Plagiatsaffäre

Guttenbergs Glaubwürdigkeit leidet an allen Fronten

| Lesedauer: 6 Minuten
Thorsten Jungholt

Foto: dpa / dpa/DPA

Durch den verlorenen Titel hat Guttenberg auch bei den Soldaten an Vertrauen eingebüßt. Im Bundestag nimmt ihn die Opposition unter Dauerfeuer.

Um die Aussetzung der Wehrpflicht sollte es am Donnerstagmorgen im Deutschen Bundestag gehen. 90 Minuten waren für die erste Lesung des von der Regierung eingebrachten Wehränderungsgesetzes eingeplant, als erster Redner trat der Bundesminister der Verteidigung ans Pult.

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) warb für den Entwurf, natürlich: Die Einführung der Freiwilligenarmee ist seine bislang wichtigste politische Leistung.

Doch die Opposition im Bundestag interessierte sich nur am Rande für diese Reform, die immerhin eine der bedeutendsten Zäsuren in der Geschichte der Bundeswehr darstellt. Während Guttenberg sprach, schritt Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin demonstrativ gleichgültig durch den Saal und unterhielt sich lautstark mit Parteikollegen.

Die Grünen-Abgeordnete Agnes Malczak musste während ihres Auftritts von Parlamentspräsident Norbert Lammert mit einem „Ruf zur Sache“ dazu ermahnt werden, sich zur Wehrpflicht einzulassen, nicht zur Promotion des Ministers Guttenberg.

Doch genau darum ging es der Opposition: Sie wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, nach der Aberkennung des Doktortitels durch die Universität Bayreuth am Mittwochabend neue Attacken auf den Verteidigungsminister zu reiten – und seine Fähigkeit anzuzweifeln, die anstehenden Sachentscheidungen im Zuge der Bundeswehrreform noch mit Autorität durchzusetzen.

Am schwergewichtigsten waren dabei die Vorwürfe, die Sigmar Gabriel erhob. Wie Trittin ignorierte der SPD-Chef den Minister persönlich, stattdessen wandte er sich mit einer Rücktrittsforderung direkt an Angela Merkel. „Jeder weiß, dass wir es mit einem politischen Hochstapler zu tun haben“, sagte Gabriel.

„Es geht, Frau Kanzlerin, nicht mehr darum, ob Ihr Verteidigungsminister die Kraft und das Format hat, Konsequenzen zu ziehen, sondern es geht darum, ob Sie als Regierungschefin noch bereit sind, Schaden von unserem Land und von den Institutionen abzuwenden.“

Gabriel sprach von der intellektuellen Zumutung für jeden Abgeordneten, von einem Regierungsmitglied „für dumm verkauft“ zu werden. „Sagen Sie mal, glauben Sie wirklich daran, dass jemand aus Versehen 270 von 400 Seiten abschreiben kann?“, sagte er an Merkel gerichtet.

Ehre, Pflichtgefühl, Recht und Anstand, das seien gerade für den Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr Werte von größter Bedeutung: „Nichts davon findet sich im Handeln Ihres Ministers.“

Die Redner der Regierungsfraktionen mühten sich redlich, Guttenberg in Schutz zu nehmen. Allen voran die FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff: Sie warf der Opposition eine unzulässige Diskreditierung des Verteidigungsministers vor.

Beschimpfungen als Hochstapler und Lügner seien „nicht der Stil der Auseinandersetzung, die in diesem Hause stattfinden sollte“. Die Abgeordneten sollten zur Sacharbeit zurückkehren und Guttenberg an seinen Entscheidungen bezüglich der Bundeswehrreform messen.

Das allerdings wird dadurch erschwert, dass der Fall Guttenberg tatsächlich längst nicht abgeschlossen ist. So wird der Ältestenrat des Bundestags erst Mitte März über die Einleitung einer Überprüfung der Doktorarbeit des Ministers entscheiden.

Die Opposition will klären lassen, welche Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes in die Promotion eingeflossen sind und ob das Urheberrecht verletzt wurde. Konkret geht es um die Frage, wie freizügig der Minister die Expertisen in seiner Dissertation abgekupfert hat. Eigentlich darf dieser Dienst nur für mandatsbezogene Zwecke in Anspruch genommen werden, andere Verwendungen müssen genehmigt werden.

Bundestagspräsident Lammert sagte laut Teilnehmern in der Sitzung, nach jetzigem Stand liege für keines der sechs von Guttenberg benutzten Gutachten eine Erlaubnis der Bundestagsverwaltung zur Veröffentlichung vor.

Außerdem kündigte die Universität Bayreuth an, weiter prüfen zu wollen, ob Guttenberg mit seiner Doktorarbeit eine Täuschung begangen hat. Der Minister hatte stets betont, nicht „bewusst“ abgeschrieben zu haben. Das soll eine Kommission zur Selbstkontrolle in der Wissenschaft jetzt näher untersuchen.

Für die Entscheidung, den Doktortitel zu entziehen, spielte ein möglicher Täuschungsvorsatz noch keine Rolle. Die Beweisführung sei „sehr komplex und strittig“, sagte Uni-Chef Rüdiger Bormann, daher könne sich der Prozess lange hinziehen. Bis zum Abschluss der Prüfung sei Guttenberg „ein Minister auf Abruf“, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier – und damit ungeeignet, die Bundeswehrreform zu bewältigen.

Noch unangenehmer als die zum politischen Alltagsgeschäft zählenden Attacken von SPD und Grünen dürfte für den Verteidigungsminister der Unmut bei den eigenen Soldaten sein. Seit Tagen gibt der Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, Interviews, in denen er Guttenberg eine „angekratzte Glaubwürdigkeit“ attestiert.

„Der Minister ist nicht gestärkt aus der vergangenen Woche hervorgegangen“, sagte Kirsch. „Sein Krisenmanagement ist nicht optimal.“

In der Truppe machte der Oberst höchst unterschiedliche Reaktionen auf die Plagiatsaffäre aus: „Die Soldaten im Auslandseinsatz beschäftigt diese Angelegenheit wenig. Ihnen kommt es darauf an, dass sich der Minister um ihre Anliegen kümmert. Das tut er“, sagte Kirsch.

An den Standorten in Deutschland werde die Sache schon differenzierter gesehen. „Diejenigen, die an den Bundeswehruniversitäten wissenschaftlich arbeiten oder gearbeitet haben, sagen klar und deutlich: Das geht so nicht!“

In der Tat: Wolfgang Gessenharter, ein ehemaliger Professor an der Bundeswehr-Universität in Hamburg, sagte „Morgenpost Online“, Guttenberg könne nach dem Skandal um seine Dissertation für die Studenten kein Vorbild mehr sein: „Als langjähriger Professor an der Helmut-Schmidt-Universität verwahre ich mich gegen eine solche Haltung eines Verteidigungsministers. Unsere Soldaten haben eine bessere, eine untadelige Führung verdient.“

Er selbst habe drei Studenten wegen ähnlicher Vergehen die Promotion verweigert, in der Folge seien sie bei der Bundeswehr ausgeschieden. Guttenberg habe Prinzipien der Inneren Führung verletzt, sagte Gessenharter, deshalb sei für ihn klar: „Ich würde meinen Sohn von einem solchen Oberbefehlshaber nicht in den Krieg schicken lassen.“