Jazz-Festival

Avantgarde und Spaß: Das Xjazz-Festival startet

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Alexander Gumz
Die Anfänge von der Erfolgsband Seeed lassen sich zurückverfolgen zu den Musikern von Lychee Lassi, einer Band, die bereits ihr zwanzigjähriges Bestehen feiert

Die Anfänge von der Erfolgsband Seeed lassen sich zurückverfolgen zu den Musikern von Lychee Lassi, einer Band, die bereits ihr zwanzigjähriges Bestehen feiert

Foto: imago stock&people / imago/Martin Müller

Im Prince Charles eröffnet das Xjazz-Festival mit Lychee Lassi, der legendären Berliner Band, aus der später Seeed entstand.

Berlin. Schwül und eng ist es im Prince Charles. Draußen hat es geregnet, Menschen stehen zwischen kleinen Pfützen herum und warten auf Musik. Xjazz ist so etwas wie das Jazzfest für die Coolen. Damen in stylischen Sommerkleidern rauchen zusammen mit Typen, die Zöpfe bis zum Hintern tragen. Manga-Jungs und Mädels hängen in schwarzen T-Shirts in einer Ecke herum, scharf beobachtet von finster dreinschauenden Alt-Jazzern.

Das Prince Charles, ein Club am Moritzplatz, versteckt in einem ehemaligen Schwimmbad, ist nur eine von zahlreichen Kreuzberger Locations, in denen bis Sonntagabend alles Mögliche gespielt wird, was heute Jazz ist – oder sein kann, wenn man es nur vehement genug behauptet. Stilreinheit steht auch im fünften Festivaljahr nicht auf dem Programm der Kuratoren Sebastian Studnitzky und Florian Burger. Und das ist gut so.

Trompetenklänge vom Plattenspieler

Über die Funktion-One-Anlage – die gleichen außerirdisch aussehenden Klanghörner, wie sie auch im Berghain stehen – kommen Bleeps und Blubbern, erst elegant, dann zunehmend brachial. Dazu ein durchgeknalltes Live-Schlagzeug von einem Kerl in schwarzem Anzug und Krawatte. Demian Kappenstein vom Duo „Christopher Rumble“ schlägt Beats in die Luft – die Lücken, die er lässt, machen ebenso den Groove aus, wie das, was er spielt. Jazz-Lektion Nummer eins: verstanden.

Dann setzt eine Trompete ein. Aber Moment – keine Trompete auf der Bühne zu sehen. Das ist DJ Illvibe, der scratcht einen Bläsersatz direkt von Platte, so old school als badete er in einem Elixier aus 90er-Jahren. Doch wie virtuos er das macht: Illvibe, Sohn des Jazzpianisten Alexander von Schlippenbach, kann auch Gesang und Soli direkt von Vinyl in einen Song einspeisen. Der Plattenspieler wird zum Instument. Das sagt eine Menge darüber aus, was für eine Art Jazz es bei Xjazz zu erleben gibt.

Seltener Auftritt von Lychee Lassi

Und das mit den 90er-Jahren ist nicht zufällig, nicht retro, sondern der Mann war damals schon dabei. Bei Seeed, dieser Power-Band, die über Jahre den Sound aller euphorischen Alt- und Neu-Berliner prägte. Die heute in immer größeren Hallen auftritt. Deren Sänger Peter Fox noch eine massive Solo-Karriere nachlegte. „Dickes B“, „Schwarz zu Blau“ – auf wessen Ghettoblaster am Kanalufer lief es nicht.

Vor dem Durchstarten aber gab es schon Insektenfunk. So nannten Schlagzeuger Sebastian Krajewski, DJ illvibe, und seine Jungs das, was ihre instrumentale Jam-Band, aus der Seeed entstehen sollte, machte. Sollte heißen: schnelles, präzises Gewusel. Diese Band hieß Lychee Lassi. Sie eröffnet das Xjazz mit der Feier ihres 20. Geburtstags. Ein seltener Auftritt, viele Fans und Freunde sind gekommen. Leute von damals drängen sich an Leute von heute. Auf die schönste Weise ist schwer zu erkennen, wer zu welcher Gruppe gehört.

Jubelstimmung statt ruhigem Jazz

Auch auf der Bühne werden Netzwerke gefeiert: „Hornbeef“ kommen noch zu Wort, spielen abstrakte Beats, die dem rohen Clubraum entsprechen, vermischt mit Soul- und Filmmusik-Samples – geschichtssatt und tanzbar, Avantgarde und Spaß zugleich. Auch diese Band besteht zum Teil aus Seeed-Musikern von damals und heute: Jérôme Bugnon an der Posaune und wieder DJ illvibe, der an diesem Abend alle Plattenkoffer voll zu tun hat.

Die latent im Raum hängende Jubelstimmung bricht vollends los, als sich Lychee Lassi einen Weg durchs Publikum bahnen. Krajewski knallt einen Funk in den Raum, dass einem die Hosenbeine schlackern. Der Rest der Band steht in Pop-Art-gefleckten Anzügen nebeneinander wie die Kraftwerke der klebrigen Tanzfläche. Sie mischen wilden Krautrock mit MG-Gestotter, Samba- und Bossa-Overdrive, dazwischen ein Blues-Solo vom weißen Mann. Dann kracht es wieder so knochentrocken, als sei der leibhaftige James Brown in sie gefahren. Lychee Lassi machen einen Höllenlärm. Eine Partyband, die liefert, als wären einige der Herren nicht schon grau ums Haupt. Das Publikum feiert hart. Einen Moment lang mag man nicht glauben, dass man auf einem Jazzfestival ist. Lektion Nummer zwei: gelernt.

Wann: Das Xjazz-Festival läuft noch bis Sonntag, den 13. Mai, u.a. mit MANU KATCHÉ, STIMMING X LAMBERT, CLARA HABERCAMP, MICATONE, Joachim Kühn Trio und CHRISTIAN LÖFFLER.

Wo: diverse Orte in Kreuzberg (Lido, Binuu, Prince Charles, Watergate, Privatclub, Monarch, Emmauskirche)

Weitere Infos finden Sie auf der Internetseite www.xjazz.net.

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