Die Schauspielerin Kroymann hat gleich mehrere Talente. Sie kann singen, komisch sein und auch in ernsten Rollen schauspielern. Und beinahe wäre sie sogar die Mutter der Nation geworden.

Der erste Körperkontakt läuft noch höflich ab. „Darf ich mal?“, fragt er. Beim zweiten Mal geht es schon derber zu. „Hauen Se ruhig drauf!“, sagt sie. Irgendwo im Berliner Forst wehren zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, gegenseitig die Mücken voneinander ab. Es hat gerade geregnet, in der Nähe ist ein morastiger Tümpel, das zieht bei der Hitze die Biester an.

Maren Kroymann wollte ja unbedingt hierher. An den Teufelsberg. Sie hatte dieses Motiv mit der „Abhörruine der Amis“ vor Augen. „Passt doch gerade super zu der NSA-Geschichte.“ Und sie hat recht, der Spionagebau aus der Zeit des Kalten Krieges dort drüben wirkt so skurril wie die ganze Geheimdienst-Affäre. Seine Kuppel – ein riesiger Golfball. Zerfetzte Planen geben Einblick ins Innere des Turmes. Als Maren Kroymann sich für den Fotografen in Pose stellt, ist es, als sei sie in einer Kulisse von „Raumschiff Enterprise“ gelandet, auf einem fremden Planeten.

Das Foto haben wir vor einer halben Stunde hinter uns gebracht, der Fotograf hat sich aus dem Staub gemacht, und wir schlagen uns jetzt zu zweit wacker, aber aussichtslos mit den Mücken herum. Maren Kroymann ist öfter in der Woche auf diesen schönen Waldwegen unterwegs, meistens mit Anton, einem schwarz-weißen Herdenschutzhund. „Er kann unheimlich toll gucken, sodass es einem fast das Herz bricht. Dazu ist er unheimlich intelligent, natürlich liest er heimlich Sartre.“

Berliner in Schwaben

Manchmal kommen Frauchen und ihrem Wunderhund eine Meute junger Männer entgegen. Laut atmend, konzentriert und ziemlich cool laufen sie an den beiden vorbei. Es sind Spieler von Hertha BSC beim Ausdauertraining. Vermutlich haben sie gar nicht mitbekommen, dass die Frau gerade ein Liedchen geschmettert hat, das macht sie nämlich öfter im Wald, „aus voller Kehle, weil ich ja weiß, das hört hier kein Schwein“.

Eigentlich schade, denn singen kann sie wirklich gut. Wie sie übrigens auch das komische und das dramatische Fach beherrscht. Maren Kroymann hat viele beneidenswerte Talente. Deshalb hat sie auch so viele Karrieren gemacht: als Schauspielerin, als Kabarettistin, als Sängerin. Seit mehr als 40 Jahren lebt sie in Berlin, und sie fühlt sich hier zutiefst zu Hause, sagt sie.

Ursprünglich kommt sie aus Schwaben, was ja in Berlin in den letzten Jahren nicht unumstritten war. Nur nimmt bei ihr die Geschichte einen umgekehrten Lauf. Sie wuchs dort im Süden mit einem, sagen wir mal, Berliner Migrationshintergrund auf. Ihr Vater wurde in Steglitz geboren, die Mutter in Charlottenburg.

Aufgewachsen in einer schwäbischen Welt

Ein Jahr vor Kriegsende saß die Mutter mit ihren vier Söhnen in Breslau. Der Vater, als Soldat weit weg von seiner Familie, ahnte schon den Ausgang des Geschehens und drängte darauf, dass seine Frau mit den Kindern gen Westen ziehen sollte. Sie landeten schließlich bei einem Cousin in der niedersächsischen Kleinstadt Fallingbostel.

Auch der Mann überlebte den Krieg, fünf Jahre nach den Söhnen kam die einzige Tochter zur Welt. Der Vater war Philologe an der Breslauer Universität gewesen und suchte nun im Westen nach einer ähnlichen Stelle. Er fand sie schließlich sechs Monate nach Maren Kroymanns Geburt in Tübingen.

Und während wir jetzt vor dem Regen unter einen Baum flüchten, erzählt Maren Kroymann von dieser schwäbischen Welt, in der sie aufwuchs und die ihr doch einiges fürs Leben mitgab. „Tübingen war auf der einen Seite ein bisschen spießig und eng. Die Leute in den Häusern schoben heimlich die Gardinen zur Seite und schauten, was auf der Straße passierte. Wenn man selber zufällig hochschaute, zogen sie die Gardinen ganz schnell wieder zu.“

Der Vater teilte sich das Büro mit Walter Jens

Aber es gab noch ein anderes Tübingen, das von der Universität geprägte. Die Philosophen Ernst Bloch und der Germanist Hans Mayer lehrten hier. Kroymanns Vater, nun mit einer Professorenstelle ausgestattet, teilte sich in den ersten Jahren das Büro mit Walter Jens. Als der vor zwei Monaten starb, war sie auf seiner Beerdigung.

Die Eltern wollten nicht, dass ihre Kinder schwäbisch sprachen. Kroymann bezeichnet ihre Mutter als „antischwäbisch“. Es wurde „Korridor“ gesagt und nicht „Diele“. Die Großmutter, aus Berlin gekommen, nannte die Enkelin ein „frechet Jör“. Einzig das Wort „Vesperle“ wurde zugelassen, weil es die Mutter irgendwie niedlich fand.

Maren Kroymann war in der Pubertät ein dünnes, spilleriges Mädchen. „Ich hatte keinen Busen, fühlte mich wenig weiblich. Dass die Mädchen, die einen großen Busen hatten, immer so beliebt waren, fand ich ungerecht.“ Sie war brav, hatte ein ausgeprägtes Gefühl dafür, was sie tun musste, damit alle zufrieden waren. Schließlich war sie auch die Kleinste in der Familie, der älteste Bruder elf, der jüngste fünf Jahre älter.

Die Musik war Maren Kroymanns Schlupfloch

Aber sie hatte ein Schlupfloch: die Musik. Den Beatles konnte sie stundenlang zuhören, aber auch den Rolling Stones, Dusty Springfield, Marvin Gaye, den Supremes. Es war Maren Kroymanns Art von Revolte gegen das Ordentliche und Etablierte in Tübingen. Für sie waren die Beatles oder die Stones so etwas wie der Vorgeschmack aufs Leben, etwas Wildes, Sexualisiertes. „Der Zugang zu unserem Unterleib wurde uns ja nicht wirklich auf dem Gymnasium vermittelt, wir wurden auch nicht richtig aufgeklärt. Durch die Musik habe ich gespürt, es gibt noch etwas anderes als diese Tübinger Welt.“

Viel später hat sie diese Lieder aus ihrer Jugendzeit wieder herausgeholt. Sie begann, sie selbst zu singen. Mehr aus dem Bauch heraus, ohne dass sie daran dachte, dass sich daraus noch einmal ein neues Berufsfeld ergeben könnte. „Singen ist bei mir ganz stark mit dem Unterbewusstsein verknüpft. Es war nie ein Leistungsding.“ Es wurde aber ein Erfolg. „In my Sixties“ heißt das aktuelle Programm von Maren Kroymann, mit dem sie rund 50 Auftritte im Jahr hat, von 22. bis 25. August 2013 auch wieder in der Bar jeder Vernunft.

Das Verblüffende ist, dass die Songs bei ihr etwas Ureigenes haben, als hätte sie nie jemand anders gesungen. Die Lieder wirken mit ihr verwachsen. Sie selbst formuliert es so: „Ich singe die Gefühle, die ich hatte, als ich die Lieder zum ersten Mal hörte.“

Nach Jahrzehnten sah Kroymann ihre Schulfreundin wieder

In der Schulklasse damals teilte nur die beste Freundin Sabine ihre Leidenschaft, die anderen machten Hausmusik oder sangen im Kirchenchor. Sabine blieb aber sitzen, verließ die Schule, wurde Krankenschwester. Man verlor sich aus den Augen. Bis vor ein paar Jahren. Maren Kroymann hatte sich in der Zwischenzeit als lesbisch geoutet und engagierte sich in dem Verein „coming out“, eine Anlaufstelle für junge Homosexuelle.

Da meldete sich eben jene Schulfreundin wieder. Sie erzählte von ihrem älteren Sohn, der sich umgebracht hatte, weil er nicht damit zurecht kam, schwul zu sein. Es war nun so, dass die eine die andere auch nach jahrzehntelangem Abstand verstand, vor allem die Gefühle, die der Tod ausgelöst hatte. Man sprach nur am Telefon. Aber in diesem Sommer besuchte die Freundin erstmals ein Konzert Kroymanns. Und hörte, wie die andere die Lieder ihrer gemeinsamen Jugend sang.

Während sie von diesem Wiedersehen erzählt, lassen wir den Morast hinter uns. Die Mücken sind weniger geworden. Ab und zu kommt uns ein Jogger entgegen. „Ist das nicht toll hier? Man denkt doch gar nicht, dass wir mitten in der Großstadt sind.“

Bewerbung an der Max-Reinhardt-Schule für Schauspielerei

Ich frage sie, wie sie überhaupt nach Berlin gekommen ist. Nun, die Eltern waren damals sehr glücklich, dass sich die Tochter dazu entschloss, in ihre alte Heimatstadt zu gehen. Was sie allerdings an Berlin bewunderte, gefiel den Eltern weniger: linke Studenten, Wohngemeinschaften, antiautoritäre Erziehung, befreite Sexualität.

Es war das Jahr 1971, als sich Maren Kroymann an TU für Romanistik und an der FU für Anglistik/Amerikanistik einschrieb. Sie wollte alles aufsaugen, was mit den beiden Fächern und der Literatur zu tun hatte: Philosophie, Soziologie, Linguistik.

Gleichzeitig hatte sie aber gerade Gefallen an der Schauspielerei gefunden. In Tübingen war sie im Zimmertheater aufgetreten. Ein Jahr nach ihrer Ankunft in Berlin versuchte sie an der Max-Reinhardt-Schule ihr Glück. Hunderte bewarben sich an der renommierten Einrichtung, in zwei Runden wurde gesiebt, sodass nicht mehr als zehn übrig blieben.

Maren Kroymann ist eine streitbare Person

Maren Kroymann bestand die Prüfungen, war also angenommen, ging aber nicht hin. „Ich entschied mich, erst mein anderes Studium zu Ende zu bringen, dass ich ja in Tübingen begonnen hatte. Sechs Semester hatte ich schon hinter mir. Ich wollte mir auch beweisen, dass ich das zu Ende bringen kann.“

So machte sie erst ihr Staatsexamen, wurde aber nie Lehrerin, sondern trat auf kleinen Off-Bühnen und beim Kindertheater auf. Sie muss eine streitbare Person gewesen sein, die sich mit Professoren anlegte, wenn ihr etwas nicht passte. Sie las Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer, fand, dass Frauen total ungerecht behandelt würden und trat dem Sozialistischen Frauenbund bei.

Sie entwickelte ihr erstes eigenes Soloprogramm „Auf du und du mit dem Stöckelschuh“ und trat mit kleinen Kabaretteinlagen im Fernsehen auf. Wenn sie heute davon erzählt, kommt sie einem wie jemand vor, der in einem Boot sitzt, rudert und rudert, aber nicht ans Ufer kommt.

Sie wurde erst spät fürs Fernsehen entdeckt

Maren Kroymann ist ein Spätzünder. Fürs Fernsehen ist sie entdeckt worden, als sie fast vierzig war. „Oh Gott, Herr Pfarrer“ hieß eine Ende der achtziger Jahre entwickelte Familienserie der ARD. Robert Atzorn spielte einen Pfarrer, der eine neue Gemeinde übernimmt. Maren Kroymann wird nach einem Vorsprechen als seine Ehefrau besetzt. Ausgerechnet in ihrer alten schwäbischen Heimat spielt die Handlung.

Aber ihre Rolle ist modern, anders als die braven Mutterrollen, die es damals im deutschen Fernsehen gibt. Die schwäbische Pfarrersfrau liebt ihren Mann, glaubt aber nicht an Gott. Sie will in ihrem Beruf als Lehrerin weiterarbeiten und sich nicht nur auf die Erziehung der beiden Kinder beschränken.

Die Serie wird ein Riesenerfolg und Maren Kroymann so etwas wie die neue Mutter der Nation. Nach 13 Folgen ist zwar Schluss mit „Oh Gott, Herr Pfarrer“, aber für sie gibt es schon ein neues Angebot. Diesmal die Hauptrolle. In 20 Folgen „Vera Wesskamp“ spielt sie nun eine Reederin in Duisburg, die leidenschaftlich für ihr Unternehmen kämpft und nebenbei noch alleinerziehende Mutter mit drei Kindern ist. Zwei Jahre dauern die Dreharbeiten.

Maren Kroymann als Nachfolgerin von Inge Meysel?

„Wen interessiert die Sexualität von Frau Kroymann?“

Auf dem Höhepunkt ihres Fernseherfolges gibt sie im „Stern“ preis, dass sie lesbisch ist. Eine Kritikerin schreibt: „Wen interessiert die Sexualität von Frau Kroymann? Ein Gentleman genießt und schweigt.“ Kurz danach bleiben die großen Rollenangebote aus.

Nur Radio Bremen bietet ihr ein Kabarett-Format an. „Nachtschwester Kroymann“ besteht aus vielen sehr hübschen und lustigen Sketchen. Manche sollte man sich im Internet heute noch einmal ansehen. Ein Zuschauer schreibt: „Leider brauchen Frauen keine Männer. Maren Kroymann ist das beste Beispiel.“

Während wir zurückgehen, frage ich sie, ob sie gerne geheiratet hätte? Nein, sie schüttelt den Kopf, diesen Wunsch hatte sie nie. Aber ein Kind hätte sie schon gern gehabt. Damals habe sie sich das nicht zugetraut. „Ich glaube, als Mutter wäre ich nicht freiberufliche Schauspielerin geworden. Dann wäre ich als Lehrerin an eine Schule gegangen.“

Vor einigen Tagen ist sie 64 Jahre alt geworden. Sie ist wieder gefragt im Fernsehen, auf der Bühne sowieso. Und die Liebe? Sie ist momentan solo, „aber total mit mir im Reinen!“ Ist es schwieriger im Alter, jemanden zu finden? „Ich glaube, dass das noch geht.“ Sie lächelt. „Der Druck wie in den jungen Jahren, sich verlieben zu müssen, der ist ja weg.“