Die USA wollen auf die Raketenabwehr in Polen und Tschechien verzichten und verprellen damit ihre treuesten Verbündeten. Das neue System könnte aber gegen die iranische Bedrohung besser funktionieren. Besser jedenfalls als Ronald Reagans “Star Wars“-Konzept, das allerdings ein politischer Erfolg war.
Vor 26 Jahren hat der damalige US-Präsident Ronald Reagan seine Vision eines Raketenabwehrschirms für die USA vorgestellt. Funktioniert hat „Strategic Defense Initiative“ (SDI) zwar nie. Aber dafür hat das „Star Wars“-Konzept immer schon die Gemüter erregt. Und das gilt bis heute, auch wenn der geplante Raketenabwehrschirm inzwischen weit irdischere Formen angenommen hat.
Die vorletzte Version war die von George W. Bush, der in Tschechien und Polen Radar und Abfangraketen bauen wollte, die vor allem mögliche Langstreckenraketen aus dem Iran abschießen sollten. Nun will aber auch Barack Obama der Geschichte seinen Stempel aufdrücken und hat am Mittwoch angekündigt, auf diese Stellungen zu verzichten.
Statt der riesigen, mehrstufigen ballistischen Raketen, die Bush geplant hatte, die aber in Test bisher nicht überzeugen konnten, setzt Obama auf ein flexibleres System. Seine Vision: Mobile, schon erprobte SM-3-Raketen sollen auf Schiffen mit Aegis-Kampfsystemen im Mittelmeer stationiert werden, um iranische Kurz- oder Mittelstreckenraketen abzufangen.
Die Frage, ob das am Ende auch funktionieren wird, war immer schon eher eine für die großen Jungs, die sich technikbegeistert auf die Details der jeweiligen Abwehrpläne stürzten und sie entweder für Schrott oder für machbar erklärten. Dafür, dass das System seit 1983 im Werden ist und noch nie in Betrieb ging, hatte es aber erstaunliche politische Folgen.
Reagans Ankündigung 1983 war „ein technischer Flop, aber ein diplomatischer Triumph“ schreibt die "New York Times". Bei Obama scheint es umgekehrt zu sein: Das neue Konzept ist besser auf die aktuelle Bedrohungslage aus dem Iran abgestimmt und scheint technisch auch einfacher zu bewerkstelligen zu sein.
Diplomatisch ist es aber eine Katastrophe. Es verstärkt in Osteuropa den Eindruck, von Amerika aufgegeben zu werden zugunsten einer Annäherung an Russland. Und das in einer Zeit, in der der Georgienkrieg und Moskauer Energieerpressungen ohnehin die Angst in Osteuropa vor neuen russischen Expansionsgelüsten schüren.
Reagans „Star Wars“-Pläne waren ein wichtiges Element, das half, den Kalten Krieg zu beenden. SDI zeigte den Sowjets, dass sie weder technisch noch finanziell beim Rüstungswettlauf mit den Amerikanern mithalten konnten. Reagan hatte gelaubt, dass der Schutzschirm Atomraketen überflüssig machen würde.
Tatsächlich war die Star-Wars-Drohung dann eine der Voraussetzungen dafür, dass Michail Gorbatschow und Reagan sich 1986 in Reykjavik auf eine umfassende Abrüstungsinitiative einigten.
Für Barack Obama ist der Raketenabwehrschirm nun ebenfalls ein Mittel, um die Beziehungen zu Russland zu verändern. So hat Obama bei seinem Moskaubesuch Anfang Juli dem russischen Junktim zwischen den Verhandlungen über ein Start-Folgeabkommen und der Frage der Raketenabwehr zugestimmt. Die Abrüstungsverhandlungen über strategische Waffen sind ein Lieblingsprojekt von Obama und der linken Basis seiner Partei.
Um sie nicht zu gefährden, hat er jetzt offenbar eingelenkt und den Russen den Verzicht auf die Anlagen in Polen und Russland zugestanden. Dafür war Obama bereit, langjährige treue Verbündete in Osteuropa vor den Kopf zu stoßen.
Die Regierungen in Polen und Tschechien hatten ja erhebliches politisches Kapital in diese Angelegenheit investiert, um die Basen zum Teil gegen den Willen ihrer Bevölkerungen durchzusetzen. In Tschechien ist Premier Mirek Topolanek gar mit über diese Frage gestürzt.
Nun lässt Obama die im Regen stehen, die auf ein enges Bündnis mit den USA gesetzt hatten. Als Obama Polens Premier Donald Tusk die Entscheidung am Telefon mitteilte, scheint der so perplex gewesen zu sein, dass er den US-Präsidenten fragte, ob die damalige harte polnische Verhandlungsführung ihm den Zorn Washingtons eingehandelt habe.
Sowohl in Prag als auch in Warschau gibt es nun einige beschwichtigende Stimmen, die retten wollen was noch zu retten ist in den Beziehungen zu Amerika. Die Mehrheit der Reaktionen fällt aber negativ aus. „Das Jahr 2009 ist das Ende eines engen Bündnisses, das recht lange, nämlich neun Jahre, gedauert hat“, schreibt die "Gazeta Wyborcza". Die Boulevardzeitung "Fakt“ formuliert es auf ihrer Titelseite drastischer: „Was waren wir naiv! VERRAT! Die USA haben uns an Russland verkauft und uns den Dolch in den Rücken gestoßen“.
In Tschechien nannte der Chef des Verteidigungsausschusses, der Konservative Jan Vidim, Obama gar einen „Feigling, der gegenüber Russland einen Rückzug nach dem anderen” mache. „Ich betrachte dies als Verrat an der Verbündeten”, sagte Vidim. „Sollte die Obama-Administration noch einmal mit einem Wunsch an uns herantreten, werde ich der erste sein, der dagegen auftreten wird.” Manche Zeitungen zogen gar Parallelen zum Münchner Abkommen von 1938.
Es ist der erste grobe diplomatische Fehler der Obama-Regierung. Offenbar hatte man unterschätzt, welche Wellen die Entscheidung in Osteuropa auslösen würde und hat dann hektisch versucht, mit Anrufen von Obama und Hillary Clinton und der Entsendung von Emissären den Schaden zu begrenzen. Es war auch nicht gerade sensibel, die Nachricht am 70. Jahrestag des sowjetischen Überfalls auf Polen zu verkünden. Schließlich ruft der amerikanische Liebesentzug jene Urängste bei den Osteuropäern wach, dem russischen Zugriff hilflos ausgeliefert zu sein.
„Die Polen und Tschechen hatten Bushs Raketenabwehrplänen nicht wegen der iranischen Raketen zugestimmt, sondern weil sie das Vertrauen in die Nato verloren hatten“, schreibt der amerikanische Osteuropaexperte Ronald D. Asmus in der "Washington Post". „Die atlantisch ausgerichteten Führer strebten zusätzliche Sicherheit an mithilfe einer amerikanischen Militärpräsenz auf ihrem Boden. Das ist der Grund, warum die Raketenabwehr in der Region eine politische Bedeutung erhielt, die weit über die Leistungen des Systems hinausging.“
Weil die Nato und die USA nach dem Ende des Kalten Krieges auf eine Truppenpräsenz in den neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten verzichteten und die Nato bis heute nicht einmal Verteidigungspläne für sie ausgearbeitet hat für den Fall eines russischen Angriffs, wurde die Raketenabwehr in Prag und Warschau als wichtiges Faustpfand für die eigene Sicherheit gesehen. Obama hat ihnen dieses Faustpfand nun genommen, ohne die Ängste dieser treusten Verbündeten Amerikas mit anderen Zugeständnissen zu besänftigen.
Es ist also das eingetreten, was Russland erreichen wollte. Zwar stellten die geplanten Anlagen nie auch nur im Entferntesten eine Bedrohung für die russische Abschreckungsmacht dar. In Moskau wollte man aber die enge Verflechtung amerikanischer und osteuropischer Sicherheitsinteressen verhindern, die die Basen darstellten.
Auch die Vertrauenswürdigkeit Amerikas leidet durch diese Entscheidung. Denn was zunächst die Israelis erkennen mussten, lernen nun auch die Osteuropäer: Auf Abmachungen mit Washington ist kein Verlass – manchmal gelten sie nur eine Präsidentschaft lang.
Polen und Tschechien haben sich beim Irakkrieg auf Seiten der USA gestellt und Truppen entsandt, nicht, weil sie vom Krieg sonderlich überzeugt waren, sondern weil sie die USA als strategischen Partner gewinnen wollten. Nun erleben sie, dass Dankbarkeit keine politische Kategorie ist. In Zukunft wird es Washington schwerer fallen, andere Staaten dazu zu bewegen, politisches Kapital in Washington zu investieren in der Hoffnung auf strategischen Gewinn in der Zukunft.
Das alles ändert aber nichts daran, dass Obamas Entscheidung möglicherweise sachlich geboten war, um der iranischen Gefahr zu begegnen. Jedenfalls wenn die Prognose der amerikanischen Geheimdienste zutrifft, dass Teheran auf lange Zeit nicht in der Lage sein wird, Langstreckenraketen zu entwickeln und zu bauen.
Im Außenpolitik-Magazin „Foreign Policy“ feiert Joseph Cirincione Obamas Entscheidung deshalb als „neuen Verteidigungsrealismus, einen Triumph von Pragmatismus über Ideologie“. Der US-Präsident habe ein System ersetzt, das nicht funktionierte und gegen eine Gefahr gerichtet war, die nicht existierte.
Die gute Nachricht für Europa ist, dass der Kontinent mit dem neuen Konzept besser geschützt wäre. Bushs Raketenabwehr deckte nur einen Teil Europas ab und sollte vordringlich Amerikas Ostküste vor iranischen Langstreckenraketen schützen. Mit SM-3-Raketen auf Schiffen im östlichen Mittelmeer (und möglicherweise festen Basen etwa in der Türkei), rückt die Raketenabwehr näher an Iran heran und wäre so in der Lage, Kurz- und Mittelstreckenraketen abzufangen, die Iran gegen Europa oder einige nahöstliche Alliierte abschießt.
Das jedenfalls sind die Raketen-Technologien, die Iran schon beherrscht oder bald beherrschen wird und die deshalb die unmittelbarere Gefahr darstellen. Die Amerikaner würden also auf erhöhten Schutz für die eigene Ostküste verzichten und jenen Schirm für die europäischen Partner bereitstellen, auf den die Nato sich nie hat verständigen können – und das zum Nulltarif für die Europäer.
Politisch jedoch geht Obama damit ein erhebliches Wagnis ein. Er verprellt langjährige treue Verbündete, ohne dafür von Moskau eine Gegenleistung zu bekommen. Das ist der Schwachpunkt von Obamas „weicherer“ Außenpolitik: Sie hat bisher noch keinerlei Ergebnisse gezeitigt. Weder Nordkorea noch Iran haben Obamas ausgestreckte Hand bisher ergriffen.
Moskau hat bisher in keiner der wichtigen Fragen Entgegenkommen gezeigt und will weiter nichts von mehr Druck auf Teheran wissen. Und die europäischen Verbündeten sehen zwar mit Wohlwollen, dass Obama sie intensiver konsultiert, selbstkritik übt und die Europäer in Entscheidungen einbindet. Mehr Verantwortung wollen sie dafür aber nicht übernehmen und überlassen es allein den Amerikanern, den negativen Trend in Afghanistan durch Truppenaufstockungen noch einmal zu drehen.
Irgendwann wird Obama den Amerikanern aber belegen müssen, dass er mit seinem Kuschelkurs nicht nur für gute Stimmung sorgt, sondern auch Ergebnisse erzielt.
Mitarbeit: Gerhard Gnauck und Hans-Jörg Schmidt