Geschichte sollen die Armen für die Schulden der Reichen blechen.“ Die von den Karlsruher Richtern verlangte Haftungsgrenze für die finanzielle Beteiligung Deutschlands am ESM „wird nicht halten“, sagte Riexinger voraus. Dennoch sprach er von einem „Teilerfolg“. Das Gericht habe zumindest „eine rote Linie gezogen“.