Bildungsmesse Didacta

Verunsicherte Pädagogen, fragwürdige Ratgeber

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Margita Feldrapp

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Der Pisa-Schock sitzt noch immer tief bei Deutschlands Lehrern. Auf der Bildungsmesse Didacta lassen sich die gut ausgebildeten Pädagogen von seltsamen Heilsbringern ködern. Selbst ernannte Fachleute verkaufen Gymnasiallehrern dann Grundschul-Strategien – und die klammern sich an alles, was Erfolg verspricht.

Goldene Zeiten waren es für Pädagogen, als sie noch stolz durch die Kleinstadt spazierten und unbeachtet von Erziehungsmethoden die waren, die zusammen mit dem Herrn Pfarrer und dem Herrn Bürgermeister das Sagen hatten.

Kläglich, ja beinahe bemitleidenswert dagegen, wie sie auf der Bildungsmesse Didacta, die am Wochenende in Köln zu Ende ging, um Wühltische drängen, um ein vergünstigtes Schulbuch zu ergattern, oder sich von Verlagsvertretern belehren lassen, wie sie „selbst mit Wichtelwissen“ mit den neuen Lehrplänen zurechtkommen, welches Handbuch mit den besten Methoden „garantiert auch Ihren Unterricht“ gelingen lässt. Was ist geschehen, dass Pädagogen, die eine umfangreiche Ausbildung absolviert haben, anfällig sind für infantile Erfolgsversprechen, gepaart mit naiver Methodengläubigkeit?

Auf der Didacta informieren sich nicht die arbeitsscheuen Studienräte, die Studien zufolge ihren Beruf ohnehin nur aus Verlegenheit gewählt haben, sondern die Motivierten, Innovationsfreudigen, die, die wenigstens für einen Nachmittag eintauchen wollen in die Schule der Zukunft. Denn im Weltbild der Messe kämpft man etwa längst nicht mehr darum, Klassen ans Netz zu bringen, sondern denkt bereits über verschließbare Rollschränke für Schülernotebooks nach. Hier treffen sich Lehrer, die vorausdenken, ihre Arbeit gut machen wollen. Manchmal zu gut.

Gerade Gymnasialpädagogen, denen Pisa-Ergebnisse und Hauruck-Reformen so zugesetzt haben, dass sie in Imagestudien weit hinter Ärzten oder Pfarrern rangieren, klammern sich an alles, was Erfolg verspricht. Ganz vorn unter den pädagogischen Heilsbringern sind Lernmethoden aus der Grundschule – schließlich stand diese bei den internationalen Leistungsvergleichen Iglu und Vera recht passabel da. Und so versucht man es auch bei den Älteren mit Lückentexten, Lernspielen, Lerntagebüchern und Ähnlichem.

Gewiss mag es für Sechstklässer sinnvoll sein, Vokabeln mit bunten Legekärtchen zu wiederholen. Ob es aber wirklich dazu dient, dass Achtklässer „mit Lust und Laune lesen“, wenn sie Heines Loreleylied rückwärts buchstabieren? Und wer bekommt schon ein Gefühl für Goethes Gedichte, wenn er sie lediglich peinlich genau nach Metaphern absucht?

Man muss sich fragen, ob ein Lehrer, der sich für solche Materialien interessiert, selbst noch einen Bezug für die Inhalte hat oder nur danach geht, ob er die Arbeit der Schüler mit „richtig“ oder „falsch“ bewerten kann. Und wie steht es um seine psychologischen Kenntnisse, wenn er glaubt, pubertierende Jugendliche dazu bringen zu können, in Tagebüchern festzuhalten, was sie bei ihm gelernt haben?

Aber auch die Grundschullehrer sind anfällig für fragwürdige Ratgeber, wenn sie nur wissenschaftlich klingen und besorgte Eltern befriedigt. Papst der Methodenindustrie, bisweilen auch „Totengräber der Didaktik“ genannt, ist Heinz Klippert, der den Markt mit Materialien überschwemmt, in denen er alles, was in einem Klassenzimmer geschieht, unter dem wohlklingenden Begriff „Kompetenzerwerb“ durchbuchstabiert. Unterstreichen Schüler Schlagworte in einem Text, fällt es unter die Kompetenz „markieren“, wenn sie nur stumm dasitzen, dient das immerhin der Kompetenz „zuhören“. Hätte dafür nicht der gesunde Menschenverstand gereicht?

Wie schlimm muss es um Pädagogen stehen, die Schülern nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden wollen, aber sich selbst nichts mehr zutrauen, ja im Strudel der Bildungsdebatten gar so in Mitleidenschaft gezogen werden, dass sie sich unter dem Stichwort „Lernförderung und Lehrerentlastung“, so etwas wie das Betriebsgeheimnis der Didaktikindustrie, jeden Unfug schmackhaft machen lassen?

Man redet über Methoden, aber nicht über Menschen, über die Inhalte der einzelnen Stunde, nicht aber über das, was Ziel aller Erziehung sein muss, nämlich ein mündiger Bürger zu werden, teilzuhaben an der Gesellschaft und Verantwortung zu übernehmen wie einst die Bürger in der griechischen Polis.

Peter Sloterdijks Überlegung, ob die Verunsicherung unter den Pädagogen nicht auch damit zu tun habe, dass sich statt eines Herrn Lehrers häufiger eine junge Pädagogin der Schüler annehme, sei als Stammtischgerede dahingestellt. Vielmehr gilt es, zum Credo zurückzukehren, das in der pädagogischen Literatur so häufig beschworen wie im Alltag vergessen wird: Auf die Authentizität des Lehrers kommt es an, sein Rückgrat, seine Begeisterungsfähigkeit, nicht auf ein Sammelsurium vermeintlicher Innovationen.

Oder, wie Joachim Bauer, Entdecker der Spiegelneuronen, formulierte: Die stärkste Motivationsdroge für den Menschen sei schlicht der andere Mensch. In diesem Sinn rät Hilbert Meyer auf der Didacta, dass Lehrer zwar innehalten und selbstkritisch überlegen sollten, wie ihr Unterricht besser wird, sich aber nicht irremachen lassen sollten von all dem Geschrei um sie herum.