Heute ist ihr Tag. Nachdem am Freitag die letzten beiden Wettbewerbsfilme gelaufen sind, hat sich die siebenköpfige Berlinale-Jury um Präsidentin Kristen Stewart zusammengesetzt, um über die Vergabe der Goldenen und Silbernen Bären zu entscheiden. Wie das Votum zustande kommt, davon darf nichts nach außen dringen. Auch im Nachhinein nicht. Wie das aber so abläuft in der Jury, wie es ist, tagelang nur Filme zu schauen und mit Menschen zu diskutieren, die man bis dahin noch nicht kannte, darüber haben wir mit der Deutschen in der Internationalen Jury, der Filmemacherin Valeska Grisebach, gesprochen. In einer kleinen Pause zwischen zwei Wettbewerbsbeiträgen.
Was war Ihre erste Reaktion, als Sie erfuhren, Sie sollen in die Internationale Jury?
Valeska Grisebach: Ich habe mich sehr gefreut. So eine Einladung ist toll. Es ist natürlich auch eine Wertschätzung meiner Arbeit. Und jetzt ist es ganz spannend, dabei zu sein.
Sie hatten 2006 einen großen Aufschlag im Berlinale-Wettbewerb mit ihrem zweiten Spielfilm „Sehnsucht“. Wie sehr fühlen Sie sich dem Festival verbunden?
Das geht noch viel weiter zurück. Ich bin ja mit der Berlinale groß geworden. Schon als Kind nahm mich meine Mutter immer mit ins Kino. In den 80er-Jahren habe ich in der Akademie der Künste Kaffee verkauft und mich dann in die Vorstellungen reingeschlichen. Und schon mein Debüt „Mein Stern“ hatte hier Premiere. Das war ein sehr besonderer Moment. Gerade weil die Premiere zuhause, in Berlin war. Das war wie ein Versprechen, das sich wundervoll fortgeführt hat. Ich fühle mich der Berlinale daher sehr verbunden. Und ich merke auch, wie sehr sie mich immer berührt. Weil auch die Berliner eine starke Verbindung mit dem Festival haben.
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Zwei bis drei Wettbewerbsfilme pro Tag, dann auch noch der eine oder andere Empfang: Macht das am Ende noch Spaß, oder schwächelt man da irgendwann?
Das Schwächeln kommt wohl erst danach. Grundsätzlich ist das doch alles erst mal aufregend! Auch, die anderen Juroren kennenzulernen. Und so viele Empfänge sind das gar nicht. Auf dem Teppich fühl’ mich allerdings tatsächlich wohler, wenn ich selbst einen Film vorstelle. Das Festival schirmt die Jury aber auch ein bisschen ab, damit wir uns auf unsere Arbeit konzentrieren können. Sooo viel Programm ist das also nicht.
Wenn man selbst schon einen Film im Bären-Rennen hatte, wie ist das denn, jetzt über die Bären zu entscheiden?
Ich denke, mit der Zusammensetzung einer jeden Jury verändert sich die Bären-Vergabe. In dem Sinn hat so ein Wettbewerb immer was Ambivalentes. Ich verstehe die Preise aber schon so, dass man mit ihnen eine besondere Aufmerksamkeit widmen kann. Die sind in der Biographie von Filmschaffenden sehr, sehr hilfreich für die nächsten Schritte, die man tut. Die Erfahrung habe ich selber gemacht. So verstehe ich das denn auch, und ich glaube, auch die gesamte Jury.
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Ist die Jury mit den Tagen zusammen gewachsen? Oder prallen da starke Individuen aufeinander? Streitet man sich womöglich, sogar ganz leidenschaftlich?
Wir sind schon alle sehr unterschiedlich. Ich empfinde uns als ganz harmonisch, aber es geht schon zur Sache. Das sind keine Diskussionen, die durch Höflichkeit ausgebremst werden. Ich liebe auch meinen rumänischen Regie-Kollegen Radu Jude dafür, dass er immer mal kleine Bomben wirft und das Geschehen aufmischt. Und ich habe realisiert, wie selten ich eigentlich mit anderen über Filme spreche. Hier geht das einmal. Der Blick eines anderen kann dir plötzlich noch mal die Augen über einen Film öffnen. Ich merke erst, wie selten das passiert. Und wie sehr mir das eigentlich fehlt.
Und wie ist Kristen Stewart als Stammeshäuptling? Sie ist ja die jüngste aller Präsidenten, die es je auf der Berlinale gab.
Ich finde sie eine sehr tolle, inspirierende Frau. Man merkt auch, welch intensive Verbindung sie mit dem Kino eingegangen ist. Das Alter spielt dabei überhaupt keine Rolle, weil ich so viele Freunde unterschiedlichen Alters habe. Sie hat etwas wahnsinnig Verbindendes. Das finde ich sehr schön, weil dadurch auch die Gespräche gleich sehr persönlich wurden.
Nun gibt es in diesem Jahr gleich fünf deutsche Beiträge im Wettbewerb. So viel wie noch nie. Ist man da als deutsche Regisseurin ein wenig befangen? Oder guckt man womöglich noch kritischer?
Also. aus dem Bauch raus würde ich sagen: Überhaupt nicht. Die Frage der Nation beschäftigt mich überhaupt nicht. Die Diskussion ist ja auch leidig. Mal sind sind es zu viele deutsche Filme im Wettbewerb, mal sind es zu wenige.
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Drei der fünf Filmemacher gehören aber, wie Sie ja auch, der Berliner Schule an. Da gibt es doch eine gewisse Nähe.
Klar. Ich bin auch immer wieder gespannt, was macht diese oder jener als Nächstes. Die Berliner Schule war aber auch immer so eine Marke, eine Erfindung von außen - so schön das auch war. Ich will das gar nicht diskreditieren, das hat auch Aufmerksamkeit geschaffen. Aber ich sehe das alles sehr viel offener.
Die deutschen Kinos haben durch Corona ein Drittel ihres Publikums verloren. Sie alle in der Jury haben anfangs in Ihrer Pressekonferenz leidenschaftliche Plädoyers für die Zukunft des Kinos gehalten. Glauben Sie, dass so ein Festival eine Strahlkraft nach außen hat?
Auch in den Kinos gehen die Zahlen jetzt wieder etwas nach oben. Die Tür ist also noch nicht ganz zugefallen. Aber ich finde es schon erstaunlich, welche Filme auf der Berlinale vor vollen Sälen laufen. Ich glaube schon, dass die Berlinale da eine Strahlkraft hat. Dass sie Leute einen Schubs geben, dass sie neugierig machen kann. Aber ich finde, wir haben da auch gesellschaftlich einen Auftrag und eine Verantwortung, ins Kino zu investieren. Als Teil von Bildung. Auch Filmgeschichte ist etwas Kostbares, mit dem man sich in der Schule auseinandersetzen muss.
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