Kinofilm

Ein Nachtgespenst will auch einmal das Tageslicht sehen

| Lesedauer: 3 Minuten
Karolin Jacquemain

Foto: Universum

Guck mal, wie hübsch man einen Geist animieren kann: Mit „Das kleine Gespenst“ nach Otfried Preußlers Kultbuch kommt einer der schönsten Kinderfilme des Jahres ins Kino.

Das, was man nicht hat, erscheint ja immer besonders attraktiv. Das geht nicht nur uns Menschen so, auch Gespensterwesen hadern anscheinend mit der Wirklichkeit. Zumindest das berühmte kleine Gespenst, erdacht von Otfried Preußler im Jahr 1966 und längst ein Klassiker im Kinderbuchregal. Ein von Generationen geliebter Vorleseband, mehr als zwei Millionen mal verkauft und nicht ganz so schaurig wie Preußlers Zaubersaga „Krabat“.

Seit Urzeiten haust das kleine Gespenst auf Burg Eulenstein und erwacht Punkt Mitternacht zum nächtlichen, höchst munteren Rundgang samt Gesangseinlage. Sein großer Traum: die Welt einmal bei Tageslicht zu betrachten. Mit diesem Wunsch nervt er seinen besten Freund, den weisen Uhu Schuhu, der allerdings auch keinen Rat weiß.

Unverwechselbare Stimme von Anna Thalbach

Natürlich kann man von hundertköpfigen Soldatenarmeen über Aliens bis zu Weltuntergängen längst alles am Rechner animieren und auf die Leinwand schicken. Nur sehen künstliche Welten eben auch oft sehr künstlich und blutleer aus. Den Machern von „Das kleine Gespenst“, die Produzenten Uli Putz und Jakob Claussen sowie Regisseur Alain Gsponer, ist es gelungen, ihren spukenden Protagonisten so zu animieren, dass es für den Zuschauer absolut mühelos und selbstverständlich wirkt, nicht wie digitales Trickwerk.

Das kleine Gespenst zieht die Nase kraus, reißt die Kulleraugen auf und zieht Grimassen wie ein Kind im Gefühlstaumel. Es ist ein flauschiges Wesen, nach dem man nur allzu gern die Hand ausstreckt — ganz so eben, wie sich kleine Zuschauer liebenswerte Hausgespenster vorstellen. Schauspielerin Anna Thalbach leiht ihm ihre unverwechselbare Stimme, von der man nie genau zu sagen weiß, ob sie nach Mann oder Frau klingt, nach Erwachsenem oder Kind.

Angenehm unmodern

Nun ist „Das kleine Gespenst“ ja nicht nur eine wilde Spukerzählung, sondern im Kern eine Freundschaftsgeschichte um Helfen, Lügen und Vertrauen. Karl, Marie und Hannes, allesamt von tollen Nachwuchsdarstellern gespielt, helfen dem kleinen Gespenst nach seiner Verwandlung, die dann doch ein bisschen anders ausfällt als geplant, wieder vom Taggespenst zum Nachtgespenst zu werden. Wofür sie nicht nur auf Kirchtürme klettern und Nachtportiers austricksen, sondern auch zusammenhalten müssen. Gegen die Erwachsenen und alle Mitschüler, die von Gespenstern nichts wissen wollen.

Bewusst hat die Verfilmung den klassischen Charakter der Vorlage beibehalten; den Plot nicht mühsam aufgebauscht mit Zeitgeist-Schnickschnack. Keine Handys, keine Facebook, keine „Krass, Alter, was geht?“-Sprache. So wirkt der Film einerseits absolut zeitlos, auf der anderen Seite passt er wunderbar ins Hier und Jetzt mit seinen sehr heutigen Vorstellungen von fantasiegetränkten Kinderwelten, von Unfug und Freundschaftsversprechen.

Stars setzen schrullige Akzente

Wo bei anderen Kinderbuchverfilmungen, man denke an Enid Blytons „Hanni und Nanni“, bekannte deutsche Schauspieler oft den Part schrulliger Vorgesetzer, Stiefmütter oder anderer erwachsener Vogelscheuchen in einer Art ausfüllen, das es einem spätestens nach drei Minuten gehörig auf die Nerven geht, setzt das „Kleine Gespenst“ hier nur Akzente, die für manchen Witz sorgen.

Sandra Borgmann spielt Karls besorgte Mutter, Herbert Knaup den Uhrmachermeister Zifferle, der ähnlich sonderbar ist wie sein Name, Uwe Ochsenknecht gibt den Bürgermeister von Eulenberg als prollig-eitlen Großherrscher. Insgesamt gut möglich, dass „Das Kleine Gespenst“ der gelungenste Kinderfilm des Jahres ist.