Es gibt Termine, die speichern sich im Kopf ab für ewig wie auf einer Festplatte. 12.12. (20)12, das ist so ein Datum, jedenfalls für Stephan Erfurt, Chef der C/O-Galerie. Damals unterschrieb er den Mietvertrag für das neue Domizil der Fotoinstitution im Amerika Haus. Für 16 Jahre. „Erstmals in unserem Leben können wir über ein Jahr hinaus planen.“
Während er über den Neustart an der Hardenbergstraße in Berlin-Charlottenburg spricht, klingelt es an der Tür im Container, wo seine Truppe während der Umbauphase bis 2014 arbeitet. Der Chef öffnet persönlich.
Zwei junge Leute sehen keck herein und fragen: „Brauchen Sie Mitarbeiter? Wir wären dabei!“ „Bisschen früh, fragen Sie in einigen Monaten noch mal nach“, antwortet Erfurt.
Er ist Angebote gewöhnt, manchmal läuten Besucher an der Tür, fragen nach Ausstellungen, die es derzeit gar nicht gibt. C/O hat eben seine Fans, knapp 41.000 auf Facebook, „erstaunlich“, findet Erfurt, „wo wir derzeit ja nicht präsent sind“.
Recherche in Archiven
Das ändert sich kommende Woche, dann ist die C/O wieder da, improvisiert, mit der ersten Schau, allerdings Open Air. Wie das?
Das vordere Grundstück wird bespielt, dort, wo auch die Besucher der Hotels rundum vorbeikommen. Der Zaun ist weg, der „Dschungel“ auch, gemeint sind Büsche und das wirre Grünzeug.
Vor dem eingerüsteten Haus, das ab Ende Juli saniert wird, werden fünfzehn doppelseitige Displays aufgebaut, ganz nach dem Vorbild der Schautafeln aus den 1950er-Jahren. 120 Fotografien sollen dort präsentiert werden, 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche und kostenlos.
„Bourgeoisie, Swing und Molotow-Cocktails“, so heißt das Projekt, es beschäftigt sich mit der Ikone selbst, dem Amerika Haus im Wandel von über fünfzig Jahren. Das ist Zeitgeschichte pur, ein Blick zurück in die bundesdeutsche Realität der damaligen Frontstadt.
Das C/O-Team samt Kurator mussten ganz schön graben, um an Fakten und historisches Bildmaterial zu kommen. Das Alliierten-Museum konnte helfen sowie das Ullstein-Archiv und das Archiv der Berliner Polizei, dort sind vor allem Fotos der Anti-Vietnam-Demos dokumentiert.
In den Sechzigern flogen die ersten Eier an die markante Fassade im farbigen Mosaikstil, später werden es Steine und Wurfbrandsätze. Zwei Seiten eines prominenten Hauses: Wer weiß schon noch, dass Hans Rosenthal 1971 hier seine ARD-Sendung „Spaß muss sein“ aufnahm? Na ja, und es gab tatsächlich eine Ost- und eine West-Bibliothek.
Erfurt deutet auf eine Bauskizze, wo entsprechende Räumlichkeiten eingezeichnet sind. Bürger der DDR konnten vor dem Mauerbau via S-Bahn Friedrichstraße dort Literatur vom „Klassenfeind“ einsehen, „ohne groß gesehen zu werden“. Eigentlich war Walter Gropius Architekt der ersten Wahl, doch der Meister sollte mit DM bezahlt werden. Der aber wollte Dollars. Der jetzige Entwurf stammt von Bruno Grimmik. Erfurt zeigt uns ein Fotos aus der Entstehungszeit des Hauses, unglaublich, wie frei es an der Hardenbergstraße lag, so ganz ohne Nachbarn. Heute klebt ein Parkhaus buchstäblich am Gebäude.
Institutionen wurden zu lebendigen Kulturzentren
Das Haus von 1956/57 hatte die Aufgabe, darüber zu informieren, „was Amerika ausmacht, wie wir leben, wofür wir stehen“, wie es ein US-Botschafter formulierte. Neun Amerika Häuser wurden insgesamt in Deutschland gebaut, Hamburg und München gehörten dazu, zunächst allerdings war die Berliner Einrichtung mit Bibliothek noch in der Nähe des Nollendorfplatzes untergebracht. Später entwickelte sich die Institution zu einem lebendigen Kulturzentrum.
Auf dem Programm standen Ausstellungen, Konzerte, Lesungen und herrliche Tanzevents. Künstler wie Robert Rauschenberg und Lyonel Feininger stellten aus. Glanzpunkt war die gut sortierte Bibliothek. Der Fotograf F.C. Gundlach erzählte einmal, dass er dort erstmals in internationalen Mode-Magazinen wie „Vogue“ und „Harpers Bazaars“ blättern konnte. Aber es gibt auch eine Geschichte vor den Amerikanern: Bis 1945 war auf dem Areal ein Offiziersclub untergebracht. Im Garten gab es einen Glaspavillon, in der „Berliner Kunsthalle“ zeigten die Nazis jene Kunst, die ihrem Menschenbild ideologisch entsprach. Am Ende des Krieges wurde das Gebäude zerstört. Dass die Amerikaner ihr Haus genau an dieser Stelle aufbauten – als Gegenentwurf zur Nazi-Vergangenheit – war eine bewusste Entscheidung.
Haus wurde nach dem 11. September zur Festung
Mag sein, dass das Amerika Haus schon in den politisch turbulenten Sechzigern anfing, sich abzuschotten. Nach dem 11. September glich es vollends einer Festung. Verblüffend, wie dieser Rückzug ins Innere architektonisch noch ablesbar ist. Gitterjalousinen, Sicherheitszonen, Wände über Wände, Trennelemente, dichtgemachte Treppenläufe. Es scheint, als hätten sich einzelne Zeitschichten hier nach und nach überlagert. „Alles kommt raus“, erzählt Erfurt, „bis wir wieder in den Fünfzigern sind.“ Er zeigt auf einen abgewetzten Teppich im Erdgeschoß, der ist an einer Stelle abgetragen, darunter verbirgt sich eine Zementschicht, die deckt die Solnhofer Fliesen ab. Nun wird der originale Naturstein freigelegt. Man sieht jetzt schon, wenn diese Einbauten einmal entfernt sind, wird der Saal mit den Säulen und Panoramafenstern weit und licht und groß wie ein Ballsaal. Erstaunlich, was für ein modernes Flair das Haus birgt.
Erfurt möchte ein offenes Haus, die Open Air-Schau soll es jetzt schon zeigen. „Das Amerika Haus war sehr gastfreundlich, das bestätigen Leute, mit denen wir gesprochen haben.“ Ein buntes Café zur Straßenseite soll es geben, mit Blick auf den Bahnhof Zoo. Genuss gehört schließlich zur Kunst, flanieren und gucken, auf ein Stück altes West-Berlin.
C/ O Berlin, Hardenbergstr. 22-24 in Charlottenburg. Eröffnung: Freitag, 12. Juli 2013, 19 Uhr