In der Kinokomödie ließ Leander Haußmann die DDR wieder aufleben. Am Dienstag zeigt der Regisseur den Film im Zoo Palast.

„Stell dir vor, es ist Osten und keinem missfällt’s. Der ‚antifaschistische Schutzwall‘ bewahrt wieder vor ‚imperialistischer Propaganda‘, die FDJler tragen Blauhemden wie einst, die Trabis knattern, die Club-Cola sprudelt und im Fernsehen flimmert ‚Der schwarze Kanal‘. Wohlklingende Fantasie-Kurzwörter wie Mufuti (Multifunktionstisch) und ABV (Abschnittsbevollmächtiger) bereichern den Sprachschatz. Im Obst- und Gemüseladen gibt’s keine Bananen, eine Hauswand wirbt für Plaste und Elaste, ein auffällig unauffälliger Stasi-IM spricht Geheimbotschaften in seine Plastiktüte. Und zu alledem lächelt Erich als omnipräsentes Kruzifix von jeder Zimmerdecke herab.“

So begann damals meine Filmkritik in der Berliner Morgenpost. Und sie galt nicht etwa „Good Bye, Lenin!“ Der erste Film, der die DDR wiederauferstehen ließ (und nicht nur zum Schein, um eine aus dem Koma erwachte Mutter zu schonen), war „Sonnenallee“. Ein Film, der bewusst provozieren wollte. Weil er im Schatten der Mauer spielte und doch nicht vom großen Drama der Trennung erzählte, sondern von den kleinen Dramen und Nöten der Pubertät.

Ein Popmärchen über die Jugend in Ost-Berlin

In der Reihe „Hauptrolle Berlin“, in der der Zoo Palast und die Berliner Morgenpost an jedem ersten Dienstag im Monat einen Berlin zeigen, darf diese Produktion nicht fehlen. Eine Mauer-Burleske. Ein Popmärchen über eine Jugend im Ost-Berlin der 70er. Das keine Jammerarie auf den Unrechtsstaat anstimmt, sondern ihm rotzbubenhaft eine lange Nase dreht. Der Film

Bei den Dreharbeiten zu  „Sonnenallee
Bei den Dreharbeiten zu „Sonnenallee": Regisseur Leander Haußmann (l.) und Schauspieler Detlev Buck © picture-alliance / Berliner_Kuri | dpa Picture-Alliance / Uhlemann Thomas

startete 1999 auch nicht zum 10. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November in den Kinos, sondern ein paar Wochen zuvor, am 7. Oktober, zum 50. Jahrestag der DDR. Auch das eine Provokation, ein ironisches Augenzwinkern: der Geburtstag eines Landes, das es nicht mehr gab. Es hatte eine ganze Weile gebraucht, bis das deutsche Kino das untergegangene Land filmisch aufarbeitete. Es mussten erst zwei junge Film-Fremde kommen: Thomas Brussig, der gefeierte Autor des Wende-Romans „Helden wie wir“, und Leander Haußmann, damals jüngster Theaterintendant auf deutschen Bühnen. Brussig schrieb an einem Drehbuch über das kürzere Ende der Sonnenallee, nicht die 4,5 Kilometer in Neukölln, sondern das 400-Meter-Appendix auf Treptower Seite. Als er darüber nachsann, welcher Regisseur das inszenieren könnte, las er in einem Interview, wie Haußmann die DDR als „totale Hippie-Republik“ bezeichnete. Er hatte seinen Mann gefunden.

Hinterm Kinderzimmer beginnt die Mauer

Als Theatermann wusste Haußmann natürlich von dem Begriff der Mauer-Schau, im Bühnenlatein „Teichoskopie“. Hier aber ist die ganz wörtlich zu verstehen. Der 17-jährige Michi wohnt kurz vor dem Todesstreifen, hinter seinem Kinderzimmer beginnt die Mauer. Die Wessis haben dahinter einen Hochstand gebaut, um die Ossis von drüben aus zu verhöhnen. Sie selber verunsichern Westler, die mit dem Bus über die Grenze fahren, in dem sie „Hunger Hunger!“ rufen. Aber eigentlich denken sie an ganz andere Dinge: Michi, mit Pickel und unmodischer Brille, an die Klassenschönste, und der kleine Wuschel an originalverschweißte Rock-LPs aus dem Westen.

Haußmann hat die Hauptrollen mit jungen, aufstrebenden Schauspielern wie Alexander Scheer, Alexander Beyer und Robert Stadlober besetzt, die in der berühmtesten Szene einen wahren Squaredance auf den Honi-Staat hinlegen. Und die älteren Rollen mit reichlich Stars. Die Eltern, herrlich karikiert von Katharina Thalbach und Henry Hübchen, glotzen pausenlos Westfernsehen, und Ignaz Kirchner als Onkel von drüben schmuggelt permanent völlig legales Warengut über die Grenze. Dazu blickt Detlev Buck in Vopo-Uniform missmutig auf die wenigen Bewohner dieser Sackgasse. Zu alledem wirbeln Tumbleweeds übers Pflaster, als wäre Ost-Berlin ein Westernkaff. Der wilde Osten.

„Diesen Film durfte nur ein Ossi machen“

Und am Ende tanzen sie die Mauer, die deutlich als Pappwand zu erkennen ist, einfach weg. Brussig und Haußmann sind für ihren Film bei allem Erfolg auch viel geschmäht worden. Weil sie die DDR verniedlicht, verharmlost, ostalgisiert hätten. Dabei brauchte es offenbar erst mal ein solches Ventil, um Luft abzulassen. Für spätere Filme, die sich dann auch ernsthafter mit dem Thema DDR befassten. „Es musste so lange dauern, weil die Ossis noch keinen Abstand hatten“, sagte Haußmann damals. „Und diesen Film durfte nur ein Ossi machen. Ich kann alles abschmettern, was man mir vorwirft. Ich habe hier 30 Jahre lang gelebt.“

Bei den Dreharbeiten stand Haußmann vor einem realen Problem. An Originalschauplätze war nicht zu denken. Die Mauer war weg, war aus der ersten Wiedervereinigungseuphorie heraus fast aus dem kompletten Stadtbild getilgt, ja ausradiert worden. Deshalb wurde fast komplett in den Filmstudios von Babelsberg gedreht. Wofür eigens ein ganzer 130 Meter langer Straßenabschnitt aufgebaut und detailgenau in den alten Ostmief versetzt wurde. Damit ist „Sonnenallee“, was das Genre Berlin-Film angeht, auch ein richtiges Original. Weil er nicht an Berliner Locations gedreht wurde, sondern eine eigene Berlin-Location generierte, die dann ein langes Eigenleben entwickelte.

Die sogenannte Berliner Straße blieb über Jahre einzigartig in Europa, eine Dauer-Außenkulisse. Für Berlin-Filme wie „Herr Lehmann“, „Mein Führer“, „Der Vorleser“, „Boxhagener Platz“ oder „Russendisko“. Für Polanskis „Der Pianist“ wurde der variable Straßenzug aber auch zu Warschau, für Kevin Spaceys „Beyond the Sea“ zu New York und für Tarantinos „Inglourious Basterds“ zu Paris. Berlin ist überall: Eine Multifunktionskulisse, die zum Sinnbild für den Filmstandort wurde.

„Sonnenallee“ Zoo Palast, 3. November, 20 Uhr, in Anwesenheit von Leander Haußmann. Ein Wertgutschein in Höhe von 2 Euro beim Kauf einer Eintrittskarte in der Sonntagsausgabe der Morgenpost.