Wir treffen uns in seinem Kiez, in Mitte. Auch wenn man sich dafür wirklich nicht zu entschuldigen braucht – Julius Nitschkoff tut es doch. Er darf nämlich nicht so viel laufen. Auch wenn man es nicht bemerkt, humpelt er ein wenig. Und lief vor kurzem noch an Krücken. Der Schauspieler hat sich bei Dreharbeiten verletzt. Für die neue Sky-Serie „Autobahn“, die so etwas wie die Fortsetzung von „Alarm für Cobra 11“ werden soll.
Eine Serie voller Action: Das hat sich der 27-Jährige immer gewünscht. Und ließ es sich auch nicht nehmen, die meisten Stunts selber zu machen. Aber an einem Drehtag musste er erst im fünften Stock vom Balkon klettern und sollte dann noch über eine Auto springen. Vielleicht zu viel auf einmal. Denn dabei ist ihm ein Band gerissen. „Ich mache seit zehn Jahren Extremsport, mir ist nie was passiert“, sagt er jetzt. Und tröstet sich selbst: „Das gehört vielleicht zu einer Sportlerkarriere dazu.“ Er hat jedenfalls viel über seinen Körper gelernt. Und weiß Gesundheit jetzt ganz anders wertzuschätzen.
Kantiges Gesicht, starke Physis - damit war er lange auf Bösewichter abonniert
Julius Nitschkoff ist derzeit einer der aufregendsten deutschen Nachwuchsschauspieler. Auch wenn das mit dem Nachwuchs schon lange nicht mehr stimmt. Stand er doch schon mit 13 Jahren das erste Mal vor der Kamera. Und macht das nun schon länger als sein halbes Leben.
Im vergangenen September wurde ihm eine der höchsten Ehren zuteil: der Deutsche Schauspielpreis. In einer neuen Kategorie, die erstmals ausgezeichnet wurde, fürs beste Duo. Den Preis erhielt er zusammen mit Farba Dieng für die Filmkomödie „Toubab“, in der ein Deutscher seinen senegalesischen Freund vor der Abschiebung retten will. Und vorgibt, schwul zu sein. Um ihn heiraten zu können.
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Und nun kann der Schauspieler gleich mit zwei neuen und sehr unterschiedlichen Produktionen seine ganze Bandbreite beweisen. Am 9. Januar startet im ZDF der Siebenteiler „Gestern waren wir noch Kinder“, ein interessanter, experimenteller Genremix, ein Familiendrama, das auf zwei Zeitebenen spielt und am Ende nichts ist, wie es anfangs schien.
Auch Nitschkoffs Rolle nicht. Der spielt einen Polizisten, der sich rührend um ein Schulmädchen kümmert, dessen Vater gerade die Mutter umgebracht hat. Aber dann erweist sich sein Verhalten als doch nicht ganz so selbstlos und edelmütig.
„Den Schläger“, bilanziert er trocken, „hab’ ich oft genug gespielt“
Nur drei Wochen später, am 2. Februar, startet dann „Bulldog“ im Kino, ein Film, der bereits vor einem Jahr beim Max Ophüls Preis Premiere hatte. Darin spielt er den Sohn einer nur 15 Jahre älteren Mutter, die beide ganz eng miteinander sind. Aber nur, weil er eigentlich der Reifere ist und sich um die Mutti kümmert.
Eine Mutter-Sohn-Beziehung mit umgekehrten Vorzeichen, für das man ihn gleich noch mal, diesmal mit Lana Cooper, in der Kategorie Duo auszeichnen könnte. Bei den Biberacher Filmfestspielen hat er dafür schon den Silbernen Biber als bester Schauspieler erhalten. Ganz klar hat Julius Nitschkoff gerade einen Lauf. Auch trotz des Bänderrisses.
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Der Schauspieler ist denn auch sehr glücklich: Über die beiden Filme. Und die sehr unterschiedlichen Rollen, die er da spielen darf. Denn bislang, das gibt er offen zu, steckte er doch in einer Schublade. „Den Schläger hab’ ich oft genug gespielt“, meint er. Mit seiner sportlichen Figur und seinen kantigen Gesicht ist er ja wie geschaffen dafür. „Grundsätzlich muss man auch sagen, dass es nicht so viele harte Charaktere in der hiesigen Branche gibt, die auch eine gewisse Körperlichkeit mitbringen.“ Darauf ist Nitschkoff auch stolz. Aber dadurch sei er halt „in die Antagonisten-Rolle“ gerutscht.
Zu seiner Beruf fand Nitschkoff eher zufällig - Er ist da so reingerutscht
„Ich spiel’ das auch sehr gern“, beeilt er sich hinzuzufügen. Und er hätte auch das Glück gehabt, dass ihm zwar meist Bösewichte angeboten wurden, aber doch solche, die eine Tiefgründigkeit und damit Wahrhaftigkeit hatten. Aber er wurde eben sehr einseitig wahrgenommen. Und hörte immer wieder von Castings zu anderen Rollenprofilen – und fragte sich, wieso er dazu nicht eingeladen war.
Auch für „Gestern waren wir noch Kinder“ war eigentlich schon ein anderer für die Rolle angedacht. Aber Regie führte Nina Wolfrum. Die hatte schon mit Nitschkoff gearbeitet. Und wollte ihn für die Rolle. Nach einem Nachtdreh „bei einem sehr coolen, aber auch sehr chaotischen Projekt“ – Nitschkoff ist ein Freund klarer Worte – war er völlig kaputt und hat das Vorsprechen „gefühlt komplett verkackt“. Die Regisseurin aber glaubte an ihn und boxte ihn durch. Das war ein großes Glück.
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Auch bei „Bulldog“ freute er sich ungemein, dass Regisseur André Szardenings „offensichtlich in keinster Weise gefragt hat, ob ich nicht vielleicht zu muskelbepackt oder oder oder für die Rolle bin“. Er hätte ihm einfach alle Facetten, die diese Rolle verlangt, zugetraut. Nitschkoff betreibt Kampfsport und Klettern, Breakdance und HipHop. Und sieht diese physischen Attribute auch als Alleinstellungsmerkmal. Aber er hat eben auch andere Seiten. Und hofft, dass in Zukunft harte schale und weicher Kern öfter mal zusammenkommen.
Fast hätte er das Abi nicht geschafft - wegen eines Kinofilms
Zu seiner Berufung fand Nitschkoff eher zufällig. In der Oberschule hatte eine gute Freundin eine AG für Jugenddarsteller, da kam er zufällig hin. „So hat sich das Stück für Stück ergeben.“ Das waren anfangs ein, zwei Filme im Jahr, erzählt er, ganz beiläufig, als wolle er das herunterspielen. Aber dann kam, kurz vor dem Abi, der Kinofilm „Als wir träumten“ .
Die Rolle, das sei „wieder so ein Schläger“ gewesen, aber einer der dankbareren, „in einem ganz wichtigen Film des wunderbaren Andreas Dresen“. Dafür hätte er fast sein Abitur nicht geschafft – weil er so oft gefehlt hat. Heute ist er doch ganz froh, dass er es gerade so hingekriegt hat. Denn es gab immer wieder diese Tiefs, von denen auch andere Schauspieler erzählen. Wenn gar kein Angebot kommt. Und man an sich selbst zu zweifeln beginnt.
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Nicht so Nitschkoff. Er hat eine Ausbildung zum Finanzberater gemacht, hat Gartenbau studiert, hat vieles ausprobiert. Aber dann kam doch immer wieder „ein fettes Projekt“. Und natürlich hilft auch der Sport in solchen Stimmungstälern. „Parcours, Martial Arts: Das schafft Ablenkung, aber gleichzeitig stärkt das auch das Vertrauen in dich.“ Er habe dadurch auch eine gewisse Gelassenheit – „was am Ende vielleicht mein Erfolgsrezept ist“.
Showbiz ist „immer dirty“ - Dabei entsteht Magie nur durchs Zusammenspiel
Wie es scheint, kann ihn nur wenig aus der Ruhe bringen, nicht mal ein Bänderriss. Aber einmal hat man ihn doch ganz aufgelöst erlebt. Eben beim Deutschen Schauspielpreis. Das sei schon allein deshalb toll gewesen, weil über den Preis ja Kollegen abstimmen „und nicht irgendeine Jury“. Aber gerührt hat ihn vor allem, weil hier erstmals ein Duo ausgezeichnet wurde.
„Showbiz ist leider immer dirty. In der Branche herrscht eine unglaubliche Konkurrenz.“ Da nimmt Nitschkoff kein Blatt vor den Mund. „Aber Film ist ein Teamplay. Magie entsteht erst im Zusammenspiel mit deinen Partnern.“
Nach unserem Gespräch läuft Julius Nitschkoff zurück nach Hause. Behutsam zwar, aber festen Schritts. Ein Freund klarer Worte. Keine Frage: Dieser Schauspieler geht seinen Weg.