Die Mythen-Schau „Ufo 1665. Die Luftschlacht von Stralsund“ in der Kunstbibliothek verknüpft den aktuellen Ufo-Kult mit historischen Quellen.
Die Geschichte beginnt am 8. April 1665 um 14 Uhr, als sechs Fischer beim Heringsfang vor Stralsund beobachten, wie sich Vogelschwärme in Kriegsschiffe verwandeln. Bis zum Sonnenuntergang hätten sie sich heftige Luftgefechte mit Feuer und Rauch geliefert. Man weiß nicht, ob die sechs namentlich überlieferten Fischer zu viel getrunken hatten, aber die Untersuchung tags darauf ergab, dass sie unter Schock standen. Darüber hinaus, so wurde bereits zwei Tage später in einer Flugschrift berichtet, war am Abend über der Kirche Sankt Nikolai „eine platte runde Form wie ein Teller“ erschienen. Etwa ein Ufo? Die Nachricht der Himmelserscheinungen machte die Runde – auch in Kunstdarstellungen.
Am Eingang zur Kunstbibliothek im Kulturforum, wo die wundersame Ausstellung „Ufo 1665. Die Luftschlacht von Stralsund“ am Donnerstag vorgestellt wurde, flimmern zunächst einmal Videos über Monitore. Piloten der US-Navy beobachten mysteriöse Flugobjekte, die die bekannte Physik infrage stellen, und plaudern hollywoodreif darüber. Die unbekannten Flugobjekte haben unterschiedliche Formen und Formationen und können sogar mal wie ein christliches Kreuz aussehen. Politik, Militär und vor allem auch soziale Medien sind alarmiert. „Sind wir noch allein?“ ist 2021 etwa eine Titelgeschichte des „Spiegels“ überschrieben. Aliens sind weltweit ein Verkaufsschlager.
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Direktor Moritz Wullen hat sich mit seiner kleinen, feinen Kunstschau auf eine medienkritische Spurensuche begeben, die ihren Anfang im Jahr 1665 nimmt. „Die Luftschlacht von Stralsund“ bietet beiläufig eine der seltenen Gelegenheiten, einmal nachzuvollziehen, wie sich Ausstellungen anhand aufgefundener Objekte im Kopf von Kuratoren entwickeln. Und dabei auch zu erstaunlichen Erkenntnissen gelangen. Der Professor schaute zunächst ungläubig auf den Videohype um 2020 und besorgte sich den Ufo-Sichtungsklassiker „Wonders in the Sky“ von Jacques Vallée und Chris Aubeck. Ein Exemplar liegt in der ersten Vitrine, aufgeschlagen ist Seite 218, wo der Kupferstich „Schiffstreit in der Lufft/bey Stralsund“ abgebildet ist.
Bei Voltaire kommt der außerirdische Riese Micromégas zu Besuch
Die Darstellung hat Moritz Wullen überrascht und als Kurator auf die Spur gebracht. Als Direktor der Kunstbibliothek ist er natürlich privilegiert, denn er konnte sich in eigenen Beständen und in der Staatsbibliothek umtun. Die Schau beweist wieder einmal, dass wir in Berlin auf vielen weitgehend unbekannten Bildungsschätzen sitzen. In diesem Fall sind es kleine Kostbarkeiten, die zwischen den Seiten alter Bücher oder in Archiven versteckt sind. Mit dem „Schiffstreit“ beginnt Wullens Ausstellung, die insgesamt 50 Objekte präsentiert.

Die historisch zumeist kleinen Objekte finden sich an den Wänden vergrößert wieder, alles ist mit guten Erklärungen versehen. Um es vorwegzunehmen: Erst beim letzten Objekt aus dem Jahr 1752 kommt ein Außerirdischer ins Spiel. Gezeigt wird die von Voltaire erfundene Kunstfigur Micromégas, der aus dem Sirius-System stammt. Zufällig stößt der Riese auf die Erdlinge und erkennt, dass sie ein hochmütiges und engstirniges Ungeziefer sind. Der französische Philosoph schrieb mit seiner Erzählung eines der ersten Werke der Gattung Science-Fiction.
Immerhin kam ein Außerirdischer, um mal nachschauen, was in unser Welt so los ist. Bis dahin glaubte man, die Erde sei sowieso unattraktiv. Aus der Sicht der Mondzivilisation in Cyrano de Bergeracs „Les Etats et Empires de la Lune“ von 1657 ist die Erde ein Planet voller kostümierter Affen. Deshalb wird ein Astronaut nach der Landung auf dem Mond gleich in einen Käfig gesperrt, wo er mit einem anderen Affen Nachwuchs zeugen soll. In der Schau wird unter dem Titel „Planet der Affen“ ein Kupferstich gezeigt, der für die seit dem 16. Jahrhundert verbreiteten Bildsatiren steht. Der Affe steht für die menschliche Eitelkeit.
Für die sechs schockierten Fischer interessierte sich damals niemand
Die Schau ist in sechs Themenkomplexe untergliedert. Zunächst geht es um die „Zeugen und Medien“, wobei sich bereits die Zeitgenossen nicht weiter für die sechs schockierten Fischer interessiert haben. Die „Luftschlacht“ fand umgehend ihre fantasievollen Ausdeutungen. Im Kapitel „Design“ wird die Umarbeitung von bereits öffentlichen Darstellungen vorgeführt. Damals wurde abgekupfert, in den Himmel gespiegelt oder einmontiert. Heute würde man dazu gephotoshoppt sagen.
Dem christlichen „Glauben“ ist bemerkenswert viel Raum eingeräumt, weil immer auch „Wundererscheinungen“ oder die Gottesstrafe in den dargestellten Deutungen eine Rolle spielte. Im Bewusstsein der damaligen Bevölkerung regierte Gott als Schöpfer das Universum und konnte jederzeit eingreifen. Dem Himmel fiel dabei ein besondere Rolle zu. Gottes Auge könnte in den Darstellungen auch als Ufo gedeutet werden. Das Objekt 10 befasst sich mit dem Blutregen. Im Mai 1551 hatte eine Bewohnerin von Dinkelsbühl zuerst die zahlreichen Blutflecke auf der im Freien aufgehängten Wäsche entdeckt. Der Blutregen wurde auf die Leiden Christi zurückgeführt. Heute würde der Deutsche Wetterdienst darauf hinweisen, dass wir regional unter Sahara-Staub leiden.
Es gibt viel zu entdecken in dieser fantasieanregenden Ausstellung. Mehrfach fühlt man sich an aktuelle Hollywoodfilme erinnert. Aber beim nächsten Piratenfilm mit fliegenden Schiffen weiß man jetzt: Das ist ein alter Hut.
Kunstbibliothek am Kulturforum, Matthäikirchplatz 6, Tiergarten. Di, Mi, Fr 10-18 Uhr; Do 10-20 Uhr; Sa, So 11-18 Uhr. Bis zum 27. August