Am Tag eins nach dem Wahltriumph gab es erst mal eine Panne. Als in der Berliner Bundeszentrale der Grünen alles auf den Auftritt der Sieger wartete, erzeugte eine Rückkopplung einen ohrenbetäubenden Brummton. „Irgendetwas strahlt hier rein“, stellte der Techniker fest. „Abschalten! Abschalten!“, skandierten die Journalisten.
Das Gelächter war groß, die Stimmung gut, die Partei-Spitzen vor der grünen Wand strahlten. „Wir haben Geschichte geschrieben“, stellte Parteichef Cem Özdemir fest. Co-Chefin Claudia Roth erzählte, sie habe von einem grünen Ministerpräsidenten geträumt. Das sei nun Realität, ein „schönes Erwachen“.
Die Grünen nähmen das Wahlergebnis mit „Bescheidenheit und Demut“ an, sagte Roth. Aber die neu gewonnene Macht wollen sie auch nicht verschenken. „Wir werden hart verhandeln“, kündigte Eveline Lemke an, Spitzenkandidatin aus Rheinland-Pfalz.
Ohne die Grünen kann Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) nicht regieren. Er hat noch am Wahlabend Gespräche angeboten. Aber die Grünen könnten auch mit der knapp unterlegenen CDU ein Bündnis eingehen.
Eine Gesprächsofferte von CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner habe sie nicht ausgeschlagen, sagte Lemke süffisant lächelnd. Zwar sei die Schnittmenge mit der SPD größer. Aber Lemke hält sich die schwarz-grüne Option offen.
In Baden-Württemberg dagegen steht der Koalitionspartner fest. Schon am Montagabend wollte sich der voraussichtliche Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit SPD-Landeschef Nils Schmid treffen, um eine Verhandlungskommission für Koalitionsgespräche auf die Beine zu stellen.
Die muss spätestens bis zum 11. Mai eine Einigung finden, weil sich dann laut Verfassung der neue Landtag konstituiert und einen Tag später der Ministerpräsident vereidigt wird. Nach dem sehr polarisierenden Wahlkampf wolle er die tiefen Gräben zwischen den Menschen wieder zuschütten und „den versprochenen Weg in die Bürgergesellschaft gehen“, sagte Kretschmann.
Doch leicht wird es für den 62-Jährigen nicht, die Stimmung im Land zu beruhigen und „mit Besonnenheit, Maß und Mitte“ zu regieren. Vor allem die immens hohen Erwartungen vieler Wähler an die erste Regierung ohne CDU-Beteiligung in der Landesgeschichte könnten Probleme bescheren.
So setzen viele jener Baden-Württemberger, die ihr Kreuz bei den Grünen wegen Stuttgart 21 gemacht haben, auf einen umgehenden Baustopp. Bei einer zentralen Veranstaltung der Tiefbahnhofsgegner in Stuttgart wurde am Sonntag schon wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale lautstark gefordert, Stuttgart 21 nun endgültig zu beerdigen.
Noch am selben Abend kam es vor dem Hauptbahnhof zu Ausschreitungen und zu Zusammenstößen mit der Polizei. Begleitet von Rufen wie „Mappus ist weg – der Zaun muss weg“ rissen S-21-Gegner einen Bauzaun ein, zündeten Feuerwerkskörper und trampelten auf Baumaterial herum. Die Lage drohte zu eskalieren, eine Demonstrantin und zwei Polizisten wurden verletzt, erst spät zerstreute sich die Menge.
Doch die Hoffnungen auf einen Baustopp könnten bald gründlich enttäuscht werden: Grüne oder SPD haben keinerlei rechtliche Handhabe, eine Unterbrechung der Bauarbeiten durchzusetzen. Da das Land vertraglich gebunden ist, wäre die neue Regierung auf den guten Willen der Bahn angewiesen.
Dennoch nahm SPD-Chef Schmid das Wort „Baustopp“ am Tag nach der Wahl ebenso in den Mund wie der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der die sofortige Unterbrechung der Arbeiten forderte. Kretschmann dagegen will erst in Ruhe die Zahlen und Fakten abwarten, die der Stresstest liefert.
Danach könnte „möglicherweise“ ein Volksentscheid stehen. Das alles kann aber noch Wochen dauern. Sollte die Bahn in dieser Zeit weiter teure Verträge vergeben, könnte sich die Wut der Tiefbahnhofsgegner auch gegen die neue Regierung richten, die das nicht verhinderte.
Auch der Energiekonzern EnBW, am dem der scheidende Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) gerade 45 Prozent eingekauft hat, wird Kretschmann Probleme bereiten. Der drittgrößte deutsche Energieversorger betreibt vier der 17 Atomkraftwerke. Kretschmann will zwar nun den Atomausstieg beschleunigen und dafür den neuen Aufsichtsrat mit eigenen Kandidaten besetzen.
Doch die dafür entscheidende Hauptversammlung findet noch vor der Regierungsbildung statt. Außerdem zeichnet sich bereits ab, dass es schwer werden wird, strategische Partner zu finden, um den für EnBW geplanten Umbau auf erneuerbare Energien zu finanzieren.
Doch auch für die Grünen im Bund hat diese Wahl Konsequenzen. Die beginnen damit, dass die rheinland-pfälzischen Grünen, bisher im Landtag nicht vertreten und entsprechend unerfahren, bundespolitische Hilfe bei den Koalitionsverhandlungen benötigen.
Genauso brauchen sie wohl Minister von außen, weil die eigene Personaldecke zu dünn ist. In Baden-Württemberg zwar wird sich Kretschmann ein direktes Mitverhandeln der Bundespartei verbitten. Doch auch hier ist denkbar, dass einige Ministerposten nicht von den Landesgrünen besetzt werden, weil nur exzellente Fachpolitiker mit großem Führungswissen die schwarz-gelb geprägten Apparate auf grünen Kurs bringen können.
Offen jedoch ist, wer dann aus Berlin in eines der beiden Länder geht. Immerhin gehandelt wird der Bundestagsfraktionsvize Fritz Kuhn, ein Wirtschaftsrealo, dem ein Entkommen aus dem Berliner Intrigengeflecht wohl gut tun würde.
Große Veränderungen ergeben sich für die Grünen vor allem dadurch, dass ihnen ein eigener Ministerpräsident die Pflicht zu verantwortlicher Regierungspolitik beschert. Grüne Politik kann nicht mehr vorwiegend an den Oppositionsstrategien im Bundestag ausgerichtet werden, wo die Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin einen stets konfrontativen Stil pflegen.
Schon macht das alte Wort „Regierungslinke“ die Runde, eine Anspielung darauf, dass in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung auch Parteilinke wie Jürgen Trittin Kompromisse schließen und den Verzicht auf einzelne Forderungen vertreten mussten.
Einigkeit bestand im Parteirat, dass die grünen Landesregierungen viel stärker an den Entscheidungen beteiligt werden müssen, was natürlich auch Konflikte bedeuten wird.
So beharrt Kretschmann darauf, in Baden-Württemberg die kostspieligen Grünen-Pläne für den Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen umzusetzen, woraus folgt, dass im Ländle auch unter Grün-Rot wenig Neigung besteht, Milliarden per Länderfinanzausgleich zu verschenken.
Gestärkt wird dadurch faktisch Parteichef Cem Özdemir, der ohne Bundestagsmandat bislang immer wieder an Machtgrenzen stieß. Wenn nun aber der Grünen-Vorstand als Koordinierungs- und Schlichtungsstelle wichtiger wird, wächst Özdemirs Einfluss. Genauso natürlich dadurch, dass sein Freund Kretschmann in Baden-Württemberg jenen Realo-Kurs einschlagen will, für den auch Özdemir plädiert.