Fachkräftemangel

Mehr Zuwanderung – aber nur mit guten Noten

| Lesedauer: 6 Minuten
Claudia Ehrenstein, Martin Greive und Stefan von Borstel

CDU und FDP wollen deutsche Arbeitnehmer besser qualifizieren, aber auch Fachkräfte aus dem Ausland holen. Dafür soll ein Punktesystem her.

Im Kampf gegen den Fachkräftemangel wollen Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse erleichtern. Mit Hilfe einer Internet-Datenbank sollen die Qualifikationen schneller bewertet und mit deutschen Standards verglichen werden können, sagte der FDP-Politiker in Berlin. „Das soll die Akzeptanz ausländischer Abschlüsse erhöhen.“ Ziel sei es, die Beschäftigungspotentiale von Migranten zu verbessern und so den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Wegen fehlender Fachkräfte sei Deutschland allein 2009 ein Wohlstandsverlust von 15 Milliarden Euro entstanden.

Bis Ende des Jahres soll zudem ein Anerkennungsgesetz verabschiedet werden. Jeder Zuwanderer mit einem ausländischen Berufsabschluss erhält einen Anspruch darauf, dass seine Qualifikation innerhalb von drei Monaten bewertet wird. Heute müssen Migranten oft jahrelang warten, bis ihr Berufsabschluss anerkannt wird. Das Gesetz sei ein „wichtiger Schritt voran“, sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), Morgenpost Online. „Damit kommen wir in eine Vorreiterrolle.“ Die Attraktivität Deutschlands für ausländische Arbeitskräfte werde dadurch deutlich steigen.

Das kostenfreie Informationsportal soll am Jahresende starten und zunächst in einer dreijährigen Pilotphase getestet werden. Darauf sollen vor allem die Industrie- und Handelskammern zugreifen können, aber auch Migranten selbst. Nach Angaben des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) leben in Deutschland mehr als 300.000 Migranten, die ihre im Heimatland erworbenen Berufsabschlüsse anerkennen lassen wollen. „Wir wollen das Potenzial, das in unserem Land schlummert, aktivieren“, betonte Schavan in der Financial Times Deutschland (FTD). Es sei allemal einfacher, den versteckten Schatz im eigenen Land zu heben, als neue Fachkräfte in fernen Ländern zu suchen.

Von den 10,6 Millionen in Deutschland lebenden Migranten im erwerbsfähigen Alter haben 2,8 Millionen einen Berufsabschluss aus ihrem Heimatland; davon knapp die Hälfte im Bereich Ingenieurwesen und Technik. Brüderle betonte, das Informationsportal sei nur ein erstes wichtiges Element der Fachkräfteinitiative. „Wir brauchen auch eine kluge und kontrollierte Zuwanderung. Ich könnte mir gut ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild vorstellen“, erklärte der Wirtschaftsminister. Er sprach sich auch dafür aus, die Einkommensgrenze für Hochqualifizierte aus dem Ausland von 66.000 auf 40.000 Euro zu senken. Brüderle warnte davor, Arbeitslose und Zuwanderer gegeneinander auszuspielen. Man müsse zweigleisig fahren: „Wir müssen inländische Potenziale besser ausschöpfen und durch intelligente Integrationspolitik ausländische Fachkräfte gewinnen.“ Mit der Zuwanderung könne nicht gewartet werden, „bis der letzte Arbeitslose zum IT-Fachmann umgeschult wurde“.

Auch Arbeitgeberverbände und Arbeitsmarktexperten kritisierten Forderungen, mit Blick auf den Fachkräftemangel vorrangig inländische Arbeitslose zu qualifizieren. DIHK-Präsident Hans-Heinrich Driftmann sagte Morgenpost Online, die deutschen Unternehmen wollten zwar in erster Linie die Potenziale der Arbeitskräfte hier in Deutschland heben. Aber um dem zunehmenden Fachkräftemangel hierzulande zu begegnen, werde dies allein nicht ausreichen.

Zwölf Prozent der Unternehmen hielten laut einer Umfrage gezielte Zuwanderung für notwendig, um künftig ihren Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern zu decken. „Die Devise muss daher lauten: Das eine tun, das andere nicht lassen“, sagte Driftmann. „Im Übrigen können wir doch froh sein über Fachkräfte, die zu uns kommen wollen, denn die Konkurrenz um die besten Köpfe ist groß und die Sprachvorteile angelsächsischer Länder sind es leider ebenfalls.“

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) teilte mit, es sei der notwendigen Willkommensmentalität gegenüber ausländischen Fachkräften nicht zuträglich, wenn Ängste vor „Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen“ geschürt und der Eindruck erweckt wird, diese würden bei uns als billige Arbeitskräfte angesehen.

Selbst auf dem Höhepunkt der Krise hätten Zehntausende Ingenieure gefehlt: „Hier muss es gelingen, sofort bereits qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. Dafür brauchen die Unternehmen auch bessere Möglichkeiten, die jetzt dringend benötigten Experten gezielt im Ausland anzuwerben.“ Auch eine Sprecherin des Maschinenbauverbandes VDMA betonte, eine Branche wie der Maschinenbau, der 80 Prozent seiner Waren ins Ausland exportiere, sei auf intelligente Zuwanderer aus dem Ausland angewiesen.

CDU- und CSU-Politiker hatten sich gegen eine weitere Einwanderung ausgesprochen. „Bevor wir Leute aus dem Ausland holen, müssen wir uns um die kümmern, die schon hier sind“, sagte etwa der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier in der ARD. Er verwies auf die hohe Zahl von Dauerarbeitslosen, die qualifiziert werden müssten. Auch CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt verwies auf die drei Millionen Arbeitslosen und die Freizügigkeit für Arbeitskräfte aus den neuen EU-Staaten im Osten, die ab Mai auch in Deutschland arbeiten dürfen. „Wenn man das zugrunde legt, dann kommt man zu der Erkenntnis, dass man keine weitere Zuwanderung aus anderen Teilen der Welt braucht.“

Arbeitsmarktexperten kritisierten die Forderungen aus der Union. „Wer wie Deutschland Globalisierung und freien Handel will, muss auch offen dafür sein, dass Arbeitskräfte aus dem Ausland ins eigene Land kommen“, sagte Friedhelm Pfeiffer vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Zudem seien staatliche Förderprogramme für Jobsuchende in der Vergangenheit alles andere als erfolgreich gewesen. „Die Erfolge der bisherigen staatlichen Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose waren eher bescheiden.“ Es sei kaum möglich und auch aus ökonomischer Sicht nicht sinnvoll, alle Langzeitarbeitslosen mit staatlichen Mitteln zu hochqualifizierten Facharbeitern zu entwickeln, sagt Pfeiffer.

Auch Hans-Peter Klös, Arbeitsmarktexperte am IW in Köln zweifelt daran, dass die Arbeitskräftenachfrage aus dem Bereich der Arbeitslosen bedient werden kann. „Stattdessen brauchen wir eine gesteuerte Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften. Zuwanderer könnten dazu beitragen, dass mehr Jobs für Geringqualifizierte und Arbeitslose entstehen.