Interview

Was genau stört Sie eigentlich an Berlin, Frau Thalbach?

| Lesedauer: 12 Minuten

Foto: Britta Pedersen / dpa /picture alliance

Die Tochter von Katharina Thalbach muss sich schon lange nicht mehr hinter ihrer Mutter verstecken. Ein Gespräch über den Beruf des Schauspielers, Gespenster und das Geheimnis guter Laune.

Ist Anna Thalbach müde? Vor ihr auf dem Tisch steht die angebrochene Dose eines längst weltbekannten Energy-Drinks. „Ich werde davon gar nicht wach, ich trinke, weil ich es mag,“ meint sie verschmitzt.

Tatsächlich bringt die 40-Jährige auch so genügend Energie mit, um mehrere Bälle gleichzeitig zu jonglieren. Ob sie als Schauspielerin vor der Kamera oder auf der Bühne steht, ob sie als Hörbuchsprecherin oder Vorleserin die Weltliteratur präsentiert oder jetzt einer der bekanntesten Gestalten des deutschen Kinderbuchs ihre Stimme leiht: Sie ist der Geist hinter der Titelfigur von „Das kleine Gespenst“, das momentan durch die deutschen Kinos spukt.

Diese Lebendigkeit ist auch beim Interview zu spüren, und das, obwohl sie sich dabei nicht an ihrem Wohlfühlort Berlin, sondern in München aufhält.

Berliner Morgenpost: Glauben Sie an Gespenster?

Anna Thalbach: Ja, aber ich denke nicht, dass sie irgendeine zerstörerische Wirkung haben können.

Würden Sie mal auf Gespensterjagd gehen wollen?

Das kommt darauf an, mit wem. Alleine würde ich das ganz sicher nicht durchziehen. Erst mal muss ich einen geeigneten Partner finden, der das mit mir aushält. Aber dann wäre meine Neugier groß genug, um auf Suche zu gehen. Ich möchte schließlich ihre Existenz untermauern.

War dieses Interesse der Grund, weshalb sie die Titelrolle in „Das kleine Gespenst“ sprechen?

Das vielleicht weniger. Aber ich habe lange auf die Chance gewartet, um so eine Synchronrolle zu sprechen. Ich war immer sehr traurig, dass ich bei den Animationsfilmen nicht mitmachen durfte. Auf die Kollegen, die das durften, war ich richtig neidisch.

Sie sind doch als Vorleserin und Synchronsprecherin bekannt. Warum kommt man nicht auf den Gedanken, Ihnen so etwas anzubieten?

Diese Fragen müssten Sie den Verleihern stellen und allen, die für die deutschen Synchronisationen zuständig sind. Ich habe meine Liebe und Bereitschaft signalisiert, aber ich wurde bislang nicht erhört. Ich hoffe, dass mir „Das kleine Gespenst“ weitere Möglichkeiten auftut. Wobei ich diese Rolle auch erst nach einem Vorsprechen bekommen habe.

Hat das Buch damals Ihre Kinderfantasie geprägt?

Ich habe es gelesen, aber es hatte nicht einen so großen Stellenwert. Bei Otfried Preußler hat mich der Räuber Hotzenplotz am meisten beeindruckt. Die ersten Bücher, die ich selbst durchgelesen habe, waren „Huckleberry Finn“ und „Tom Sawyer“, die Werke von Erich Kästner, „Der Graf von Monte Christo“ oder „Die rote Zora“

Welche Bücher lesen Sie jetzt selbst gerne Kindern vor?

Ganz besonders „Der kleine Nick“ von Jean-Pierre Sempé. Aber auch die klassischen Märchen – Andersen oder Hauff. Außerdem gibt es viele, gut übersetzte Bücher aus der englischen Kinderliteratur.

Welches Erwachsenenbuch lesen Sie gerade privat?

Ich lese meistens mehrere Bücher parallel. Dazu gehört momentan die philosophische „Warum es die Welt nicht gibt“ von Markus Gabriel – sehr spannend. Und am letzten Wochenende habe ich von Jennifer Teege „Mein Großvater hätte mich erschossen“ über ihren Großvater, den SS-Hauptsturmführer Amon Goeth, gelesen.

Das umfasst 272 Seiten. Sie haben dafür nur ein Wochenende gebraucht?

Sogar nur einen Tag; ich lese zum Glück schnell. Ich muss mich da auch nicht zurückziehen oder einsperren. Ich habe bei meiner Familie gesessen, aber die kann ich dann wegblenden.

Was ist Ihnen lieber eBooks oder Bücher?

Eindeutig das letztere. Ich habe da einen kleinen Laden, und wenn die das nicht haben, dann bestellen sie es. Das Blättern in einem Buch fördert das Verinnerlichen, und ich brauche auch die Haptik. Für die Bäume ist es sicher nicht gut, aber trotzdem bin ich ein Fan. Bei mir zuhause ist alles vollgestellt mit Büchern und DVDs. Dafür gebe ich am meisten Geld aus. Die Wohnung ächzt zwar, aber sie hält es noch aus. Und wenn ich bei Leuten zu Besuch bin, ist mein erster Blick: Wo sind eure Bücher? Was lest ihr? So kann ich mich orientieren, ob ich mit denen was anfangen kann.

Das heißt, wenn da irgendwelche Kitschromane stehen...

...dann würde ich übers Wetter sprechen.

Sie haben eine 18-jährige Tochter. Haben Sie der die Lust an Büchern beigebracht?

Sie liest nicht so viel wie ich. Aber das tun die ja alle nicht mehr. Trotzdem hat sie eine große Liebe zur Literatur.

Ihre Tochter ist auch dabei, in Ihren Fußstapfen zu folgen und auch Schauspielerin zu werden...

Sie hat mal was probiert als Kind, aber nur ganz dezent, weil ich sie da raushalten wollte, bis sie mit der Schule fertig wird. Damit sie normal aufwächst, frei von diesem ganzen Zeugs, und das ist uns auch gut gelungen. Jetzt spielt sie mit meiner Mama und mir Theater.

Haben Sie Sie vor den Problemen dieses Berufs gewarnt?

Das schon, aber ich habe nicht gesagt: Du darfst es nicht machen. – Ich habe ihr nach bestem Wissen und Gewissen erklärt, was die schlechten Seiten und was die guten Seiten sind. Und wo man Kraft haben und Entscheidungen treffen muss. Es ist ja wichtig, dass man die Kinder nicht total naiv ins Rennen schickt.

Sie haben auch erkannt, dass Ihre Tochter Talent hat?

Da bin ich mir sicher. Ob sie ihre Angst, das heißt ihr Lampenfieber, in den Griff kriegt, werden wir sehen. Wenn sie die bändigt, dann denke ich, dass ihrem Talent nichts im Wege steht.

Leiden Sie selbst unter Lampenfieber?

Ich hatte vor ein paar Wochen Lampenfieber bei der Preisverleihung zur Goldenen Henne. Weil ich da ein Kinderlied auf der Bühne vorgesungen habe. Es war zwar nur Playback, aber es war für mich so fremd, dass ich Angst hatte. Wenn ich alles gut finde und meinen Text kann, dann gibt es für mich keinen Grund dazu.

Die Teilnahme bei solchen Preisverleihungen sollte ja ein Indiz sein, dass sich Ihre Karriere gut entwickelt. Was steht bei Ihnen akut auf dem Programm?

Vor kurzem ist „Frau Ella“, angelaufen, da habe ich eine kleine Rolle. Einen oder zwei Drehtage. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich nicht rausgeschnitten werde. Im Oktober stand ich in Köln für einen Kinofilm vor der Kamera – „Von glücklichen Schafen“. Das war allerdings auch nur ein einziger Drehtag. Und jetzt folgt die Vorabendserie „Morden im Norden“. Ende November gehen meine Proben für „Roter Hahn im Biberpelz“ los.

Das klingt so, als seien Sie gut ausgelastet.

Ja, aber nur weil ich noch meine Tätigkeit als Vorleserin und Hörbuchsprecherin habe und weil ich dieses Jahr einige von meinen Bildern verkauft habe. Durch die Kunst bin ich nicht so abhängig vom Drehen, aber der Fakt ist: Ich habe dieses Jahr nur sechs Drehtage gehabt.

Wie viele Drehtage braucht man pro Jahr, um einigermaßen gut über die Runden zu kommen?

Mindestens 60.

Machen Sie sich Sorgen? Oder geht es irgendwie immer?

Ich mache mir keine Sorgen, weil ich mir ganz viele andere Sachen im Leben vorstellen kann. Und weil mein Selbstwertgefühl nicht davon abhängt, ob ich besetzt werde.

Was wäre außerhalb der kreativen Berufe noch für Sie denkbar?

Ich werde sicherlich immer was mit Kunst zu tun haben, aber ich kann mir auch vorstellen, mit Kindern zu arbeiten oder etwas hinter der Kamera zu machen. Oder betreuende Berufe. Mir fällt dann schon was ein.

Haben Sie Pläne für die Zukunft?

Nicht wirklich konkret. Aber ich male und schreibe wirklich, und für mich sind diese beiden Dinge eine Superoption für die Zeit, wo keiner mehr Bock hat, mich zu besetzen. Fall es soweit kommt, will ich auf jeden Fall nicht böse sein, und verbittert, verbiestert, garstig und neidisch, sondern dann sage ich: Jetzt nächste Phase, los. – Dann werde ich hoffentlich noch ein gutes Buch schreiben und ein tolles Bild malen. Aber das sind die Ziele, auf die ich noch Bock habe.

Woher haben Sie diese extrem positive Lebenseinstellung? Von Ihrer Mutter?

Wahrscheinlich. Sie ist auch ein lebenslustiger, starker Mensch.

Was machen Sie, wenn etwas Sie herunterzieht?

Dann heule ich mich bei denen aus, die mich lieb haben. Die hören mir liebevoll zu und machen „Ei, ei“. Ganz einfach.

Haben Sie Rezepte, um bei guter Laune zu bleiben?

Ich kann auch schlecht gelaunt sein, wenn irgendwas doof ist. Aber ich versuch’s immer wieder, und ich bin lustig. Ich kann über viel lachen.

Über was haben Sie zum letzten Mal gelacht?

Das war wahrscheinlich heute Morgen. Über meinen Hund, meinen kleinen Fuß. Irgendwas finde ich immer.

Und wie wichtig ist Ihr Wohnort Berlin für Ihr Wohlgefühl?

Sehr. Es ist für mich die freieste Stadt der Welt, ich fühle mich an keinem Ort freier als hier.

Andere Städte sind da keine Konkurrenz? Wie wäre es mit dem legendären New York?

Ich war schon in vielen Städten. New York etwa ist sicher schön, aber ich fühle mich da ganz schrecklich. Da habe ich immer das Gefühl, was verpasst zu haben. Und es gibt so wenig Bäume und man muss die ganze Zeit hoch schauen, um den Himmel zu sehen.

Doch auch Berlin verändert sich...

Tja, was soll ich dazu sagen? In meinem Haus, vielleicht sogar in meiner Straße bin ich die einzige Berlinerin. Ich hätte manchmal Lust, mir ein „Bitte nicht füttern“-Schild umzuhängen. Und dann wirst du so auf der Straße angequatscht: „Kannscht mal deine Kippe nit dahinwerfe? Des isch arg schlimm.“ – Und ich denke mir: Meine Oma hat schon ihre Kippe dahin geworfen. – Aber das ist der Lauf der Dinge. Wirklich traurig ist allerdings, dass Berlin jetzt genauso wie die anderen Städte unter diesen unverschämten Mieten leidet. Es kann doch nicht sein, dass die Leute mehr als die Hälfte ihres Lohns dafür abdrücken müssen. Das finde ich ein ganz, ganz dolles Verbrechen. Und bei uns im Hof hat man alle Häuser rundherum saniert, und wahnsinnig teure Wohnungen reingesetzt. Die vorherigen Mieter sind rausgekauft, rausgeekelt, rausgeirgendwat worden. Und die Leute, die jetzt drin wohnen, die sind teilweise einmal im Monat da. Ich verstehe auch unseren Bürgermeister nicht, dass der diesen Ausverkauf auf so massive Weise zulässt. Trotzdem ist Berlin noch Berlin. Mal gucken wie sie sich jetzt hier koalieren, und dann hoffe, ich dass Berlin trotzdem noch was von seinem Anarchismus und seiner Energie behält.

Das Gespräch führte Rüdiger Sturm