Renaissance-Theater

Hübner holt die neuen Häuslebauer auf die Bühne

| Lesedauer: 7 Minuten
Stefan Kirschner

Foto: Reto Klar

Lutz Hübner ist einer der meist gespielten deutschen Dramatiker. Wohl auch wegen der lebensnahen Themen, wie im neusten Stück „Richtfest“.

Es gibt wahrscheinlich nur wenige Theatergänger, die noch nie ein Stück von Lutz Hübner gesehen haben. Denn der 49-Jährige zählt den zu meistgespielten deutschen Theaterautoren. Aber die wenigsten verbinden ein Gesicht mit ihm.

Möglicherweise ist Hübner der erfolgreichste und gleichzeitig unbekannteste Gegenwartsdramatiker. Was auch daran liegen könnte, dass er lebensnahe Themen behandelt und ihm ein guter Dialog wichtiger ist als eine künstlerische Überhöhung.

Lutz Hübner trägt zur Jeans ein dunkles T-Shirt, die Jacke hat er während des Foto-Shootings im Zuschauerraum des Berliner Renaissance-Theaters ausgezogen. Er weiß, dass Fotos wichtig sind und absolviert den Termin ruhig und routiniert.

Wie auch das anschließende Interview. Wir setzen uns ins Bruckner-Foyer, er greift zur Thermoskanne, bietet Kaffee an. Sein neues Stück trägt den Titel „Richtfest“. Die Uraufführung fand Anfang Dezember am Schauspielhaus Bochum statt, am Renaissance-Theater hat die Inszenierung von Torsten Fischer am 10. März Premiere. Es geht um eine Baugemeinschaft: elf Menschen finden sich zusammen, um ein Haus zu bauen. In Berlin ist das ziemlich angesagt.

Zwischen Bullerbü und Kommune 1

Basiert das Stück auf eigenen Erfahrungen? Hübner: „Wir haben das mal überlegt, aber wieder verworfen.“ Wenn man das Stück gesehen hat, weiß man warum. „Katastrophenpotenzial gibt es immer“, sagt Hübner. Dass die Beteiligten aus unterschiedlichen Verhältnissen kommen und entsprechend unterschiedliche Vorstellungen vom Wohnen und Leben haben, macht so ein Bauprojekt nicht einfacher, aber das Austarieren zwischen Bullerbü und Kommune 1 ist als soziales Experiment natürlich eine gute Grundlage für ein Schauspiel.

Familie Hübner, bestehend aus Mann, Frau und jetzt 16-jähriger Tochter, hat es dann vorgezogen, vom Hackeschen Markt nach Kreuzberg zu ziehen. Das war damals noch nicht so angesagt wie heute. Jetzt entstehen dort „acht Häuser in einer Straße nach diesem Modell.“ Diese Gentrifizierung stößt nicht bei allen auf Gegenliebe, „die Verwirklichung dieser ursprünglich linken Utopie wird im Kiez als Klassenkampf von oben wahrgenommen“. In Treptow, erzählt Hübner, wurden Rohbauten wiederholt mit Farbbeuteln beworfen.

Schönes Rollenfutter

Möglicherweise sind Hübners Stücke bei Theatern auch deshalb so beliebt, weil er schönes Rollenfutter liefert. Er kennt die andere Seite, weiß, was Schauspieler mögen, denn er stand selbst einige Jahre auf der Bühne. Erst als Akteur, später auch als Regisseur. Seit 1996 liegt sein Schwerpunkt beim Schreiben. „Die formale Gestaltung der Stücke ist durchgehend von direkter, nüchterner Alltagssprache geprägt, die von einer exakten und schlagfertigen Dialogführung unterstützt wird“, heißt es im Henschel-Theaterlexikon.

Hübner lieferte dem Jugendtheater Erfolgsstücke wie „Das Herz eines Boxers“, das 1996 am Grips Theater uraufgeführt wurde, und erfreute das etwas ältere Publikum mit Werken wie das von Goethes „Faust“ inspirierte „Gretchen 89ff“ (Uraufführung an der Baracke des Deutschen Theaters 1997) oder „Frau Müller muss weg“ (2010). Wer regelmäßig Elternabende besucht, kennt die befreiende Wirkung dieses Stückes, das das längere Sitzen auf kleinen Schulstühlen und Debatten über Lerninhalte und Gruppenarbeiten erleichtert.

Aufs Schaulaufen verzichten

„Frau Müller muss weg“ war ein Auftragswerk des Staatsschauspiels Dresden. Es geht darin nicht nur um überehrgeizige Eltern, die auf recht unschöne Art die Klassenlehrerin loswerden wollen, weil sie glauben, dass ihre Kinder mit Frau Müller den Wechsel aufs Gymnasium verpassen, sondern auch um eine Geschichte zwischen Ost und West. Als das Theater Aachen bei Hübner nachfragte, ob sie diesen Aspekt gewissermaßen unter den Tisch fallen lassen könnten, hatte der Autor nichts dagegen. Dieser Konflikt ist in Aachen weit weg und für Hübner sind die eigenen Stücke Material fürs Theaters. Also durchaus veränderbar. Nur bei den Uraufführungen achtet er darauf, dass das Stück im Sinne des Autors inszeniert wird.

Das ist nicht so schwierig, weil er normalerweise in den Entstehungsprozess eingebunden ist. Seit vielen Jahren arbeitet Hübner mit Anselm Weber und Wilfried Schulz zusammen. Weber hat vor seinem Wechsel nach Bochum das Theater in Essen geleitet und Schulz wechselte vor einigen Jahren von Hannover nach Dresden. Neben Berlin sind das die Orte, wo viele Hübner-Stücke uraufgeführt wurden. Er mag diese Vertrautheit, „da braucht man keine Zeit ins Schaulaufen zu investieren“, sagt Hübner.

Fiasko beim Theatertreffen

Eine Art Ritterschlag in der Branche ist natürlich die Einladung zum Berliner Theatertreffen. Mit Hübners Stück „Hotel Paraiso“ gelang das dem Schauspiel Hannover 2005. Der Triumph hatte einen bitteren Beigeschmack. Es gehört irgendwie zum Theatertreffen-Ritual, dass auf eine der zehn eingeladenen Aufführungen eingeprügelt wird. „Das war unsere“, erinnert sich Hübner, der das mittlerweile „sportlich sieht“.

Ende desselben Jahres sorgte Hübners Stück „Ehrensache“ für eine juristische Auseinandersetzung. Der Autor hatte über einen sogenannten Ehrenmord in Hagen geschrieben, erst nach drei Jahren entschied der Bundesgerichtshof in letzter Instanz, dass die postmortalen Persönlichkeitsrechte des getöteten 14-jährigen Mädchens nicht verletzt worden seien und hob ein anders lautendes Urteil des Oberlandesgerichts Köln auf. Das Stück konnte danach wieder inszeniert werden.

Der Zeit voraus

Zwei Stücke pro Jahr, ein größeres und ein personalmäßig überschaubareres – das ist das Pensum von Lutz Hübner. Wie viele Stücke hat er denn schon geschrieben? „Ich weiß es nicht genau, so um die 40“, sagt Hübner. Das „Thema muss berühren“, die Anregungen kommen auch aus der Zeitung oder dem Freundeskreis. Er recherchiert gemeinsam mit seiner Frau Sarah Nemitz, die mit ihm das Arbeitszimmer teilt (zwei Schreibtische!) und kritisch auf die erste Fassung schaut.

Manchmal ist er seiner Zeit voraus. 2004 hat er im Auftrag des Maxim Gorki Theaters das „Bankenstück“ geschrieben, da ging es um die Machenschaften der Landesbank Berlin beziehungsweise der verantwortlichen Politiker. Das Geschäftsgebaren hat zur Berliner Überschuldung beigetragen und später für einen Regierungswechsel gesorgt. Man hätte damals im Kleinen sehen können, was später die Finanzkrise auslöste, sagt Hübner. Er nennt es „die Generalprobe zur Eurokrise“. Sein Stück, in dem die Bürger schließlich den Aufstand proben, erscheint in diesem Frühjahr als Buch. In Griechenland.

Renaissance-Theater, Berlin, Knesebeckstraße 100. Premiere am 10. März 2013

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