Das US-Außenministerium warnt: Die in wenigen Stunden erwarteten neuen Enthüllungen könnten weltweit zu Verwicklungen führen.

Das US-Außenministerium hat mit einem Brief an Wikileaks-Gründer Julian Assange die erwartete Massen-Veröffentlichung von Regierungsdokumenten zu verhindern vesucht. Die geplante Offenlegung der vertraulichen und zum Teil als geheim eingestuften Berichte amerikanischer Botschaften „gefährdet das Leben zahlloser Personen“, heißt es in dem vom Samstag datierten Schreiben des Rechtsberaters des Ministeriums, Harold Hongju Koh.

Eine Veröffentlichung setzte Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Blogger, Soldaten und Informanten Risiken aus, schreibt Koh. Auf dem Spiel stünden außerdem laufende Operationen im Kampf gegen den Terror, Menschen- und Waffenschmuggel. Auch die Kooperation von Staaten werde gefährdet.

Die USA lehnten alle Verhandlungen über die Offenlegung weiterer Dokumente ab, heißt es weiter. Sollte Wikileaks tatsächlich daran interessiert sein, Schaden zu vermeiden, müssten die Veröffentlichungen unterbleiben und die Akten zurückgegeben werden.

Die US-Regierung hatte bereits bei früheren Veröffentlichungen zu den Kriegen in Afghanistan und im Irak erklärt, die Enthüllungs-Webseite gefährde Leben. Dass sie aber einen Brief an Assange an die Medien weitergibt, gilt als ungewöhnlich. Das Schreiben ist an eine Anwältin des Wikileaks-Gründers adressiert.

Nach Informationen des britischen „Sunday Telegraph“ steht der amerikanischen Diplomatie eine ganze Woche der Enthüllungen durch Wikileaks bevor. Die Berichte der US-Botschaften würden ab Sonntagnacht nach thematischen Schwerpunkten geordnet veröffentlicht, berichtete die Zeitung unter Berufung auf britische Regierungskreise. Die Dokumente sollen aus der Zeit zwischen Januar 2009 und Juni 2010 stammen – den ersten eineinhalb Jahren der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama.

Nach Informationen der „Bild am Sonntag“ wird Außenminister Guido Westerwelle in den Botschaftsberichten als politisch geschwächt eingeschätzt, weil es der FDP nicht gelungen sei, ihre Wahlversprechen durchzusetzen. Ebenfalls soll Westerwelles Kompetenz für das Außenamt kritisch thematisiert worden sein. Demnach schätzten die US-Diplomaten den Vizekanzler zu Beginn der schwarz-gelben Koalition im vergangenen Jahr als jemanden ein, „der seinen Job noch lernen müsse“.

Ebenfalls kritisch, aber deutlich positiver soll Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beurteilt worden sein, positiv Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).

US-Botschafter Philip Murphy bedauerte in der „Bild am Sonntag“, dass vertrauliche Diplomaten-Dossiers mit zum Teil kritischen Äußerungen über deutsche Spitzenpolitiker veröffentlicht werden. „Es lässt sich schwer sagen, welche Auswirkungen das haben wird. Es wird zumindest unangenehm sein“, sagte Murphy. Der US-Botschafter fügte hinzu: „Ich bin sicher, dass die Freundschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland diese Herausforderung überleben wird.“

Auch der CDU-Außenexperte Andreas Schockenhoff geht davon aus, dass die bevorstehenden Veröffentlichungen das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht belasten. „Dass es interne Einschätzungen gibt, gehört doch zum Leben“, sagte Schockenhoff der „Saarbrücker Zeitung“ und fügte hinzu: „Die Partner sind alle hoch professionell.“

Allerdings werde sich der persönliche Umgang künftig wohl ändern. „Man wird sich noch kontrollierter begegnen und sich noch weniger trauen, irgendeine Art von Emotionalität zuzulassen. Denn jeder der Partner muss damit rechnen, dass das alles irgendwann in der Zeitung steht.“

Schockenhoff sagte, die Tatsache, dass US-Außenministerin Hillary Clinton den deutschen Außenminister Guido Westerwelle wie auch andere Amtskollegen vorab informiert habe, zeige, dass der Vorgang den Amerikanern offensichtlich peinlich sei.

Er persönlich bewerte das Vorgehen von Wikileaks weder als gut, noch als schlecht. „Die Veröffentlichungen sind einfach Folge der technischen Möglichkeiten, die es gibt.“ Jedoch rate er den deutschen Botschaftern in aller Welt nicht, künftig in ihren Berichten vorsichtiger zu formulieren. Man sei auf offene Einschätzungen der Botschafter über die Situation in einem Land und auch über dessen Politiker angewiesen. „Es wäre die völlig falsche Konsequenz, solche Berichte einzustellen“, sagte Schockenhoff.