Berlinale

Thomas Arslans „Gold“ ist ein wahres Unikum

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Peter Zander

Foto: Patrick Orth / dpa

Der deutsche Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Gold“ handelt von einer Frauenemanzipation im Wilden Westen - mit Nina Hoss hoch zu Ross.

Es war erst der dritte Tag der Berlinale, und doch dürften wir die quälendste, die unerträglichste Filmszene schon hinter uns haben. Im Western „Gold“ tappt Uwe Bohm nämlich in eine Bärenfalle, die Wahrscheinlichkeit eines Wundbrands zwingt zu drastischen Maßnahmen. Aber was tun mitten in der Wildnis, Hunderte von Meilen weg von jeder Zivilisation und jedem Arzt?

Bohm trinkt schon mal einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche und presst sich einen Stock zwischen die Zähne. Und Nina Hoss legt die Säge ins Feuer. Was dann kommt, wir sehen es glücklicherweise nicht. Aber wir hören es, und zwar recht lange: das Ritscheratsche der Säge und die Wehlaute des Mannes. In diesem Moment geht ein dumpfer Aufschrei durch den Berlinale-Palast. Und alle winden sich in ihren Sesseln.

Zum Golde drängt doch alles

Thomas Arslans „Gold“ ist ein wahres Unikum. Er ist ein deutscher Western. Das Genre wird im hiesigen Kino nicht eben gepflegt. Die paar Beispiele, die uns einfallen, sind schon eine Weile her. Sie handeln von Winnetou und Old Shatterhand. Sie stammen alle aus der Feder eines Autors, der nie selbst im Wilden Westen war. Und sie wurden alle im damaligen Jugoslawien gedreht. So wie die Ost-Western mit Gojko Mitic in Rumänien. „Gold“ aber ist der erste deutsche Western, der wirklich vor Ort gedreht wurde, in den Weiten Kanadas. Der den Atem jener Zeit wirklich spüren lässt. Noch ein Unikum.

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Und „Gold“ deckt noch eine Minderheit ab: Er ist ein Frauen-Western. Frauen spielen in dem Genre eigentlich keine Rolle. Die paar Beispiele, die uns einfallen, heißen „The Missing“, „Meek’s Cut-off“ und „True Grit“ und liefen erstaunlicherweise alle in den letzten zehn Jahren auf der Berlinale. Möglicherweise ist Dieter Kosslick der Begründer dieses Untergenres, auf jeden Fall ein Förderer. Nicht umsonst war der Mann mal Pressesprecher der Hamburger Leitstelle für die „Gleichstellung der Frau“.

In seiner Berlinale gibt es, im Gegensatz zu Cannes, gleich mehrere Regisseurinnen im Wettbewerb, in der Jury sitzen sogar erstmals mehr Frauen als Männer. Und jetzt sitzt, im einzigen rein deutschen Wettbewerbsfilm, sitzt auch noch eine Frau im Sattel. Und steht ihren Mann. Der einzige deutscher Frauenwestern aus Amerika – das sind so viele Unika, der Film müsste glatt unter Artenschutz stehen.

Nina Hoss im Goldrausch

Der Film handelt vom Goldrausch, der Ende der 1890er Jahre den Westen erfasste, als er schon nicht mehr so wild war. Als er längst erschlossen war und schon von ersten Krisen geschüttelt wurde. Die Zeit des klassischen Western ist da schon vorbei. Jetzt zieht man nicht mehr gen Westen, sondern in den Norden, nach Kanada. Zum Klondike, wo sagenhafte Goldmengen warten sollen. Das jedenfalls hat damals die Sensationspresse vorgegaukelt – und einen Massenexodus ausgelöst. Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles: Das aber wusste schon der deutsche Doktor Faust.

Deutschland als Emigrationsland

Wir Deutschen wissen nicht viel von diesem Klondike-Fieber. Vor allem wissen wir hierzulande nicht, wie viele Deutsche sich an diesem Zug beteiligt haben. „Dutchmen“, wie sie von den knorrigen Kanadiern genannt wurden. Deutschland sieht sich ja eher als Immigrationsland.

Es ist daher durchaus reizvoll, wenn Arslan, der auch in früheren Filmen schon Migrationsthemen behandelte, einmal das Gegenteil zeigt: Deutsche, die aufbrechen, um ihr Glück zu finden. Um Klassen und Stände zu überwinden. Auch um sich zu emanzipieren. Und da kommt die Frau ins Spiel.

Lass den Hut, lass das Korsett fahren

Nina Hoss kommt anfangs in Ashcroft an, der nördlichsten Bahnstation in Kanada. Die Emily Meyer, die sie spielt, ist einst aus Bremen ausgewandert, sie hat, das erfahren wir aber erst später, in Chicago als Dienstmädchen gearbeitet. Das ist nicht gut gegangen. Sie hat dann geheiratet. Auch das ist nicht gut gegangen. Und mehr, sagt sie knapp, gebe es über sie nicht zu erzählen.

Dass sie sich allein und ohne Mann einem deutschen Treck anschließt, das bleibt nicht unbemerkt. Und wird argwöhnisch bis neidisch beobachtet. Dabei versucht diese Emily ganz lange, das Äußere zu wahren. Trägt einen Hut, der nicht nach Western aussieht, eher nach Modediktat und Gesellschaftszwang. Sie trägt auch ein Korsett. Den Hut wird sie als erstes ablegen.

Die glorarmen Sieben

Zu siebt brechen sie auf. 1500 Kilometer durch die Wildnis. In sechs Wochen wollen sie in Dawson City ankommen. Sie ahnen nicht, was sich ihnen alles in den Weg stellen wird. Dabei treffen sie mal auf einen Pferdekadaver, mal auf einen Verzweifelten, der sich am Baum erhängt hat. Und, besondern kurios, einem völlig desillusionierten Rückkehrer, der achtlos an ihnen vorbei trottet. Aber da glauben sie noch an ihr Ziel.

Sie glauben das nicht mehr lange. Erst guckt der Führer des Trecks (Peter Kurth) immer auf die Landkarte, bevor er seine Schutzbefohlenen klammheimlich verlassen will. Als nächstes bleiben die Köche zurück. Und dann tappt Uwe Bohm in besagte Bärenfalle. Die Dramaturgie folgt allzu deutlich jenem Kinderreimlied von den zehn kleinen Afrikanerkindern, das man heute, weil politisch unkorrekt, eigentlich nicht mehr zitieren darf. Aber wie dort dezimiert sich auch hier die Zahl der glorarmen Sieben.

Amerikaner hätten das in Cinemascope gedreht, mit farbsatten, stimmungsvollen Panoramabildern. Arslan und sein Kameramann Patrick Orth setzen dem eine dezidiert andere Ästhetik entgegen: eine, die kein zusätzliches Licht benutzt und die Landschaftsbilder in ein verengtes, man könnte auch sagen fernsehkompatibles Format zwingt. Das evoziert den merkwürdigen Eindruck einer Klaustrophobie im Freien, macht die Geschichte aber auch kleiner, als sie ist.

Pierre Brice, Gojko Mitic, Nina Hoss

Und weil man nach der Kinderlieddramaturgie ahnt, wie viele am Ende übrig bleiben, ist die Handlung recht vorhersehbar. Gold wird „Gold“ auf dieser Berlinale wohl nicht erlangen. Aber dennoch: Der deutsche Western lässt sich nicht mehr länger auf Pierre Brice und Gojko Mitic begrenzen. Auch Nina Hoss muss man künftig dazurechnen. Man wird am Ende nicht erfahren, ob sie Dawson City je erreichen wird. Aber zu sich selbst, als selbständige Frau, hat sie da längst gefunden. Und, auch das muss man vermerken, der Staub der Freiheit steht ihr gut.

Wiederholungen Friedrichstadt-Palast, 10.2. u. 15.2., 15 Uhr