Der genialisch-animalische Musiker Trent Reznor hat in Berlin sein Publikum mit purem, zeitgenössischen Rock bombardiert. Lang und laut donnerte der Applaus durch den Zitadellenhof.

Nein, das ist nicht einfach ein Konzert. Eine hemmungslose Orgie aus Licht und Sound entlädt sich in der Spandauer Zitadelle, ein Gesamtkunstwerk aus pulsierender Elektronik, aggressiven Rockbeats, schabenden E-Gitarren, drückendem Bass, umwölkt von bedrohlichem Bühnennebel und von kantigen Lichtblitzen illuminiert. Und mittendrin die fordernde Stimme von Trent Reznor. Das macht atemlos. Das bombardiert die Sinne. Das treibt den Adrenalinspiegel unbarmherzig in die Höhe. Mit der amerikanischen Industrial Rockband Nine Inch Nails wurde am Donnerstagabend vor nahezu 9000 Besuchern die neue Saison des Citadel Music Festivals eröffnet.

Nine Inch Nails, 1988 in Cleveland/Ohio gegründet, ist das Projekt des genialisch-animalischen Musikers Trent Reznor. Er komponiert die Musik, er kreiert die Sounds, er schreibt die Texte. Der Sänger, Gitarrist und Keyboarder spielte anfangs alle analogen wie digitalen Instrumente im Studio selbst. Nur für Live-Auftritte holte er sich zusätzliche Musiker ins Boot. Die Besetzungen wechselten ständig, einzige Konstante der Band ist Reznor, der mit den ersten beiden Nine-Inch-Nails-Alben „Pretty Hate Machine“ (1989) und „The Downward Spiral“ (1994) sein düsterstes Innenleben auf geradezu selbstzerstörerische Weise nach außen kehrte in abgründigen, provozierenden, apokalyptischen Songgebilden, die polarisierten. Und mit seinen wüsten musikalischen Attacken so ganz nebenbei den Industrial Rock der 90er-Jahre prägte.

Heftiges Sequenzer-Blubbern, knarzende Synthesizerlinien, treibende Elektrobeats bringen von Anfang an Bewegung in die Menge vor der Bühne. Trent Reznor, der in dieser Woche 49 Jahre alt wird, ist nur noch auf der Bühne der stürmende, drängende, randalierende Musik-Berserker, der er vor 25 Jahren noch war. Er hat Depressionen und Selbsthass, Alkohol und Drogen überwunden, vielleicht durch das Ventil Nine Inch Nails, vielleicht durch seine Bekanntschaft mit David Bowie, vor allem aber wohl durch seine Heirat und die lebenswichtige Wendung, Vater geworden zu sein. Er hat für seine Musik einen Grammy erhalten, er wurde – für die Filmmusik zu David Finchers „The Social Network“ – mit einem Oscar geehrt. Und gibt sich auf dem aktuellen, mittlerweile 8. Nine-Inch-Nails-Album „Hesitation Marks“ tatsächlich weniger aggressiv, ausgeglichen und gereift. Aber von konstant aufbrausender Energie.

Das Publikum brüllt lauthals mit

Mit Robin Finck, Alessando Cortini und Ilan Rubin hat er drei Multiinstrumentalisten mitgebracht, die ihm an Elektronik, Schlagwerk, E-Gitarre und Bass zur Seite stehen. Bei „The Beginning of the End“ poltert mächtig das Schlagzeug los, wummernder Bass und schroffe Gitarrenbreitseiten vereinen sich zu einem wuchtigen Punk-Grunge-Stakkato mit kratzenden Störgeräusch-Intarsien. Das ist purer, zeitgemäßer Rock. Sequenzer-Geblubber und digitaler Beat treiben wiederum das neue Stück „Copy of A“ voran. Nine Inch Nails fräsen sich konsequent durch das Repertoire, und das in bestem Sound, wenn man auf dem Gelände an der richtigen Stelle steht. Bei „Head Like A Hole“ vom Debütalbum brüllt das Publikum Zeilen wie „No, you can’t take that away from me“ und „I’d rather die than give you control“ lauthals mit.

Natürlich gehören auch die Hits zum Programm, wie „March of the Pigs“ und „Closer“. Und als allerletzte Zugabe erklingt der größte Erfolg von Nine Inch Nails, die frühe Schmerzensballade „Hurt“, die später von Johnny Cash veredelt und geadelt wurde. Es ist das erste und einzige Mal, dass an diesem Abend eine akustische Gitarre angeschlagen wird. Lang und laut donnert der Applaus durch den Zitadellenhof. Was für ein furioser Saison-Auftakt.