Berliner Geschichte

Wie die Bauausstellung 1987 aus dem Chaos das Beste machte

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Ulli Kulke
„Bonjour Tristesse“ wird dieses Haus an der Schlesischen Straße Ecke Falckensteinstraße genannt.

„Bonjour Tristesse“ wird dieses Haus an der Schlesischen Straße Ecke Falckensteinstraße genannt.

Foto: Sergej Glanze / FUNKE Foto Services

Der Internationalen Bauausstellung 1987 gingen Finanzierungsprobleme und Skandale voraus. Sie prägte dennoch Berlin.

„Früher war alles besser.“ Wer das heute im Hinblick auf die Berliner Politik meint, der wird von der Geschichte vielfach eines Besseren belehrt. Gehen wir einfach mal zurück zum Anfang der 1980er-Jahre. Die Stadtplanung West-Berlins stand im Zeichen eines großen, hoch eingeflogenen Projektes, der Internationalen Bauaustellung, „IBA“. Neue Maßstäbe wollte die Halbstadt setzen für die Architektur, den Baustil, die Stadtplanung, die Wohnsiedlungen. Der vorherige, gerade aus dem Amt gewählte Bausenator Harry Ristock (SPD) hatte „den Metropolen der Welt“ zeigen wollen, „wie man bauen, ein geschundenes Stadtbild reparieren könnte“. Zum zweiten Mal, nach der „Interbau“ 1957 im Hansaviertel, deren ganze Planungsphilosophie nun als überholt galt. Ein paar Jahre schon wurde kräftig gebuddelt. 1984 sollte die Show eröffnet werden.

1981, kurz vor dem Endspurt, war das Chaos, in das das Projekt – absehbar – getrudelt war, nicht mehr zu übersehen. Ristock hatte die drei Milliarden Mark, die er sich dafür „beizeiten holen wollte“, nicht zusammengekriegt. Weitgehend ausgegeben oder eingesetzt waren sie dennoch. Der SPD/FDP-Senat hatte unter seiner Federführung ein Planungsbüro „Bauaustellung Berlin GmbH“ ins Leben gerufen, bestritt aber dessen Planungskompetenzen, weil man mit dem anvisierten Gebiet längst anderes vorhatte. Führungskräfte der GmbH kamen und gingen, einige schmissen mit Geld um sich, was sie gar nicht hatten.

Ja und dann ging passenderweise, mal wieder, ein saftiger Bauskandal über die politische Bühne. Der insolvente Bauunternehmer Dietrich Garski riss, als öffentliche Bürgschaften in Höhe von rund 100 Millionen Mark fällig waren, den Senat unter Dietrich Stobbe (SPD) mit sich ins Aus. Nach kurzem Intermezzo unter dessen Parteifreund Hans-Jochen Vogel sowie anschließenden Neuwahlen zog im Juni 1981 Richard von Weizsäcker (CDU) ins Rathaus Schöneberg ein und erbte den Torso Bauaustellung.

Berlin spottete da längst: „Allet ibaflüssig“, man fühlte sich „ibadrüssig“. Es stand nicht gut um das stockende, klamme Großprojekt, man sprach schon über Abbruch. Der „Spiegel“ titelte im September 1981: „West-Berlins ‚Internationale Bauaustellung 1984‘ vor der Pleite“. Doch der neue Senat bekannte sich zur IBA. Längst ging es dabei schließlich nicht mehr nur um Architektur. Auch um behutsame Sanierung von Altbauten und damit um das Gesellschaftsbild der Stadt, die „Szene“, die Hausbesetzer, die sich als „Instandbesetzer“ gegen die unbeliebte Kahlschlagsanierung immer breiter akzeptiert sahen. Ihr Bündnispartner Alternative Liste zog ins Abgeordnetenhaus ein. Weizsäcker wollte sich diesen neuen Herausforderungen stellen. Die Fortsetzung der IBA half nun ausgerechnet der CDU, trotz des Scharfmachers Innensenator Lummer hier einen versöhnlichen Weg zu gehen. Den hierfür zugänglichen neuen Bausenator allerdings, Ulrich Rastemborski, überforderte der Wandel und seine politischen Umstände. Er verschwand für zehn Tage spurlos, gab dann aus dem Off seinen Rücktritt bekannt, zerrieben im Umbruch der Berliner Stadtplanung.

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Erste Ideen für eine zweite IBA in Berlin waren Mitte der 1970er-Jahre aufgekommen. Die SPD-Landesregierungen jenes Jahrzehnts unter Klaus Schütz und Dietrich Stobbe frönten der Kahlschlagsanierung, parallel zu einer wahnwitzigen, flächenfressenden Autobahnplanung kreuz und quer durch die Innenstadt. Eine Politik, in die die 1957er Bauaustellung „Interbau“ mit ihren Hochhäusern im Hansaviertel bestens eingepasst war. In der Architektenszene der Technischen Universität (TU) und der Hochschule für bildende Künste (heute: UdK) dachten Professoren und Studenten derweil längst weiter. Konzeptpapiere, Ausstellungen, Wettbewerbe warben für den Erhalt der noch stehenden alten Bausubstanz, für eine schonende Entkernung enger Hinterhöfe, Sanierung der Vorderhäuser und ästhetische Schließung der kriegsbedingten Baulücken. Senat und gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften wie die Neue Heimat hielten noch stur dagegen.

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Zwei Architekten profilierten sich in diesem kritischen Diskurs: Hardt-Waltherr Hämer von der UDK, der sich vor allem für die Sanierung der Altbauten in den Kiezen engagierte, sowie Josef Paul Kleihues, Professor zwar an der Uni Dortmund, der sich jedoch in seiner Arbeit stark um die behutsame Stadterneuerung West-Berlins einsetzte. Rückenwind bekam ihre Ideenfindung 1976 durch den Rückzug des Senats aus der Autobahnplanung, die vor allem im nördlichen Kreuzberg nahe der Mauer Hunderte Wohnblöcke aus der Gründerzeit vor der Abrissbirne rettete. In dem Gebiet mithin, das dann zum Zentrum der IBA aufrückte.

1978 konnte der linke Harry Ristock seine Senatskollegen überzeugen, den aus den Universitäten zugespielten Ball aufzunehmen und eine Alternative zum Abriss für den gesichtslosen Neubau öffentlich zu präsentieren, in Form einer IBA. Da die „Internationalen Bauaustellungen“, anders als „Expos“, von keiner zentralen Organisation vergeben wurden, konnte der Senat das Vorhaben einfach verkünden, lediglich in Abstimmung mit anderen interessierten Städten. Hämer und Kleihues wurden zu den Geschäftsführern der neuen IBA-GmbH berufen. Gleichberechtigt, der eine für die Altbausanierung („IBA alt“), der andere für die „behutsame Erneuerung“ („IBA neu“). Erstmals hatte eine – nun zweigeteilte – IBA keine spektakuläre, himmelstürmende Neu-Architektur zum Ziel, sondern bewussten Umgang mit dem Bestehenden.

Das Projekt wurde, wie geschildert, fehlerhaft und nachlässig aufs Gleis gesetzt. Dennoch machten sich Kleihues – mithilfe vieler internationaler wie teurer Architekten – und Hämer an die Arbeit. Insbesondere an Kleihues machte die Presse bald schon die Sprengung des leider unscharfen Kostenrahmens fest, zu teure Wettbewerbe, zu hohe Spesen. Hämers Altbausanierung wiederum passte nur zu gut in die Zeit. Die Instandbesetzungen durch Hunderte vor allem junge Menschen bekamen nach Abstimmungen zwischen Wohnungsgesellschaften, Altbesitzern, dem Senat und den Besetzern durch offizielle Organisationsformen einen abgesicherten Rahmen.

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Sichtbarer indes war und blieb die Arbeit von Kleihues‘ „IBA neu“, die Schließung der Baulücken, trotz allen Planungswirrwarrs zu Beginn. „Postmodern“: Der Begriff setzte sich damals zügig zur Einordnung der Neubauten durch. Der einst propagierte reine Funktionalismus der Moderne von Bauhaus, Werkbund und billigen Berliner Nachkriegsblöcken, der radikale Verzicht auf kulturelle Symbolik, wurde als von den Menschen nicht mehr gewünscht erkannt, als lebensfern. Abkehr vom Sichtbeton des Brutalismus, kein „Historismus“, aber die Verwendung von Baumaterialien, Stilelementen, Fenstergestaltung mit geschichtlichem Bezug, auch spielerische Noten – all das war nun gefragt. Bauhaus ade.

Internationale Bauausstellung 1987: Ein Abschied vom Bauhaus

Zu besichtigen vor allem in ausgedehnten, aber gebrochenen Klinkerfronten von Aldo Rossi an der Kochstraße, am markanten, rotweißen, sich himmelwärts ausbreitenden Wohnturm von Pietro Derossi in der Wilhelmstraße, an den völlig eigenwillig schwingenden Glas- und Balkonstrukturen von Hinrich und Inken Baller am Reichpietschufer (die sich auch nach der IBA andernorts in Berlin weiter ausbreiteten), und vielen weiteren Objekten in Kreuzberg, in der Ritter- und Lindenstraße, in Tiergarten, bis hin zum Bayerischen Viertel in Schöneberg.

Manch IBA-Projekt wurde nach dem Kassensturz in den frühen 80ern mitten in der Planung zusammengestrichen und endete als monotoner, grauer Klotz wie etwa das Haus „Bonjour Tristesse“ (Graffiti-Schriftzug oberhalb des 6. Stocks) an der Schlesischen Ecke Falckensteinstraße. Im Innern der Häuser experimentierten alle Architekten betont frei, mitten im gesellschaftlichen Prozess gewandelter Familienstrukturen. Alleinerziehend, Wohngemeinschaften (auch für Senioren), häufigere Wohnungswechsel – alte Schablonen für die Grundrisse verloren ihre Gültigkeit. Vielfach kehrte das „Berliner“ Zimmer aus der Kaiserzeit als zentraler Ort des Geschehens zurück.

Die IBA war auch am verschobenen Eröffnungstermin 1987, zur 750-Jahr-Feier, noch nicht fertiggestellt. Im Vergleich zum übrigen zeitgenössischen, oft empathielos-kalten Wohnungsbau brachte sie trotz allem konzeptionellen Chaos beispielhafte Architektur hervor. Sie war damit auch stilbildend für jene ansehnlichere Bauweise in der Stadt, die sich nach der Wende langsam durchsetzte.