In ganz Deutschland wollen radikalislamische Salafisten heute Koran-Exemplare verschenken. Auch Berlin soll es mindestens einen Stand geben.
Radikalislamische Salafisten wollen am heutigen Sonnabend bundesweit kostenlos Koran-Exemplare verteilen. Nach Angaben aus Berliner Sicherheitskreisen sind „Info-Stände“ in 38 Städten angemeldet worden – auch in Berlin. Auf ihrer Internet-Seite kündigten sie einen Stand am Potsdamer Platz an. Nach Angaben des Verfassungsschutzes liegen aber mittlerweile bereits Anmeldungen für einige Infostände in Berlin vor.
Die Berliner Polizei wird die Aktion am Potsdamer Platz nicht begleiten. Die Koranverteilung sei keine Versammlung oder Demonstration, sagte ein Polizeisprecher zur Begründung. Aber der polizeiliche Staatsschutz arbeite mit dem Verfassungsschutz zusammen und habe die Islamistenszene im Blick.
Die Aktion „Lies!“ steht in der Kritik, weil extremistische Umtriebe befürchtet werden. Hinter der Aktion steht laut Verfassungsschutzes das Netzwerk „Die wahre Religion“, das sich um den radikalen Prediger Ibrahim Abou Nagie gebildet hat. Angeblich will er insgesamt 25 Millionen deutschsprachige Koran-Ausgaben in Deutschland, Österreich und der Schweiz verschenken.
Die Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, wies darauf hin, dass Abu Nagie bereits am 24. März an Aktionen in Berlin und Hamburg teilgenommen habe. „Aufgrund von Ankündigungen gehen wir davon aus, dass er auch Berlin als einen wichtigen Standort für seine Kampagne betrachtet“, sagte die Verfassungsschutzchefin.
Bosbach fordert Signal vom Islamgipfel
CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl bezeichnete Salafisten in der „Bild“-Zeitung als „gefährliche Extremisten und Verfassungsfeinde“. Mit der Koran-Aktion versuche die islamistische Bewegung, Nachwuchs zu gewinnen. Uhl forderte den Verfassungsschutz auf, die rund 4000 Anhänger des Salafismus in Deutschland intensiv zu beobachten und die Öffentlichkeit über die wahren Ziele der Bewegung aufzuklären.
CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach verlangte, das Thema ganz oben auf die Tagesordnung der Islamkonferenz am kommenden Donnerstag zu setzen. „Ich wünsche mir einen Zusammenschluss aller demokratischen Kräfte gegen Radikale“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. „Die Koran-Aktion und die Drohungen gegen Journalisten müssen von der Islamkonferenz scharf verurteilt werden. Das Signal des Islamgipfels an die radikalen Islamisten muss lauten: Ihr habt in unserem Land keine Chance!“
Islamrat warnt vor Panik
Der Vorsitzende des Islamrates, Ali Kizilkaya, hält die Gratis-Aktion hingegen für prinzipiell unproblematisch. „Es ist grundsätzlich erlaubt, religiöse Schriften und damit auch den Koran zu verteilen“, sagte der Sprecher des Koordinierungsrates der Muslime der „Frankfurter Rundschau“. Die Debatte sei „etwas panisch“. Zur Panik gebe es aber keinen Grund: „Die große Mehrheit der Muslime in Deutschland – und das sind über vier Millionen – sind friedliche Bürger, die ihren Glauben friedlich praktizieren.“
Ludwigshafen verbietet Verteilung
In sozialen Netzwerken haben auch Rechtsextremisten zu Protestaktionen gegen die Koran-Aktion aufgerufen. Bosbach appellierte an die örtlichen Behörden, im Einzelfall die Möglichkeiten für ein Verbot der Infostände der Islamisten zu prüfen. Dies sei zum Beispiel dann möglich, wenn ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliege. Die Stadt Ludwigshafen hat die Verteilung bereits verboten – mit dem Argument, dass der Antrag für den Infostand nicht fristgerecht eingereicht worden sei.
Die Evangelische Kirche hat darauf hingewiesen, dass im Islam jedes Koran-Exemplar eine große Bedeutung hat. Das Buch dürfe deshalb nach der Annahme nicht einfach auf den Boden gelegt werden, warnte ein Sprecher. „Das ist für Muslime völlig undenkbar. Das sollten die Leute wissen, die das annehmen.“
Die Koran-Verteilung läuft nach Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden bereits seit Oktober mit regionalen Schwerpunkten in Nordrhein-Westfalen und Hessen.
Die Anzahl der Anhänger von Salafisten in Deutschland wird auf etwa 4.000 geschätzt. Sie streben eine Gesellschaftsordnung an, deren Regeln streng nach dem Koran ausgelegt werden. Der Berliner Verfassungsschutz geht davon aus, dass der Salafismus in der Hauptstadt rund 350 strenggläubige Anhänger hat. Von ihnen werden laut Schmid etwa 100 als gewaltbereit eingeschätzt.
Zwei salafistische Prediger in Berlin
In Berlin sind nach Angaben der Sicherheitsbehörden mittlerweile zwei salafistische Prediger aktiv, die bundesweit durch Vortragsreisen bekanntgeworden sind. Seit Juni 2011 gibt es auch eine salafistische Moschee in Berlin. Sie nennt sich As Sahaba/Die Gefährten e.V. und liegt in Wedding. Daneben war die Al-Nur-Moschee in Neukölln Veranstaltungsort von Salafisten.
Der Vorstandsvorsitzende der türkisch-islamischen Sehitlik-Gemeinde in Neukölln, Ender Cetin, sieht die Salafisten in Deutschland als nicht mehrheitsfähige Sekte. „Wir empfinden die Salafisten als rückständige, ultraorthodoxe Strömung im Islam, mit denen die meisten Muslime nicht konform gehen“, sagte Cetin. Die Koran-Ausgabe, die von den Salafisten verbreitet wird, ist aus Sicht Cetins allerdings eine gelungene Übersetzung ins Deutsche.
dpa/dpad/ap