Noch mal jung sein, noch mal alle Möglichkeiten offen haben, die erste Liebe und Schmetterlinge im Bauch fühlen: Die Pubertät hat jeder in Erinnerung. Und lässt sie immer mal Revue passieren. Im Kino gibt es ein ganzes Filmgenre für diese Erinnerungsarbeit, in dem ganz junge und auch sehr alte Regisseure von der Jugendzeit und dem Erwachsenwerden erzählen: der sogenannte Coming-of-Age-Film.
Auf der diesjährigen Berlinale (16.-26. Februar) verschreibt sich die Retrospektive „Young at Heart – Coming of Age at the Movies“ genau diesem Thema. Und verspricht ein echtes Highlight. Kann gut sein, dass manch Festivalgänger den Wettbewerb eher links liegen lässt und sich auf diese Sektion konzentriert.
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Allein die Retro verspricht einen knallroten Teppich
Denn nicht nur das Thema ist außerordentlich ansprechend, das Konzept ist es erst recht. Das Programm haben nämlich einmal nicht honorige Filmhistoriker erstellt. Nein, die Berlinale hat Filmemacher aus aller Welt eingeladen, ihren Lieblingsfilm aus dem Genre persönlich vorzustellen.
Das Konzept gab das Festival bereits Ende Oktober bekannt. Am Montag hat es nun auch mitgeteilt, wer welchen Film vorstellt. Und man darf sagen, allein diese Gästeliste ist vielversprechend. Und verspricht einen knallroten Teppich.
Wim Wenders wird den Meilenstein vorstellen, der zum Prototyp des Genres wurde, Nicholas Rays „… denn sie wissen nicht was sie tun“ aus dem Jahr 1955 mit James Dean. Kultregisseur M. Night Shyamalan, der Berlinale-Präsident des Vorjahres, präsentiert „Die letzte Vorstellung“ (1971) von Peter Bogdanovich; Martin Scorsese, dessen Rolling-Stones-Doku die Berlinale 2008 eröffnete, Bernardo Bertoluccis „Vor der Revolution“ (1964); Wes Anderson „Der kleine Ausreißer“ (1953) – und Pedro Almodóvar Elia Kazans „Fieber im Blut“ mit Natalie Wood.
Allein Juliette Binochs Wahl wirkt etwas eitel
Nora Fingscheidt, die auf dem Festival mit „Systemsprenger“ reüssierte, hat „Und täglich grüßt das Murmeltier“ (1985) mit Bill Murray ausgesucht, Karoline Herfurth „Muriels Hochzeit“ (1944) mit Toni Colette, Maren Ade Agnès Vardas „Vogelfrei“ (1985) mit der noch ganz jungen Sandrine Bonnaire,und Mohammad Rasoulof, der 2020 den Goldbären gewann, Werner Herzogs „Kaspar Hauser-Film „Jeder für sich und Gott gegen alle“ (1975).
Nur eine Auswahl wirkt etwas eitel: Juliette Binoche, die Berlinale-Präsidentin 2019, hat sich für „Drei Farben: Blau“ (1993) entschieden - mit sich in der Hauptrolle.
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Bislang wurden 23 Filme aus fünf Jahrzehnten bekannt gegeben, am 23. Januar sollen weitere Titel folgen. Darunter finden sich nicht nur Klassiker des Genres, sondern auch unbekanntere Werke wie etwa der iranische Film „Ein Sack Reis“ (1996), in den Berlinale-Dauer-Star Tilda Swinton einführt, oder „Lärm und Wut“ (1985), den Nadav Lapid, der Goldbären-Sieger 2019, vorstellt.
Diese Form der Retro ist innovativ und sensationell
Das sind zum Teil einfach ganz persönliche Lieblingsfilme zum Thema Jungsein und Erwachsenwerden. Es werden aber auch Werke gezeigt, die nicht unbedingt genretypisch sind, aber für das Heranwachsen oder den künstlerischen Werdegang des jeweiligen Gastes ganz wichtig waren.
Keine Frage: Mit dieser Retro gibt sich die Berlinale frisch, immergrün – und publikumswirksam. Schade nur, dass nicht jeder Gast auch wirklich nach Berlin reisen wird, sondern seine Grußworte teils nur per Videobotschaft übermittelt. Manch Filmemacher scheut wohl auch in endemischen Zeiten noch immer das Reisen. Aber an dieser Stelle soll nicht gemäkelt werden. Diese Form, die Retrospektive zu kuratieren, ist innovativ und sensationell.