Schaubühne

Rainald Grebe schickt uns zurück ins alte „Westberlin“

| Lesedauer: 3 Minuten
Katrin Pauly
Rainald Grebe gerät der Abend hier und da zu einer hektischen Nummernrevue

Rainald Grebe gerät der Abend hier und da zu einer hektischen Nummernrevue

Foto: Stephanie Pilick / dpa

Eigentlich ist er ja Kabarettist. Nun bringt Rainald Grebe „Westberlin“ auf die Bühne. Auch wenn er das nie selbst erlebt hat.

„Mit einer Schachtel Chesterfield, da machst du meine Schwester wild“. Evelyn Gundlach ist 84, die Sprüche von damals hat sie noch drauf, sie war dabei, als Gail Halvorsen, der „Candy Bomber“, über Tempelhof Süßigkeiten an kleinen Fallschirmen auf die Kinder regnen ließ, sie hat die Luftbrücke live erlebt. Chesterfield mochte sie. Lucky Strike auch. Michael Eckert mochte vor allem Currywurst, genauer gesagt „die Königin der Currywurst“, die aus der Wurstbude am Charlottenburger Amtsgericht.

Ein sehnsüchtiges Raunen der Wiedererkennung geht durchs Publikum. Die Bude am Amtsgericht gibt’s nicht mehr, Eckert hat dann seinen eigenen Currywurstladen aufgemacht. Ein Eckert-Imbisswagen stand am Freitag vor der Schaubühne. Zur Premiere von Rainald Grebes Stück „Westberlin“.

Kabarettistischer Blick auf die Stadt

Der Sänger, Kabarettist und Schauspieler schaut auf diese Stadt, er bricht auf, die „Insel im roten Meer“ zu entern, das alte, vermeintlich verlorene, aber seit Jahren angeblich kurz vor dem Revival stehende West-Berlin. Er selbst hat das nie erlebt, er kam erst nach der Wende, ließ sich im Ostteil der Stadt nieder.

Deshalb sind außer den sieben Schauspielern (inklusive Grebe selbst) und jeweils einem Überraschungsgast auch noch sieben Zeitzeugen mit an Bord, Menschen wie Evelyn und Michael. Sie sind das Wichtigste an diesem Abend und das Beste. Von Hausbesetzungen ist natürlich die Rede, von der „Sozialistischen Einheitspartei Westberlins“.

Biotop der Subkulturen

Ein ehemaliger Schöneberger Sängerknabe beleuchtet das schwule West-Berlin, erzählt vom „Taschengeld verdienen am Zoo“, wir hören von Ami-Kinos, in denen vor jeder Vorstellung die amerikanische Nationalhymne gesungen wurde, man ging ins „Abraxas“, ins „Far Out“ und selbstverständlich in den „Dschungel“.

Es sind Geschichten von einem Ort, den kurioserweise ausgerechnet eine Mauer zum Biotop der Subkulturen mit größtmöglicher Freiheit machte. An den individuellen Geschichten lässt sich das am besten ablesen.

Kalauer durch die Stadtgeschichte

Fürs Historische zwischen Kriegsende und Mauerfall dagegen sind an diesem Abend die Berufsschauspieler zuständig. In Berliner Eckkneipen-Ambiente mit großem Tresen links und kleiner Drehbühne rechts treffen sie auf die Zeitzeugen und kalauern sich durch die Eckdaten der Stadtgeschichte. Reenactmentmäßig werden da historische Fotos wie das des berühmten Mauersprungs des Grenzpolizisten Conrad Schumann nachgestellt.

Benno Ohnesorg stirbt als ketchupbespritze Bierflasche auf einem Kneipentisch, nachdem Salzstangen-Demonstranten von Messer-und Gabel-Polizisten zerkrümelt wurden. Dazwischen: Fliegende Perücken- und Klamottenwechsel. Es treten zum Beispiel auf: Harald Juhnke, Wolfgang Neuss, Nina Hagen, Christiane F.

Eine etwas überladene Inszenierung

Und ziemlich viele Birken als kleine hausinterne Reminiszenz an Peter Steins legendäre „Sommergäste“-Inszenierung von 1974. Das ist bisweilen durchaus komisch, aber gerade in diesen Passagen gerät Grebe der Abend dann doch sehr schnell zur hektischen Nummernrevue.

Musik gibt’s natürlich auch: Zum Beispiel eine sehr schöne deutsche Version von Iggy Pops „The Passenger“, gespielt und gesungen von Rainald Grebe selbst. Und wo der Iggy war, da war der Bowie damals nicht weit. „Heroes“ singen sie alle zusammen, ganz ruhig, ganz ernst, ohne Ironie. Die, die damals dabei waren, sie waren an diesem Abend, in dieser insgesamt etwas überladenen Inszenierung tatsächlich noch einmal die „Heroes“, nicht für einen Tag, aber immerhin für gut zwei Stunden.

„Westberlin“: Schaubühne am Lehniner Platz, Kurfürstendamm 153, Wilmersdorf. Tel: 89 00 23. Nächste Termine: 12. und 13. Oktober, 20 Uhr.