Der Blick reicht weit hier im tiefsten Süden von Usbekistan, und er entschädigt für einige Strapazen. Nach dem Flug von Istanbul ins sagenumwobene Samarkand ist die Reisegruppe zunächst per Kleinbus auf einer der sicher schlaglochreichsten Pisten Zentralasiens in die etwa 240 Kilometer entfernte Provinzhauptstadt Buchara gefahren, um dort gleich tief in die Geschichte der Region einzutauchen – etwa auf dem Platz vor der Kalon-Moschee mitsamt ihrem trutzigen Minarett. Früh am nächsten Morgen ist es danach in mehreren Stunden bis an die afghanische Grenze gegangen – bis nach Termiz, Hauptstadt der Provinz Surxondaryo. Ein Gefühl für ein Land voller Gegensätze lässt sich dabei entwickeln: War man in Samarkand noch in einem innen hochfuturistischen, außen einem aufgeschlagenen Buch nachempfundenen Flughafen angekommen, so macht sich jetzt vor frühlingshaft grünen Hügeln mit Menschen vor Wellblechhütten, viehtreibenden Kindern und Männern zu Pferd der ländliche Charakter Usbekistans bemerkbar.
Die Archäologen sprechen von einzigartigen Funden
Nun also Termiz. Wer die Nachrichten verfolgt, wird sich an den Namen vielleicht noch erinnern, weil sich hier zwischen 2002 und 2015 der Strategische Stützpunkt befand, von dem aus die Truppentransporte für das ISAF-Kontingent abgewickelt wurden. Bei Archäologinnen und Archäologen weckt die 140.000-Einwohner-Stadt andere, freudigere Assoziationen. Das hat vor allem mit dem etwas westlich von der Stadt gelegenen Tempelkomplex Karatepe zu tun. Hier, auf dem staubigen Areal der Grabungsstätten, reicht der Blick über den Fluss Amurdaja bis weit ins unzugängliche Afghanistan. Das Team um Matthias Wemhoff und Manfred Nawroth vom Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte spricht von „einzigartigen Funden“, die hier gemacht worden seien und beim erstmaligen Besuch einen tiefen Eindruck hinterlassen hätten. Das „unbekannte“ Usbekistan, eine „terra incognita“ sei hier zu entdecken gewesen, schreiben sie: Was sich im Süden des Landes „in den Jahrhunderten seit Christi Geburt ereignete, hatte es nicht in das Geschichtsbewusstsein geschafft, sondern ist Expertenwissen geblieben.“
Die Ausstellung, die am Donnerstag in der James-Simon-Galerie eröffnet wird, soll daran etwas ändern. Im Zuge einer weiteren kulturellen Öffnung des Landes, das im just veröffentlichten Pressefreiheitsranking von „Reporter ohne Grenzen“ (siehe Bericht unten) auf Platz 137 von 180 untersuchten Ländern landet, hat die 2017 unter Präsident Shawkat Mirsijojew gegründete, staatliche Art and Culture Development Foundation Journalistinnen und Journalisten nach Usbekistan eingeladen, um sich vor Ort einen Eindruck von den Ausgrabungsstätten zu machen. Zugleich sind etwa 280 Objekte aus Usbekistan nach Berlin gereist, die nun zusammen mit etwa 70 Exponaten aus Berliner Beständen einen Eindruck vom historischen Reichtum, auch von einer ungeahnten kulturellen Vielfalt vermitteln – und an eingefahrenen Perspektiven rütteln.
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Denn die westliche Rezeption erkennt in dem zentralasiatischen Raum, in dem sich das heutige Usbekistan befindet, aus langer Routine heraus lediglich Peripherie. Das hat natürlich mit dem bis heute imponierenden Feldzug Alexanders des Großen (334-324 v. Chr.) zu tun, der sich in allen Schulbüchern findet. Mit dem Fluss Oxus, heute Amurdaja, überschritt er damals zwar jene magische Grenze, die seinerzeit als das Ende der Welt gehandelt wurde. Doch die Ausdehnung des Alexanderreichs, deren östlicher Vorposten hier bald erreicht war, prägte über Jahrhunderte gerade die europäische Wahrnehmung des geografischen Raums: Zentralasien galt nicht als zentral. Hinzu kam die Wahrnehmung einer wesentlich durch den Islam geprägten Weltregion, die sich in den architektonischen Landmarken Usbekistans, ob auf dem Registan-Platz in Samarkand oder angesichts der prächtigen Moscheen Buscharas, bestätigt sehen durfte.
„Wir wollten aber wissen: Was war davor?“, sagt Matthias Wemhoff, seit 2008 Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, bei der Präsentation der Ausstellung am Mittwoch. Die nun entstandene Schau reicht vom vierten vorchristlichen bis zum vierten nachchristlichen Jahrhundert. Sie gliedert sich in zwei Abschnitte: Im ersten, der im Neuen Museum besichtigt werden kann, werden die Feldzüge Alexanders des Großen entfaltet, der bis in das 4. Jahrhundert vor Christus das Perserreich der Achaimeiden eroberte und dort zahlreiche Städte gründete. Zeugnisse des vom Mittelmeer exportierten Lebenswandels fanden die Archäologen zuhauf, etwa in Gestalt griechischer Fischteller oder einer Badewanne. An das auf Alexanders Tod – er starb im Alter von nur 33 Jahren an Malaria – folgende Graeco-Bactrische Reich erinnern zahlreiche weitere Zeugnisse.
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So weit, so interessant, freilich auch schon so bekannt – die im Neuen Museum versammelten Quellen entstammen mit wenigen Ausnahmen den Sammlungsbeständen der Staatlichen Museen, werden aber hier auch durch spannende Filme ergänzt, die mit Drohnen in Usbekistan erstellt wurden und per animierter Überblendung die antiken Festungsanlagen nachzeichnen.
Das eigentlich spannende Herzstück der Ausstellung liegt im Sonderpräsentationsraum der James-Simon-Galerie. Hier stehen die in Usbekistan, unter anderem in Termiz entdeckten Zeugnisse des Kuschan-Reiches im Fokus, das zur Zeit seiner größten Ausdehnung (100-250 n. Chr.) vom heutigen Tadschikistan bis zum Kaspischen Meer und vom gegenwärtigen Afghanistan bis ins Industal reichte – also auch Baktrien umfasste, wo das nomadisch geprägte Leben viele Belege für das Nebeneinander, auch für die sich gegenseitig prägenden Kulturen hinterließ. In den Ausgrabungsstätten bei Termiz wurde der untere Teil einer Buddha-Statue entdeckt, deren Gestaltung den hellenistischen Einfluss erkennen lässt. Sie ist in der Ausstellung ebenso zu sehen wie eine in der Provinz Surchandarja entdeckte Hand Buddhas aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert, die zu einer drei Meter hohen Statue gehört haben muss. Der historische Raum öffnet sich neu, er wird komplexer, vielgestaltiger, überraschender.