Ab August 2026

Schweizer Aviel Cahn wird Intendant der Deutschen Oper

| Lesedauer: 7 Minuten
Derzeit noch in Genf: Opernintendant Aviel Cahn.

Derzeit noch in Genf: Opernintendant Aviel Cahn.

Foto: Martial Trezzini / picture alliance/KEYSTONE

Der designierte Berliner Opernintendant Aviel Cahn ist Sänger, Jurist und ein scharfsinniger Opern-Erneuerer.

Die Deutsche Oper soll künftig jünger, diverser, spartenübergreifender und politischer werden. Das ist die Kernaussage von Aviel Cahn, der am Montag von Kultursenator Klaus Lederer (Linke) als neuer Intendant vorgestellt wurde. Kurz zuvor hatte der Stiftungsrat der Stiftung Oper in Berlin der Personalie einstimmig zugestimmt. Sein Amt wird der gebürtige Schweizer am 1. August 2026 antreten, zunächst hat er einen Fünf-Jahres-Vertrag. Sein Kommen bedeutet einen kulturpolitisch gewollten Bruch mit bisherigen Gepflogenheiten im sorgsam behüteten Charlottenburger Opernbiotop.

Die Stiftung Oper in Berlin steht in einer großen Umbruchphase. „Mit Aviel Cahn konnte Berlin eine außerordentlich kreative Persönlichkeit als künftigen Intendanten für das größte seiner drei Opernhäuser gewinnen“, sagte Klaus Lederer. An der Staatsoper übernimmt 2024 die derzeitige Intendantin der Bregenzer Festspiele, Elisabeth Sobotka, die Leitung. Nach dem Rücktritt von Daniel Barenboim wird jetzt ein neuer Generalmusikdirektor gesucht. An der Komischen Oper hat das Duo Susanne Moser und Philip Bröking gerade den langjährigen Intendanten Barrie Kosky abgelöst und bereitet sich auf die mehrjährige Sanierung des Stammhauses vor.

„Die Karten in der Berliner Opernszene werden etwas neu gemischt werden“, sagte Cahn und blickte dabei rückversichernd in Richtung des Kultursenators. Von einer „kreativen Chance“ sprach Cahn, in den nächsten Jahren könnten „viele neue Dynamiken geschaffen werden“. Er freue sich, bei diesem „neuen Opern-Berlin mitwirken zu können“. Die Personalie von Aviel Cahn bedeutet wohl auch, dass in Berlin künftig die Deutsche Oper wieder auf Augenhöhe mit der Staatsoper Unter den Linden agieren will. Das muss aber politisch und finanziell mitgetragen werden.

Der designierte Intendant folgt auf Dietmar Schwarz, der 2025 aufhört. Laut Lederer gibt es eine Interimsspielzeit. Die Verträge von Sir Donald Runnicles (68), der seit 2009 Generalmusikdirektor ist, und Thomas Fehrle, kaufmännischer Geschäftsführer seit 2011, laufen bis 2027. Aber über weiter reichende Pläne wollten und konnten am Montag weder Lederer noch Cahn reden. Sir Donald war verhindert und ließ einige Grußworte verlesen.

Nur Grundzüge seiner Opernarbeit wollte Cahn drei Jahre vor Amtsantritt darlegen. Am großen Ensemble will er festhalten. Darüber hinaus werde es an der Deutschen Oper künftig „ein kulturell diverses Team geben“. Er will mehr Kooperationen mit internationalen Partnern, Häusern wie Festivals. Gleich zu Beginn scherzte Cahn, der sich noch sehr gut daran erinnert, wie er als Kind die Deutsche Oper besuchte. Die „Lucia di Lammermoor“ von damals befände sich immer noch im Repertoire. Vielleicht sollte das ja seine Eröffnungsproduktion sein? Cahn wirkte am Montag redegewandt, freundlich und kontrolliert. Vermutlich ist er im Alltag scharfzüngiger.

Aviel Cahn, Jahrgang 1974, ist promovierter Jurist und ausgebildeter Sänger. Er selbst sprach am Montag beiläufig von sich als einem „Nichtkünstler-Intendanten“. Nach Stationen in Bern und beim Zürcher Kammerorchester leitete er ab 2009 zehn Jahre lang die Flämische Oper. Es wurde ein goldenes Jahrzehnt für das Doppelinstitut in Antwerpen und Gent. Die internationale Opernwelt schaute rasch auf Cahns Aktivitäten, er ist inzwischen ein begehrter Intendant.

Zuletzt hatte er seiner Geburtsstadt Zürich abgesagt, Staatsopern-Intendant Matthias Schulz wechselt hinüber, Cahn kommt jetzt nach Berlin. Derzeit ist Aviel Cahn noch Chef in Genf. Bereits nach seiner ersten Saison erhielt das Grand Théâtre vom Fachmagazin „Opernwelt“ die Auszeichnung „Opernhaus des Jahres“. Cahn ist abonniert auf solche Titel.

Die Biografie von Aviel Cahn jenseits des Opernbetriebs ist noch viel schillernder. Bereits als Gesangsstudent hatte er seine eigene Künstleragentur gegründet und der Rudolf-Nurejew-Stiftung assistiert. In Peking baute er gemeinsam mit dem Dirigenten Tang Muhai im Jahr 2000 die erste reguläre Konzertsaison nach westlichem Vorbild für das China National Symphony Orchestra auf. Im Sommer darauf wurde er Direktor für Künstlerische Planung und Besetzung an der Finnischen Nationaloper in Helsinki. Im Sommer 2004 wurde Cahn dann Operndirektor am Stadttheater Bern, wo er zwei Jahre später den Concours Ernst Haefliger gründete, den ersten internationalen Wettbewerb für Opernsänger in der Schweiz.

Bisher hat er sich immer wieder erfolgreich um ein neues, jüngeres Publikum bemüht. In Flandern konnte er das Durchschnittsalter seiner Opernbesucher von über 60 auf 48 Jahre senken. Die Oper machte er zum Stadtgespräch, als er zu Semesterbeginn an der Universität von Antwerpen Kondome mit dem Slogan „Not only sex is fun, opera goes deeper“ (Nicht nur Sex macht Spaß, Oper geht tiefer) verteilen ließ. Cahn kennt offenbar keine Scheu in Sachen Marketing.

„Ich sehe Oper sehr stark als gesellschaftspolitische Kunstform“, sagte Cahn am Montag. Als Provokation wurde Cahns Projekt empfunden, in Belgien einen israelischen und einen palästinensischen Regisseur gemeinsam die Oper „Samson et Dalila“ von Camille Saint-Saëns inszenieren zu lassen. In dem alttestamentarischen Stoff geht es um das Volk Israel, das nach dem Auszug aus Ägypten in Palästina unter die Knechtschaft der Philister gerät. Parallelen zum aktuellen Nahostkonflikt wurden in der Inszenierung nahegelegt, auch weil der Hauptdarsteller einen Sprengstoffgürtel trug. In einer Podiumsdiskussion kam es fast zu Handgreiflichkeiten. „Überall wurde in den Feuilletons debattiert, wie politisch Oper sein soll“, sagte Cahn. Die Diskussion reichte bis in die „New York Times“ hinein.

Seine Vlaamse Opera hatte 2015 anlässlich der Premiere von Halévys „La Juive“ (Die Jüdin) zu einer Tagung mit dem Titel „Das Judentum in der Oper“ eingeladen. Regisseur Peter Konwitschny sprach sehr offen über das Pro­blem, wie kompliziert es heute sei, Juden auf der Bühne darzustellen. Als der Regisseur sah, dass die Figur des jüdischen Goldschmieds Eléazar in Halévys Oper „keine noble Person“ sei, habe er sich schon gefragt: „Darf ich den als Deutscher auf der Bühne kritisieren?“ Bei dem Symposium wurde über den künstlerischen Umgang mit jüdischen Themen diskutiert. Das Thema Antisemitismus habe man beiseite gelassen, es ging darum, so Cahn am Montag, „die Dinge von der positiven Seite zu betrachten.“

„Judaism in Opera“ (ConBrio, 368 Seiten) ist eines der drei von Aviel Cahn neben seiner Dissertation veröffentlichten Bücher. Seine Dissertation schrieb er zum Thema „Der Theaterintendant – Seine rechtliche Stellung in Theorie und Praxis“. In Berlin teilt sich die Deutsche Oper das Haus mit dem Staatsballett Berlin, das im Sommer von Christian Spuck übernommen wird. Man kenne sich nur oberflächlich, sagt der tanzaffine Cahn. Aber er freue sich darauf, mehr zu erfahren.