Anfang der 1970er-Jahre, viele Jahrzehnte bevor Kurzfilme und Videoschnipsel zum selbstverständlichen Teil unseres Alltags wurden, fixierte die Künstlerin Margaret Raspé eine Super-8-Kamera an einem Baustellenhelm und begann, ganz alltägliche Verrichtungen aus der Perspektive ihrer eigenen Blickrichtung zu dokumentieren. Das Ergebnis kann man sich jetzt in einer großen Retrospektive im Haus am Waldsee ansehen: Da wird ein Schnitzel paniert und gebraten, es wird Sahne zu Butter geschlagen oder der Abwasch gemacht. Die Handgriffe laufen geschmeidig-routiniert und wie tausendfach geprobt ab, werden aber im musealen Kontext plötzlich auf andere Weise erfahrbar – zum einen als erstaunlich elegante Choreographie manueller Motorik, zum anderen aber auch als gern übersehene und gering geschätzte Arbeitsabläufe. „Schon gar nicht möglich, diesen Handlungsraum in der Kunst zu bearbeiten!“, sollte Margaret Raspé 1994 im Rückblick schreiben. Gerade deshalb tat sie es.
Die 1933 in Breslau geborene Raspé, die sich nach der Geburt dreier Kinder mit Filmen wie diesen wieder kreative Räume zurückeroberte, lebt seit Jahrzehnten in Zehlendorf, gar nicht weit vom Haus am Waldsee entfernt. Mit der Retrospektive, der zweiten Ausstellung unter der neuen Direktorin Anna Gritz, erfährt das Lebenswerk einer sehr eigensinnigen und überraschenden Künstlerin eine verdiente Würdigung.
„Ein Verweben der Begriffe“
Raspé war in vielen Medien zuhause, im Film ebenso wie in in der Klangkunst, dem Bild und in Installationen. Im Erdgeschoss ist die 1990 entwickelte Arbeit „Videohonig“ zu sehen, die mithilfe eines technischen Teams im Haus am Waldsee nun zu neuem Leben erweckt wurde: Mehrere Monitore, auf denen Bienenwaben installiert sind, die das dahinter liegende Fernsehbild zu einem unregelmäßigen Schimmern herunterdimmen und den Ton so dämpfen, dass er nur noch als leises Summen wahrnehmbar ist. Raspé hatte sich für die Bienenzucht eines Nachbarn interessiert. Technik und Natur: „Immer wieder“, schrieb sie später, „ging es in meinen Arbeiten um ein Verweben dieser entgegengesetzten Begriffe. Die Ähnlichkeit der Waben mit den – für unsere Augen nicht wahrnehmbaren – Pixelrastern des Fernsehbilds regte mich an, Technik mit natürlichem Material zu überlagern.“ Es ist gleichzeitig ein sehr lebendiges Kunstwerk: Von den Waben tropft es herunter, auf dem Museumsboden bilden sich kleine, hübsche Kreise aus Honig.
Wenn Wasserkessel Bilder malen
Viele Werke zeigen die Auseinandersetzung mit Rollenzuschreibungen und geschlechtsspezifischen Stereotypen, aber auch das Bedürfnis, innere Vorgänge in die Kunst zu übertragen. Auf der Suche nach einer, wie sie schrieb, „Metapher für Druck, Schrei und im Bild kondensierte Entäußerung“ verfiel Raspé auf die originelle Idee, mehrere Wasserkessel in der Nähe von Leinwänden aufzustellen, auf denen sie zuvor wasserlösliche Pigmente aufgebracht hatte. Mit Erreichen des Siedepunktes entstanden eigenwillige, gewissermaßen automatisierte Gemälde, während die unterschiedlichen Pfeifen der Kessel gleichzeitig als Klanginstallation fungierten. Raspé, die in ihrem Haus am Rhumeweg regelmäßig Künstlerinnen und Künstler aus dem Umfeld der Wiener Aktionisten, der Wiener Gruppe und der Berliner Fluxus-Bewegung empfing, verbindet nicht nur hier Poesie und Alltag zu einer unverkennbaren Handschrift.
Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Zehlendorf. Öffnungszeiten: Di.-So., 11-18 Uhr.