Berlin. In einer Sonderschau des Kupferstichkabinetts geht es um Wetterphänomene in holländischer Kunst – und damit auch um den Klimawandel.

Die Wellen schlagen hoch und ­brechen sich vor einem Turm. Es ist also Land in Sicht. Ob die ­beiden Schiffe das rettende Ufer noch erreichen können, ist ungewiss. ­Fässer sind bereits von Bord in die Fluten ­gefallen. Und gerade der stattliche Segler im Vordergrund wirkt wie eine kleine Nussschale auf dem tosenden Meer, hilflos den Naturgewalten ausgesetzt. „Schiff in rauer See“ heißt das Kunstwerk von Ludolf Backhuysen aus dem Jahr 1701, in dem diese Szenerie dargestellt ist – ein fast etwas zu harmlos klingender Titel angesichts dessen, was der Betrachter hier zu sehen bekommt.

Ausgestellt ist diese Arbeit aus den Beständen des Kupferstichkabinetts derzeit in der Gemäldegalerie am Matthäikirchplatz. Die Radierung von Ludolf Backhuysen (1630–1708), einem der populärsten holländischen Marinemaler seiner Zeit, ist eines von 25 Exponaten in der aktuellen kleinen Sonderpräsentation des Kupferstichkabinetts. Unter der Überschrift ­„Heiter bis wolkig“ hat Kuratorin Christien Melzer atmosphärische ­Momentaufnahmen der holländischen Grafik und Zeichnung des 17. und 18. Jahrhunderts ausgewählt – Radierungen, Kupferstiche, Gemälde und Handzeichnungen, die sich mit verschiedenen Wetterphänomenen beschäftigen.

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Wetterbeobachtungen fanden Einzug in der Kunst

Ziehende Wolken, Regenschauer, ein plötzlicher Windstoß erschienen den niederländischen Malern, Zeichnern und Kupferstechern des Barock ebenso darstellungswürdig wie die klirrende Kälte während der sogenannten Kleinen Eiszeit, einer Periode mit langanhaltenden und besonders kalten Wintern. Neben genauen Beo­bachtungen von Himmel und ­Wolken finden sich auch eindrück­liche Dokumentationen extremer Wetterereignisse wie Stürme und Fluten.

In dem Aquarell „Seeufer bei Sturm“ des Malers Hendrick Avercamp wirkt der Sturm noch beherrschbar: Menschen stehen mit ­geblähtem Rock und Mantel am Ufer, doch die Kühe grasen friedlich, während die Seeleute alle Hände voll zu tun haben, ihre Schiffe sicher in den Hafen zu lenken. Ungleich dramatischer hat Christiaan Josi den Kampf gegen die Naturgewalten in einem Werk aus dem Jahr 1802 dargestellt: „Eisgang und Deichbruch bei Gorkum a 22.2.1799“ (Radierung, Farbaquatinta) zeigt entwurzelte Bäume und Häuser, die von Eisschollen zerdrückt werden.

„Deichbruch bei Coeverden am 1.10.1673“ (unbekannter Künstler, nach Romeyn de Hooghe)
„Deichbruch bei Coeverden am 1.10.1673“ (unbekannter Künstler, nach Romeyn de Hooghe) © SMB_KK

Auch die Radierung „Deichbruch bei Coeverden am 1.10.1673“ (unbekannter Künstler, nach Romeyn de Hooghe) zeigt mit ­erschreckender Deutlichkeit, wie hilflos Mensch und Tier der Natur ausgeliefert sind: ­Menschen recken die Arme empor, Pferdekutschen werden von den Wasser­massen verschlungen, Tiere ertrinken.

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Eine Entwicklung weg von biblischen Motiven

Die gezeigten Werke stammen aus einer Zeit, die als „Goldenes Zeitalter“ der Niederlande und der nieder­ländischen Malerei gilt. Während noch im 16. Jahrhundert die Landschaft nur Hintergrund oder Kulisse für biblische Darstellungen war, entwickelte sich im Laufe des 17. Jahrhunderts die Landschaftsmalerei zu einem ­selbstständigen Genre.

„Das Wetter wurde seit jeher beobachtet, um günstige Zeitpunkte etwa für Aussaat oder Ernte zu bestimmen. Mit dem wirtschaftlichen und politischen Aufschwung der holländischen ­Gesellschaft wandten sich die Künstler gegen Ende des 16. Jahrhunderts der heimischen Landschaft als Thema zu und – damit verbunden – zunehmend auch dem lokalen Wetter“, ­erfährt der Ausstellungsbesucher. Die Künstler hätten damals begonnen, ­atmosphärische Phänomene und Wetterereignisse genau zu beobachten und detailliert wiederzugeben, „um eine Bildstimmung zu schaffen oder eine Darstellung symbolisch aufzu­laden“.

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Bezüge zum aktuellen Klimawandel stellen sich her

Teilweise ist es keine leichte Kost, die da in der Sonderausstellung serviert wird. Doch scheint es kein Zufall zu sein, dass gerade die niederländischen Künstler solche eindrücklichen bildlichen Schilderungen von extremen Wettereignissen und deren oft verheerenden Folgen lieferten. In der Ausstellung heißt es dazu: „Im Gebiet der heutigen Niederlande wurde vor rund 1000 Jahren begonnen, die fruchtbaren Böden der Küstengebiete trockenzulegen, um Acker- und Siedlungsflächen zu vergrößern. Das hatte zur Folge, dass das tiefliegende Territorium für Wetterextreme besonders anfällig war.“ Historisch belegte Fluten, Stürme und Deichbrüche, denen sich die Menschen ohne Frühwarnsystem ausgeliefert sahen, hätten ihren Eingang auch in die Kunst gefunden.

Ebenso ist es kein Zufall, dass die Ausstellung „Heiter bis wolkig“ gerade jetzt zu sehen ist. Zum einen, weil der April für seine Wetterkapriolen bekannt ist: Es regnet, und schon im nächsten Moment bricht die Sonne durch die Wolken, lässt die Landschaft im hellen Licht glänzen. Zum anderen, weil die Darstellungen hochaktuell sind: Extreme Wetterereignisse wie Starkregen oder Hitzewellen und Dürreperioden haben in den vergangenen Jahren immer mehr zugenommen – nicht nur in Europa, sondern weltweit. Der Klimawandel beschäftigt die Politik ebenso wie die Gesellschaft in immer stärkerem Maße. Da ist es nur folgerichtig, dass auch die Einrichtungen der Kunst und Kultur ihren Fokus auf das Thema richten.

Museums-Info

  • Kupferstichkabinett in der Gemäldegalerie „Heiter bis wolkig. Wetterphänomene in der holländischen Graphik und Zeichnung“, Sonderausstellung. Ausstellungsdauer: bis 11. Juni
  • Adresse und Öffnungszeiten Matthäikirchplatz, Tiergarten. Tel. 266 42 42 42, Di.–Fr. 10–18 Uhr, Do. 10–20 Uhr, Sbd.+So. 10–18 Uhr, Karten kosten 10, erm. 5 Euro, mehr Informationen unter www.smb.museum/museen-einrichtungen/gemaeldegalerie/home