Die Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet hat im Bundeskriminalamt (BKA) höchste Priorität. Doch der Wiesbadener Sicherheitsbehörde sind momentan die Hände gebunden, da die Politik wenig Handlungsspielraum lässt. Alarmierende Zahlen enthält eine gerade erschienene interne BKA-Studie für das erste Halbjahr 2010, die Morgenpost Online vorliegt. „Kinderpornografische Webseiten bleiben trotz aller Löschungsbemühungen eine zu lange Zeit abrufbar“, heißt es in dem Resümee des BKA.
40 Prozent solcher Internetseiten können demnach noch nach einer Woche auf den Computer geladen werden. Bis zum Verschwinden der Seiten gibt es laut der Untersuchung „immense Zugriffszahlen“, was zu „einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ führe. Das BKA schlägt als Lösung deshalb das Sperren der Seiten „bis zur Löschung“ vor.
Präsident Jörg Ziercke hatte mehrfach für Sperren im Internet plädiert, stößt mit dieser Ansicht aber auf den Widerstand bei der mitregierenden FDP, die Liberalität im Netz fordert. Das alleinige Löschen im Netz führt laut Ziercke nicht zum Verschwinden der schrecklichen Bilder aus dem Internet, weil die Produzenten stets über Kopien des Materials verfügen.
Nur geringer Rücklauf
Beim BKA gingen zwischen Januar und Juni nur 20 direkte Löschungsbestätigungen ein, hauptsächlich aus der Russischen Föderation. Die meisten Server stehen dort sowie in den USA und Niederlanden, aber auch in Kanada, Schweden und Zypern. Die Fahnder können die zuständigen Provider wegen Untervermietung oder Umleitungen ins Ausland oft nur schwer ermitteln, heißt es in der Expertise. Fazit des Innenministeriums in seinem Entwurf zu einem Aktionsplan gegen Kinderpornografie ist, dass „die Kooperation zwischen den Staaten besser werden muss“. Vor allem bei der Rückmeldepraxis aus den USA und den Niederlanden sieht das Ministerium „Verbesserungspotenziale“.
„Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die Zahlen im zweiten Halbjahr besser sein werden als im ersten“, sagte der Innenausschussvorsitzende im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), Morgenpost Online zu der BKA-Studie. Die Behörde habe durch die Praxis nachgewiesen, dass die Löschung kinderpornografischer Seiten in einem viel zu geringem Umfang möglich sei. „Wenn man aber nicht löschen kann, muss man wenigstens den Zugang durch Internetsperren erschweren. Dafür plädiert die Union energisch“, sagte Bosbach weiter. Er forderte den Koalitionspartner FDP auf, möglichst rasch zu klären, ob sie das mitträgt: „Kritik am BKA ist keine Antwort.“
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hält hingegen am Prinzip „Löschen statt Sperren“ fest. Sie findet es positiv, dass das BKA „nach längerem Vorlauf angefangen hat, das Löschen kinderpornografischer Seiten voranzutreiben. Die kurze Laufzeit des neuen BKA-Arbeitsschwerpunktes „Löschen vor Sperren“ lässt nach ihrer Ansicht aber keine Rückschlüsse hinsichtlich der Effektivität zu. Sie gibt der Behörde eine Mitschuld an den schlechten Zahlen: „Belastbare Zahlen hängen sicher auch von den künftigen personellen Ressourcen des BKA ab.“
Der Streit hat eine lange Vorgeschichte: Die schwarz-rote Koalition hatte am 18. Juni 2009 ein „Zugangserschwerungsgesetz“ beschlossen, um den Zugang zu kinderpornografischen Inhalten im Internet zu erschweren. Damit sollte das BKA mit einer laufend aktualisierten Liste strafwürdiger Netzadressen Internet-Provider in die Pflicht nehmen, einschlägige Seiten zu löschen.
Das Gesetz war ein Kompromiss. Ursula von der Leyen (CDU), damals noch Familienministerin, hatte zuvor eine Änderung des Telemediengesetzes angeregt. Danach wären die betroffenen Seiten lediglich gesperrt worden; anstelle der verbotenen Inhalte sollte ein Stoppschild auf den Bildschirmen der Nutzer erscheinen. Fünf der acht großen deutschen Internetanbieter hatten ihre Mitwirkung zugesagt. Gegen das Gesetz hatte die Berlinerin Franziska Heine eine Online-Petition eingereicht, in der sich mehr als 134.000 Mitzeichner gegen das Stoppschild aussprachen. Die Kritiker warfen der Ministerin Zensur im Internet vor und schmähten sie mit dem Etikett „Zensursula“. Auf Wunsch der FDP, die im Bundestag gegen das Gesetz gestimmt hatte, wurde es von der schwarz-gelben Koalition teilweise ausgesetzt.
Streit über Gesetz
Im Koalitionsvertrag, der am 24. Oktober 2009 unterzeichnet worden war, vereinbarten Union und FDP eine einjährige Probefrist. Man sei sich über die Notwendigkeit einig, heißt es dort, derartige kriminelle Angebote schnellstmöglich zu löschen, statt diese zu sperren. Laut der Vereinbarung werden „wir daher zunächst für ein Jahr kinderpornografische Inhalte auf Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes nicht sperren“. Die Koalitionspolitiker streiten jetzt darüber, ob das geltende Gesetz vollständig angewendet werden soll oder nicht. Den Ermittlern und den Kindern hilft das nicht: Das BKA erhält rund 150 Hinweise im Monat, mit denen sich die Kinderpornografie im Internet bekämpfen lässt. 63 Prozent kommen von Hotlines und der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, 22 Prozent von Polizeidienststellen aus dem In- und Ausland, 14 Prozent direkt von Bürgern und ein Prozent von Interpol oder Europol.