Brüssel will den Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution drastisch verschärfen. Die zuständige Innenkommissarin der Europäischen Union, Cecilia Malmström, prangert angesichts steigender Fallzahlen Versäumnisse in der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten an.
„Wir haben in Europa keine gemeinsamen Standards, wie wir dieses Verbrechen überhaupt definieren“, sagte Malmström der „Morgenpost Online“. Den Opfern drohe nach sexueller Ausbeutung häufig die rasche Abschiebung. Eine EU-Vorschrift, die genau dies verhindern soll, werde „viel zu wenig umgesetzt“, sagte Malmström.
Nach Angaben der europäischen Polizeibehörde Europol ist der Menschenhandel für die Organisierte Kriminalität mittlerweile das lukrativste Geschäft nach dem Drogenhandel. Experten schätzen, dass jedes Jahr 120.000 Frauen und Mädchen nach Westeuropa gelockt und dann der Prostitution zugeführt werden.
Besonders verbreitet ist das Phänomen in den reichen Mitgliedstaaten wie Deutschland. Die Strafverfolgungsbehörden bemängeln seit Jahren, dass ihnen eine gesetzliche Handhabe fehlt, effektiver gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vorzugehen.
Um das zu ändern, will Malmström von Januar an einen EU-Koordinator für den Kampf gegen Menschenhandel einsetzen. Erst am Mittwoch dieser Woche hat der EU-Rat beschlossen, Täter härter zu bestrafen.
Nach jahrelangem Ringen hat sich auch die deutsche Innenministerkonferenz auf einen Beschluss verständigt. Sie will unter anderem Erlaubnispflichten für Bordellbetriebe schaffen, eine Überprüfung der Strafrechtsvorschriften und eindeutige Kriterien, anhand derer sich legale Prostitution und Zwangsprostitution unterschieden lassen. Die Landesminister bitten die Bundesregierung, die Initiative beider Gesetzesverschärfung zu übernehmen.
Morgenpost Online: Frau Malmström, Sie haben eine EU-Richtlinie für den Kampf gegen Menschenhandel vorgelegt. Gab es da auch eine persönliche Motivation?
Cecilia Malmström: Vor einiger Zeit habe ich drei junge englische Männer getroffen, die Opfer eines Menschenhändlerrings waren, der in Schweden, Großbritannien und den Niederlanden aktiv war. Nachts wurden sie in einer Baracke eingesperrt, tagsüber mussten sie schwerste körperliche Arbeit verrichten. Ich habe aber auch eine 16-Jährige kennengelernt, die in Stockholm als Sexsklavin arbeitete. Zwölf-, 13-mal am Tag zwang der Zuhälter sie zur Prostitution. Und sie hatte keine Chance, sich zu wehren, sie kannte niemanden, hatte keine Papiere. Diese Art moderner Sklaverei ist grauenvoll. Und in viel zu wenigen Fällen gibt es für die Opfer Gerechtigkeit.
Morgenpost Online: Warum ist das so?
Malmström: Menschenhandel ist grenzübergreifend. Aber wir haben in Europa keine gemeinsamen Standards, wie wir dieses Verbrechen überhaupt definieren. Wer ein Opfer ist. Und wir müssen die Strafmaße angleichen. Sonst lassen sich Kriminelle dort nieder, wo die Strafen die niedrigsten sind.
Morgenpost Online: Wo ist das der Fall?
Malmström: Das kann man nicht generell sagen. Sicher ist, dass wir im Norden Europas ein größeres öffentliches Bewusstsein für diese Verbrechen haben.
Morgenpost Online: Zugleich aber ist die Nachfrage in den reicheren EU-Ländern des Nordens größer.
Malmström: Das ist richtig, wo Nachfrage ist, da gibt es auch einen Markt. Laut Europol ist Menschenhandel mittlerweile nach Drogen das lukrativste Geschäft für die organisierte Kriminalität.
Morgenpost Online: Wie will Brüssel das ändern?
Malmström: Beispielsweise indem die Strafen gegen Personen, die wissentlich Opfer von Menschenhandel für sich arbeiten lassen oder Dienste von ihnen erwerben, verschärft werden. Zum Jahreswechsel setze ich einen EU-Koordinator für den Kampf gegen Menschenhandel ein. Auch können wir viel erreichen, indem wir Opfer besser schützen und ihnen beistehen, wenn sie den Mut finden, ihre Peiniger anzuzeigen.
Morgenpost Online: Aber es gibt doch bereits seit 2004 eine EU-Vorschrift, dass Opfer von Menschenhandel Asyl beantragen können?
Malmström: Ja, aber wir mussten leider kürzlich durch eine Prüfung feststellen, dass sie von den EU-Staaten viel zu wenig umgesetzt wird. Auch deshalb, weil die Länder Missbrauch dieser Möglichkeit fürchten.
Morgenpost Online: Menschenhandel ist nicht nur im Interesse mancher Geschäftemacher. Wenn die Tomaten illegal geerntet werden, sind sie für den Verbraucher billiger. Das kommt auch manchen Politikern entgegen …
Malmström: In Südeuropa haben wir es mit Tausenden zu tun, die in der Obst- und Gemüseindustrie oder im Tourismus Opfer von Menschenhändlern werden. Die Verantwortlichen schauen dort sehr oft weg, das ist wahr. Darum haben wir jüngst auch eine Richtlinie für Saisonarbeiter eingeführt, wo der Missbrauch massiv ist.
Morgenpost Online: Von den innereuropäischen Opfern kommen die meisten aus Bulgarien und Rumänien. Tun diese Länder genug gegen Menschenhandel?
Malmström: Eindeutig nein. Vor allem wenn es um Roma-Kinder geht, die in anderen EU-Ländern als Sexsklaven oder Taschendiebe missbraucht werden. Die dortigen Behörden müssen besser darin werden, die entsprechenden Netzwerke zu zerschlagen. Gleichzeitig müssen wir in diesen Ländern, aber auch außerhalb der EU, durch Kampagnen jungen Menschen klarmachen: Fallt nicht darauf rein, wenn euch jemand einen Job als Modell oder Kellner im Westen verspricht! Schaut genau hin, worauf ihr euch einlasst.
Morgenpost Online: Was können die Bürger tun, um Menschenhandel zu verhindern?
Malmström: Man muss sich trauen, Fragen zu stellen. Wer trotzdem solche Dienste kauft, muss wissen, dass er zum Puzzlestück eines gigantischen kriminellen Netzwerks wird. Und dass er verantwortlich dafür ist, dass junge, verletzliche Menschen leiden.