Georg Vierthaler bewegt sich gerade durch Funklöcher, der Generaldirektor der Berliner Opernstiftung ist fernab bei einer Opernkonferenz nahe Mailand unterwegs. Das Telefonieren ist eigentlich schwierig, aber aus Berlin hat er gehört, dass der Konflikt um die zwei zeitgleich geplanten Neuproduktionen von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ öffentlich diskutiert wird. Sowohl die Deutsche Oper als auch die Staatsoper wollen den Zyklus anbieten. Seit Herbst vergangenen Jahres habe er die Angelegenheit auf dem Tisch, sagt Vierthaler, es gab bereits verschiedene Gesprächsrunden dazu.
>> Kommentar: Überflüssige Opernstiftung
Die Deutsche Oper hatte bereits im vergangenen Jahr offiziell verkündet, dass sie Juli 2020 einen neuen „Ring“ des norwegischen Regisseurs Stefan Herheim starten wird. Die vier Teile des Opernzyklus werden unter Leitung von Generalmusikdirektor Donald Runnicles über drei Spielzeiten hinweg ihre Premieren haben. Inzwischen liegt aber auch das Vorhaben der Staatsoper auf dem Tisch, die eine Neuinszenierung des Russen Dmitri Tcherniakov plant. Daniel Barenboim dirigiert.
Absprachen gehören zum Gründungsmythos der Stiftung
Der doppelte „Ring“ ist nach dem Reglement der Opernstiftung allerdings nicht möglich. Es gehört gewissermaßen zum Gründungsmythos der 2004 entstandenen Stiftung, dass sich die drei Opernhäuser untereinander absprechen und ein künstlerisch und finanziell optimales Angebot fürs Berliner Publikum unterbreiten. Regelmäßig treffen sich dafür die drei Operndirektoren der Häuser. „Wir führen eine Liste, auf der die Werke deponiert werden, die die Häuser planen“, erklärt Christoph Seuferle von der Deutschen Oper. Beim Repertoire, also den beliebten Werken von Mozart, Verdi oder Wagner müssen mindestens zwei Jahre Pause zwischen zwei Premieren eines Stücks liegen. Seuferle erklärt es am Beispiel von Wagners „Lohengrin“, der in der Saison 2008/09 Premiere an der Staatsoper hatte und 2011/12 an der Deutschen Oper. Bei Überschneidungen zog bislang immer eines der Häuser seinen Wunsch zurück.
Was den „Ring“ angeht, so Seuferle, habe die Deutsche Oper ihn bereits im Jahr 2012 für die Saison 2019/20 deponiert. Und seitens der Staatsoper gäbe es auch noch keine Presseerklärung. Es sei ja auch noch ein bisschen hin. „Ein Kompromiss ist schwierig“, glaubt Seuferle: „Das ist inopportun“. Bei dieser Ansicht ist der Operndirektor natürlich seinem Haus verpflichtet. Jürgen Flimm, Intendant der Staatsoper, hatte am Donnerstag bereits gesagt, dass die Deutsche Oper ruhig noch einmal bei ihm oder seinem Nachfolger Matthias Schulz hätte anrufen können – bevor man solche Pläne verkündet.
Jeder neue Intendant bekommt seine Baustelle
„Ich bin ja gerade neu in der Stadt angekommen und werde mit allen reden“, teilt der designierte Staatsopern-Intendant Matthias Schulz am Freitag mit: „Und wir werden sicher eine kollegiale Lösung finden.“ Schulz sitzt seit Monatsbeginn im Schillertheater, im April 2018 übernimmt er das Amt von Flimm. Jeder neue Intendant bekommt offenbar seine Baustelle in Berlin.
„Es ist Aufgabe der Opernstiftung, zwischen den drei Opernhäusern eine abgestimmte Spielplangestaltung sicherzustellen“, sagt Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner. „Der Stiftungsrat hat sich mit der Angelegenheit bereits befasst und den Vorstand der Stiftung beauftragt, mit den Intendanten eine Lösung zu finden.“
Generaldirektor Vierthaler begrüßt es, dass „Herr Barenboim noch einen neuen Ring vorlegen möchte“. Als Generalmusikdirektor hat er an der Staatsoper bereits einen „Ring“ mit Regisseur Harry Kupfer und zuletzt einen mit Guy Cassiers gemacht. Letztere Inszenierung, eine Koproduktion mit der Mailänder Scala, lief in Berlin nicht so erfolgreich. Götz Friedrichs „Ring“ an der Deutschen Oper reicht in die 80er-Jahre zurück. „Ich glaube, dass die Deutsche Oper vernünftigerweise dran ist“, sagt Vierthaler.
Ein „Ring“ kostet zwei bis drei Millionen Euro
Vierthaler ist eher Pragmatiker denn Diplomat. Er sieht „hohe Anforderungen an die Werkstätten“. Beide Regisseure lieben opulente Bühnenbilder. Eine „Ring-“Produktion ist mit zwei bis drei Millionen Euro anzusetzen. Darüber hinaus führen die Wagner-Proben zu mehr Schließtagen als üblich im Betrieb. Dass Barenboim zu seinem Vertragsende 2022 hin noch einen „Ring“ in Berlin machen möchte, ist für ihn kein Argument. „Wo steht, dass Herr Barenboim nicht weiterhin im Amt bleiben wird?“ Berlin sei seine musikalische Heimat, die Staatskapelle hängt an ihm, er ist „auf dem Höhepunkt seiner Möglichkeiten“. Am Donnerstag tagt der Vorstand. Vierthaler will die Staatsoper zum Nachgeben überreden: „Daniel Barenboim sollte den Ring verschieben.“