Welch ein Outfit! Zum Pool kommt Daniel Craig im blauweiß-gestreiften Anzug. Aber in Shorts. Und exaltierten Sandalen. Als er so beim Dreh auftauchte, sollen seine Filmpartner in schallendes Gelächter ausgebrochen sein. Und so ergeht es auch dem Zuschauer, wenn Craig so in der Krimikomödie „Glass Onion“ auftritt. Zumal, wenn dann noch ein schicker Sportwagen vorfährt, wie ihn auch James Bond gefahren hätte – aber nur in Miniaturform, mit dem Getränke serviert werden.
„Glass Onion“: Der Bond-Exorzismus geht in die nächste Runde
Keine Frage: Daniel Craig hat fertig mit 007. Lange musste er überredet werden, um mit „Keine Zeit zu sterben“ überhaupt noch einen letzten Bond-Film zu drehen. Und nur unter der Bedingung, dass 007 dabei sterben müsse. Nur so konnte der Star sich befreien von der Über-Rolle, die er in 15 Jahren fünf Mal gespielt hat, für die er immer wieder monatelang hart trainieren musste und die ihn weltweit verfolgte.
Aber mit der London-Premiere von „Keine Zeit zu sterben“ im September 2021 war diese Ära zu Ende. Schon da verblüffte er die Fans mit einem pinkfarbenen Samtanzug, der sich ziemlich mit dem roten Teppich biss. Und dann sorgte ein Wodka-Werbefilm für Aufsehen, in dem Craig selbstironisch das Tanzbein schwang.
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Nun geht der Bond-Exorzismus in die nächste Runde. Schon vor „Keine Zeit zu sterben“ wirkte Craig in der Krimikomödie „Knives Out – Mord ist Familiensache“ mit. Es war nur eine Nebenrolle als Detektiv Benoit Blanc, der in einem Familienclan ermittelte, bei dem jeder verdächtig war, den Patriarchen gemeuchelt zu haben. Aber eine Rolle, die Eindruck hinterließ, weil Craig da als blasiert-exaltierter Geck für Amüsement sorgte. Das pure Gegenteil des stets coolen, schmallippigen und bestens gekleideten Agenten.
Der zweite „Knives Out“-Film will den ersten in jeder Hinsicht toppen
„Knives Out“ lief 2019 so erfolgreich im Kino, dass Regisseur und Drehbuchautor Rian Johnson mit „Glass Onion – A Knives Out Mystery“ eine Fortsetzung entwickelt hat. Im Gegensatz zum ersten Teil lief der zweite nur kurz in ausgewählten Kinos, bevor Netflix ihn nun einen Tag vor Heiligabend als Weihnachtspräsent auf seinem Streamingportal kredenzt. Und schon hört man, dass es weitere „Knives Out“-Filme geben soll, immer mit Craig in der Hauptrolle – und, wie schon bei den Bond-Filmen, auch als Koproduzent.
Der zweite Messer-raus-Film will den ersten in jeder Hinsicht toppen: mit noch mehr Verdächtigen. Mit einer noch pompöseren Kulisse. Vor allem aber mit noch trockenerem Humor. Diesmal steht Detektiv Blanc klar im Mittelpunkt. Und muss nicht mehr in der typisch britischen, steiflippigen Upper Class ermitteln. Wegen des Corona-Lockdowns sitzt er lustlos in der Badewanne, wird aber plötzlich eingeladen. Zu einem Krimispiel auf einer Privatinsel in Griechenland, von einem ziemlich abgehobenen Milliardär.
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Diesen Miles Bron legt Edward Norton ebenfalls als Parodie an, aber nicht auf fiktive Bond-Gegenspieler, sondern auf den realen Elon Musk. Schamlos stellt Nortons Bron seinen Reichtum aus, leiht sich gar die „Mona Lisa“ aus, weil der Louvre gerade im Lockdown ist. Und lockt seine illustre Entourage zum Luxus-Wochenende auf seine Insel.
Agatha Christie hätte ihren Spaß an diesem Film
Dort erscheint auch Cassandra Brand (Janelle Monáe), die einst Brons Konzern mitgründete, dann aber ausgestochen wurde. Und das bleibt nicht die einzige Überraschung für den Gastgeber. Denn Blanc ist eigentlich gar nicht eingeladen. Na, soll er halt mitspielen bei diesem Mörderspiel. Aber wie schon zu erwarten bei einer solchen Krimikomödie gibt es eine echte Leiche. Blanc darf ermitteln. Und natürlich hat jeder Anwesende so seine Geheimnisse und ist verdächtig.
Das erinnert nicht zufällig an alte Agatha-Christie-Filme um den exzentrischen Detektiv Hercule Poirot. Auch die waren stets mit britischem Humor gewürzt und bis in Nebenrollen prominent besetzt. Bei „Glass Onion“ spielen immerhin vier Hochkaräter mit, neben den Genannten noch Kate Hudson und Dave Bautista – der in „Spectre“ den Handlanger des Bond-Bösewichts gab. Für mehr A-Stars hat das Budget wohl nicht gereicht, dafür gibt es Cameos von Ethan Hawke und Hugh Grant und letzte Auftritte des Musical-Komponisten Steven Sondheim und der Hollywoodlegende Angela Lansbury, die beide kurz nach dem Dreh verstarben.
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Für weitere Schauwerte sorgt das pompöse Anwesen mit seiner zwiebelförmigen Glaskuppel, die dem Film den Titel gibt, die grellen, die gewagten Garderoben der Designerin Jenny Eagan. Und die vielen Wendungen, mit denen Rian Johnson ständig Erwartungen bricht und die Zuschauer aufs Glatteis führt. Nebenbei gibt es auch viel Kritik an den Schönen und Reichen und Seitenhiebe auf Protzkapitalismus und Energiekrise.
Diese Glaszwiebel hat Biss und Schärfe. Während die jüngsten Hercule-Poirot-Neuverfilmungen von Kenneth Branagh leider recht zäh und humorlos ausfallen, docken die „Knives Out“-Filme eher an den alten Christie-Charme an – auch wenn sie mit Agatha Christie gar nichts zu tun haben. Aber Benoit Blanc wird zur Konkurrenz für Hercule Poirot. Und wird vielleicht sogar mal aufsteigen in die Runde illustrer Filmdetektive. Craig jedenfalls spielt diesen Anti-Bond sichtlich mit Lust. Und Johnson tüftelt bereits an einem dritten Teil. 007, war da mal was?