Kommunismus-Debatte

Lötzsch fehlte, als über ihre Thesen diskutiert wurde

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M. Hollstein und L.-B. Keil

Die Kommunismus-Visionen von Linkspartei-Chefin Gesine Lötzsch waren Thema im Parlament. Sie selbst blieb der Aussprache fern.

Gesine Lötzsch hat gekniffen. Als in einer Aktuellen Stunde des Bundestags über den Kommunismus debattiert wurde, fehlte ausgerechnet die Verursacherin. Linken-Parteichefin Gesine Lötzsch hatte es vorgezogen, zum Neujahrsempfang der hessischen Linken nach Wiesbaden zu reisen. Viele interpretierten dies als Flucht. Denn Lötzsch hatte Anfang Januar mit einem Artikel in der linksradikalen „Jungen Welt“, in dem sie sich dafür aussprach, „Wege zum Kommunismus“ auszuprobieren, nicht nur bei anderen Parteien Empörung ausgelöst.

Die Linke schickte stattdessen Ulrich Maurer ins Rennen. Dieser ist nicht nur Mitglied des Parteivorstands, sondern auch – so das Kalkül der Linken-Führung – über jeden Kommunismus-Verdacht erhaben. Maurer ist katholischer Schwabe und war von 1992 bis 2001 Vorsitzender der baden-württembergischen SPD-Landtagsfraktion. Seine Herkunft nutzte Maurer bei der Debatte für Angriffe gegen die Kanzlerin: Während Angela Merkel als Funktionärin für Agitator und Propaganda der DDR-Jugendorganisation FDJ herumgelaufen sei, habe er als Oberministrant in Stuttgart gedient.

Zuvor hatte der 62-Jährige sich auf die Bibel berufen, den Ursprung des Kommunismus in urchristlichen Texten ausgemacht und die Kreuzzüge gegeißelt, nach dem Motto: Nicht nur Kommunisten, sondern auch Christen hätten Verbrechen zu verantworten. Und übrigens: Mit Kommunismus habe die Linke nichts am Hut.

Ursprünglich sollte die Aktuelle Stunde bereits am Donnerstag stattfinden. Doch weil der Linke-Abgeordnete Jan Korte (Autor des Buches: „Instrument Antikommunismus. Sonderfall Bundesrepublik“) am Mittwoch kurzfristig eine Aktuelle Stunde über die Rolle des Bundesnachrichtendienstes bei der Suche nach NS-Verbrecher Adolf Eichmann beantragt hatte, verschob sich die Aussprache zu Lötzsch’ Kommunismus-Thesen. Union und FDP warfen der Linken daraufhin vor, mit „Termin-Trickserei“ die Debatte abschwächen zu wollen. Denn am Nachmittag sind viele Abgeordnete auf dem Weg in ihren Wahlkreis oder nach Hause. Offenbar sei der Linken „die eigene Vorsitzende peinlich“, kommentierte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe.

Die "blutige Spur" des Kommunismus

I n der Debatte, bei der alle Parteien (bis auf die Linke) die Kommunismus-Thesen zurückwiesen und sich für das demokratische System stark machten, verwies Gröhe auf die weißen Kreuze für die Mauertoten, die zeigen würden, wohin der Weg zum Kommunismus führe.Er zählte die Zahlen der Opfer aus, die kommunistische Diktaturen weltweit zu verantworten haben. „Das ist eine menschenverachtende Ideologie, die ihrer Partei noch immer anhängt“. Die Linke sei und bleibe die Erbin der SED. Einen Hinweis auf die Opfer hatte Lötzsch aus ihrem Aufsatz streichen lassen.

Auch Wolfgang Thierse (SPD) erinnerte an die „blutige Spur“ des Kommunismus und widersprach Behauptungen, die Äußerungen von Lötzsch würden böswillig interpretiert. „Sie sind bewusst an Anhänger der Partei gerichtet“, so Thierse. Wer am Traum einer gerechten Gesellschaft festhalte, der könne das nach der furchtbaren Geschichte kommunistischer Herrschaft nur mit anderen Wegen versuchen, „ansonsten diskreditiert er sich moralisch und politisch.“

Der FDP-Politiker Jens Ackermann bezeichnete Lötzsch als geistige Brandstifterin, die Linksextremisten ermutige, demokratische Werte mit Füßen zu treten. Mitglieder der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) waren Anfang Januar von Linksradikalen angegriffen worden, als sie am Rande einer Konferenz mit Gesine Lötzsch gegen deren Kommunismus-Äußerungen demonstrierten. Lötzsch scheine zu vergessen, so Ackermann weiter, dass sie in der Demokratie frei über Kommunismus philosophieren dürfe, während in der DDR das öffentliche Nachdenken über Freiheit hart bestraft wurde.

Sein Parteifreund Patrick Kurth kritisierte, dass Lötzsch sich der Debatte nicht stelle und sah darin den Beleg ihrer mangelnden demokratischen Auffassung. Die Ablehnung ihres Aufsatzes zeige dagegen: „Das demokratische und gesellschaftliche Immunsystem ist intakt.“ Wolfgang Wieland von den Grünen wiederum nannte den Redebeitrag von Maurer „Heuchelei“ und erhielt dafür sogar Beifall aus der Union. Er zitierte aus Texten von Sahra Wagenknecht, die nicht nur Ikone der Kommunistischen Plattform der Linke sei, sondern auch Parteivize. Nicht nur für Wieland ist klar: Der Text von Lötzsch steht für eine angestrebte praktische Politik.

Die Akte "Klaus Singer"

Mehrere Politiker sprachen sich deshalb dafür aus, die Linkspartei weiterhin vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. An Grüne und SPD erging die Aufforderung, nicht mit der Linke in den Ländern zu koalieren und jede Zusammenarbeit aufzukündigen, so lange die sich nicht von Lötzsch distanziere.

Die Parteichefin wird selbst mit ihrer Abwesenheit nicht verhindern können, dass die Diskussion über die demokratische Verfasstheit der Linken weitergeht. Am Mittwoch hatte die „B.Z.“ bekannt gemacht, dass der Leiter ihres Bundestagsbüros, Klaus Singer, hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) war. Von 1978 bis 1981 gehörte er mit Zustimmung von Stasi-Chef Erich Mielke dem Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ an, dessen Mitglieder automatisch als Hauptamtliche firmierten. Das Wachregiment wurde überall dort eingesetzt, wo es „Sicherheitsrelevantes“ zu bewachen gab.

Singers Akte wurde archiviert, was bedeuten könnte, dass er nicht – wie andere Mitglieder des Wachregiments – nach seinem Ausscheiden zum Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) wurde. Dennoch hat er es vorgezogen, zu den Enthüllungen zu schweigen – wie auch Lötzsch, für die Singer seit Jahren arbeitet. Forderungen nach einer Überprüfung aller Mitarbeiter der Linke-Fraktion gibt es bereits.