Ihre Geschichte ist ein modernes Cinderella-Märchen: Elen machte Straßenmusik. Nun steht sie auf der großen Bühne neben Müller-Westernhagen.

Ein Gitarrenkoffer ist vor ihr aufgeklappt, ihre Gitarre hält sie fest in den Händen. Elen Wendt singt mit geschlossenen Augen auf dem Alexanderplatz. Manchmal blitzt dabei ihr Zungenpiercing hervor. Was dann geschieht, das kann sich die Straßenmusikerin nur ausmalen. „Wenn ich singe, kriege ich manchmal minutenlang nichts von meiner Umwelt mit“, sagt sie. Sie sieht deshalb nicht, wer vorbeikommt. Es ist Marius Müller-Westernhagen.

Er bleibt stehen, hört ihr zu. Er ist von ihrer Stimme – tief und samtig – beeindruckt, und kauft eine CD. Elen macht ganz unaufgeregt weiter mit ihrem Repertoire, so wie immer halt. Erst als Müller-Westernhagen sie später anruft und ihr von der Begegnung auf dem Alex erzählt, erfährt sie, wer ihr da eigentlich zugehört hat. Und sie ist „relativ überwältigt“, wie sie sagt: „Das ist was total Besonderes, Anerkennung von so jemandem wie Westernhagen zu bekommen, der mit seiner Kunst so etabliert ist.“

„Ich hab’ gemerkt, dass Zuspruch da ist."

Aber es bleibt nicht bei dem Anruf. Westernhagen lädt die Straßenmusikerin ein, bei dem letzten Konzert seiner „Alphatier“-Tour in Berlin als Vorband aufzutreten. Und Elen sagt zu. Am Sonnabend wird die sie in der Mercedes-Benz-Arena spielen. Vom Alex auf eine der größten Bühnen Berlins.

Wenn Elen darüber spricht, dann ist sie ziemlich bescheiden. Bammel habe sie vor ihrem Auftritt aber schon. Immerhin habe sie noch nie vor so vielen Zuschauern gespielt. Was sich wie eine moderne Version des Grimm’schen Aschenputtels anhört, ist es nicht ganz. Denn die 26-Jährige war schon vor ihrer „Blind Audition“, vor Westernhagen eine selbständige Musikerin.

Und vor vielen Zuschauern hat sie auch schon gesungen, rechnet man ihren Auftritt in der Casting Show „The Voice of Germany“ mit ein. 2011 ist sie nämlich schon mal auf der Straße entdeckt worden, von einem Talentscout der Show. Er lud sie in die Show ein. Und Elen dachte sich: „Warum nicht? Gehst du einfach mal zum Casting.“ Und das machte sie.

In der Blind Audition coverte sie Cyndi Laupers 80er-Jahre-Hit „Time after time“. Ruhig, tief, unaufgeregt, so wie sie ist. Das ließ prompt alle vier Coaches auf den Buzzer drücken. Elen entschied sich für Xavier Naidoo. Dass sie dann trotzdem in der nächsten Runde rausgeflogen ist, findet sie heute nicht mehr schlimm. „Ich hab’ gemerkt, dass Zuspruch da ist. Die Leute haben meinen ersten Auftritt gemocht, und das hat mir Bestätigung gegeben“, sagt sie.

Ihr Album „Elen“ liegt seit Februar in den Plattenläden

Deshalb wollte sie nach „The Voice“ Nägel mit Köpfen machen, wie sie sagt. Nach Jahren der Coverhits, nach Cyndi Lauper, Coldplay und Neil Young will sie endlich ein eigenes Album aufnehmen. Aber ohne großes Plattenlabel. Denn sie will unabhängig bleiben, frei. Wie auf der Straße. Per Crowdfunding sammelt sie daher 50.000 Dollar, trommelt Musiker zusammen, geht ins Studio. Und gründet ihr eigenes Label. „Ich hab’ mir echt viel Mühe gegeben“, sagt sie heute über diese Zeit.

Obwohl sie sich in alles hinein fuchsen musste, hat das mit der ersten Platte ganz gut geklappt. Ihr Album „Elen“ ist seit Februar in den Plattenläden, sie war als Newcomerin für den VUT Indie Award, dem Preis unabhängiger Musikunternehmen, nominiert. „Nur das Booking, das habe ich selbst nicht so gut hinbekommen. Deswegen gab es auch keine Tour zum Album“, sagt sie. Das will sie im nächsten Jahr nachholen.

Bis es so weit ist, wird sie weiterhin auf Berlins Straßen spielen, wie schon seit acht Jahren. Als sie nur Musik machen und üben wollte. Damals entschied sie sich bewusst für die Straße. „Sich einem größeren Publikum vorstellen und unabhängig sein, da ist die Straße doch perfekt“, sagt sie. Für die Berlinerin, die erst in Marzahn aufwuchs und dann mit den Eltern nach Weißensee zog, ist es nicht weit bis zur Schönhauser Allee.

Hier trat sie zum ersten Mal auf. So nervös wie damals, als sie kaum ihre Gitarre halten konnte, ist sie jetzt nicht mehr. „Auf der Straße ist es ein ungezwungenes, schönes Musizieren“, sagt sie. Wenn sie jetzt hier spielt, dann ist es für sie immer noch wie nach Hause kommen. Deswegen hat sie an der U-Bahn-Station Eberswalder Straße auch das Musikvideo zu ihrem bisher größten Hit „Nobody Else“ aufgenommen, den sie auch gern auf der Straße singt. Denn auch wenn die Leute das Lied nicht aus dem Radio kennen, bei der Pop-Ballade bleiben sie stehen.

Nach der Musik gehts in den Schrebergarten nach Pankow

Elen grinst, wenn sie von ihren eigenen Songs erzählt. Sie ist stolz, dass sie das allein geschafft hat. Eine Alternative zur Musik gibt es für sie nicht. Von der Straße kann sie leben. An guten Tagen hat sie 60 Euro im Gitarrenkasten, an schlechten auch mal nur fünf. „Das liegt dann aber auch an mir.

Ich habe eben auch Tage, an denen ich nicht so gut drauf bin und lieber mal freinehmen würde“, sagt sie. An solchen Tagen, wenn sie runterkommen muss und Ablenkung braucht, macht sie sich auf den Weg in eine Schrebergartenkolonie in Pankow. Dort teilt sie sich einen Garten. Die Ruhe braucht sie, um kreativ sein zu können. „In Chaos und Unordnung kann ich mich nicht auf meine Gedanken konzentrieren. Wahrscheinlich bräuchte ich einen weißen Raum, in dem nichts drin ist, nur ein Blatt, ein Stift und ich“, sagt sie.

Kreativ zu sein, das ist der ruhigen Berlinerin am wichtigsten. Wenn sie darüber spricht, dass sie etwas Bleibendes machen möchte, so wie ihre Musik, dann sucht sie nach Worten. „Etwas Schaffen“, der Ausdruck sei ihr zu groß, sagt sie. Elen will sich verwirklichen. Ganz ruhig, ohne den Drang, im Rampenlicht stehen zu müssen.

Es geht ihr um Musik, und die soll genau so sein wie Elen. Vielleicht machen ihr die großen Bühnen, wie die in der Mercedes-Benz-Arena, auf der sie vor Westernhagen auftreten wird, deshalb Angst. „Über so große Bühnen will ich gar nicht nachdenken, dann bekomme ich so Lampenfieber, dass ich mir unsicher bin, ob ich noch auf meinen zwei Beinen stehen kann“, sagt sie. Und wenn das Musikmachen auf großen Bühnen nicht klappt, dann will sie sich nicht dafür schämen. „Dann hab’ ich immerhin alles versucht“, sagt sie. Dann hat sie immer noch die Straße.