Wie sinnvoll ist das Sitzenbleiben? Nachdem eine Studie gezeigt hat, dass diese Disziplinierungsmaßnahme teuer und wenig wirkungsvoll ist, melden sich jetzt Bildungsexperten und Politiker zu Wort. Die einen finden die Abschaffung des Sitzenbleibens falsch, die anderen sehen darin nur Vorteile.
Der Deutsche Philologenverband hat sich gegen eine Abschaffung des Sitzenbleibens an Schulen ausgesprochen. „Es hilft schwachen Schülern, den Abschluss doch noch zu erreichen“, sagte der Verbandsvorsitzende Heinz-Peter Meidinger Morgenpost Online. Eine Diskussion darüber bezeichnete er als „verlogen“. Wenn auf das Instrument des Sitzenbleibens verzichtet würde, müsse man gleich das komplette Schulsystem ändern, fügte Meidinger an.
Als Beispiel nannte er England. Dort würden zwar alle Schüler versetzt, später hätten aber nur die besten Zugang zu bestimmten Universitäten. Wer dort in der Schule Mathe abwähle, habe deutlich schlechtere Chancen. Für das deutsche System spreche auch, dass mindestens ein Viertel der Sitzenbleiber im nächsten Schuljahr deutlich bessere Leistungen zeige.
Der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm hatte gefordert, das Sitzenbleiben bis auf wenige Ausnahmen abzuschaffen. Laut einer Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung würden sich schwache Schüler dadurch nicht verbessern.
Außerdem würden Sitzenbleiber den Staat jedes Jahr rund eine Milliarde Euro kosten. Besonders teuer kommt dies Bayern zu stehen: Laut Studie zahlt das Land jährlich 195.000 Euro zusätztlich, weil Schüler eine Klasse wiederholen. Besser als Sitzenbleiben sei es, die Schüler individuell zu fordern, so Klemm.
Unterstützung findet er in der Politik: So bezeichnete der FDP-Bildungsexperte Patrick Meinhardt das Sitzenbleiben als „bildungspolitische Einbahnstraße“, die Zeit, Talente und Geld vergeude. „Das unnötige Geld, das wir für nicht versetzte Schüler ausgeben, muss in die Förderung der Schüler gesteckt werden“, forderte Meinhardt.
Auch die Grünen fordern „mehr individuelle Förderung, anstatt mit dem pädagogischen Holzhammer Kinder noch mehr zu entmutigen“. Klemm bestätige eine schon 2008 von der Grünen-Fraktion in Auftrag gegeben Studie, erklärte die bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Priska Hinz.
„Das Problem wird maßlos überschätzt“, sagte hingegen Josef Kraus vom Deutschen Lehrerverband. „Deutschlandweit beträgt die Durchfallquote weniger als zwei Prozent.“ Ziel sei es die Quote zu halbieren. Sitzenbleiben sei ein pädagogisch sinnvolles Instrument. „Da darf man nicht in Euro aufrechnen.“ Außerdem gebe es mittlerweile die Möglichkeit, auf Probe in die nächste Klasse vorzurücken. Darüber entscheide am Ende des Schuljahres die Lehrerkonferenz.
Laut bayerischem Kultusministerium rücken an den landeseigenen Gymnasien jedes Jahr etwa zehn Prozent schwacher Schüler nach. Auch bei den seit 2004 im Land durchgeführten „Nachprüfungen“ schafften es einige schwache Schüler noch in die nächsthöhere Klasse. „Ein generelles Abschaffen des Sitzenbleibens ist deshalb nicht opportun“, sagte Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle. Sonst würden auf Dauer schwache Schüler mitgeschleppt, die das allgemeine Niveau senkten.
Er betonte, dass zudem über die Hälfte der bayerischen Sitzenbleiber dies freiwillig täten. Um die Quote weiter zu senken, wolle er sich mit den anderen Bundesländern beraten. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2006 schätzen 66 Prozent der Deutschen das Sitzenbleiben als sinnvoll ein und wollen es als pädagogische Maßnahme beibehalten.