Leitartikel

Warum Wowereits Standpauke notwendig war

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Klaus Wowereit und Christine Richter

Klaus Wowereit und Christine Richter

Foto: Reto Klar / Funke Foto Services

Berlin will die Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken regeln - mal wieder. Das braucht viel Kraft, meint Christine Richter.

Er ist immer für einen klaren Spruch gut. Klaus Wowereit, der ehemalige Regierende Bürgermeister, holte jetzt in einer RBB-Talkshow aus und sagte: Die Verwaltung Berlins ist „heute schlechter aufgestellt als jede Kreissparkasse“. Und, so Wowereit: „Es gibt in Berlin so etwas wie eine kollektive Verantwortungslosigkeit.“

Aufmerksamkeit war dem SPD-Mann damit sicher, Applaus auch. Denn wer sich in Berlin bewegt, wer einen Termin beim Bürgeramt haben oder sein Fahrzeug anmelden will, wer am 26. September wählen gegangen ist oder in den Herbstferien vom BER in den Urlaub startete – der erlebt sie hautnah, die schlechte Aufstellung Berlins, aber auch die Reaktionen der Politiker auf allen Ebenen, das Rausreden, das Finger-Pointing auf andere, die für die Fehler verantwortlich seien, eben die kollektive Verantwortungslosigkeit.

Revolution - das sagt sich leicht

Folgt man Wowereit, der selbst fast 14 Jahre die Geschicke der Stadt geleitet hat, ist die schlechte Verwaltung nicht das Personal verantwortlich, sondern die Struktur. Die zwölf Bezirke hätten zu viel Macht, sagte der ehemalige Regierende Bürgermeister, der Senat zu wenig. Und forderte dann eine „Revolution“. Nun ja, das sagt sich so leicht, vor allem, wenn man kein politisches Amt mehr inne hat – und selbst viele Jahre lang wenig an dieser Struktur geändert hat.

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Eine kleine Revolution, die fand 2000 statt, als Wowereits Vorgänger Eberhard Diepgen (CDU) mit seiner großen Koalition aus CDU und SPD die Bezirksreform durchsetzte. Maßgeblich verantwortlich waren dafür der damalige SPD-Fraktionschef Klaus Böger und der damalige, inzwischen verstorbene CDU-Innensenator Jörg Schönbohm. Auch sie mussten Diepgen wahrlich antreiben, die Stadt ab Januar 2001 neu aufzustellen: aus 23 Bezirken dann zwölf ungefähr gleich große Einheiten zu formen. Geleitet jeweils von einem Bezirksbürgermeister und vier Stadträten.

Berlin - eine Summe aus zwölf Großstädten

Der politische Widerstand war erheblich, der große Wurf – etwa in allen Bezirksämtern die gleiche Aufgabenverteilungen bei den vier Stadträten vorzuschreiben – gelang damals noch nicht. Aber immerhin: Seitdem besteht Berlin aus zwölf Großstädten, mit jeweils rund 300.000 Einwohnern, Pankow inzwischen sogar mit rund 410.000 Einwohnern.

Weil die Herausforderungen in den Bezirken so unterschiedlich sind, weil die Innenstadt andere Bedürfnisse hat als die Außenbezirke, weil die politischen Verhältnisse in den Bezirken eben abweichen von denen auf Landesebene, wurde und wird bis heute unterschiedliche Politik gemacht. Eigene Interessen sind oft wichtiger als das Landesinteresse – etwa beim Ausweisen von Flächen für den Wohnungsbau.

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Die Kraft, gar den Einfluss, daran etwas zu ändern, hatte keiner der Senate in den vergangenen Jahren – weder Rot-Rot noch Rot-Schwarz, auch nicht Rot-Rot-Grün. Weil dort, in den Bezirken, in den Kreisverbänden, die Basis sitzt, die sich nicht entmachten lassen will.

Giffey & Co brauchen jetzt eine Menge Kraft

Folgt man den drei Parteien, die sich jetzt anschicken, Berlin die nächsten fünf Jahre zu regieren, dann wird die Verwaltungsreform eines ihrer großen Projekte. Neben dem Wohnungsbau, dem Klimaschutz, der Energie- und Verkehrswende. Dazu zählt die Digitalisierung, für die sich jeder Politiker in dieser Stadt, egal auf welcher Ebene, in Grund und Boden schämen müsste ob des seit Jahren und fortdauernden schlechten Zustands, in dem sich die Berliner Behörden befinden.

Zur Verwaltungsreform zählt aber auch eine klare Aufgabenverteilung zwischen Senat und Bezirken. Um welche Aufgaben es geht, ist allen Beteiligten klar, jetzt brauchen Franziska Giffey & Co nur noch den Mut, das auch umzusetzen. Und eine Menge Kraft.