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Whitney Houston: Der tiefe Fall eines Stars

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Einer ihrer größten Triumphe: Whitney Houston (Naomi Ackie) singt 1991 zum Super Bowl die amerikanische Nationalhymne – im Trainingsanzug.

Einer ihrer größten Triumphe: Whitney Houston (Naomi Ackie) singt 1991 zum Super Bowl die amerikanische Nationalhymne – im Trainingsanzug.

Foto: Sony/ Emily Aragones

Die Filmbio „Whitney Houston: I Wanna Dance With Somebody“ ist erstaunlich konventionell, besticht aber durch seine Hauptdarstellerin.

Am Anfang ihrer Karriere wird sie nach ihrem Traum gefragt. „Mein Traum?“, entgegnet sie: „Singen, wie ich singen will. Sein, wie ich sein will.“ Ersteres sollte sich für Whitney Houston unbedingt erfüllen. Sie hatte eine Stimme aus Gold, wurde zur größten Soulstimme ihrer Zeit, verkaufte über 200 Millionen Tonträger, überflügelte damit die Beatles und Elvis und gewann allein sechs Grammys. Zweiteres Zweiteres aber gelang ihr nie. Sie konnte nie ihr eigenes Leben leben. Die große Tragik von Whitney Houston, die vor zehn Jahren im Alter von nur 48 Jahren starb, in einer Badewanne, wo sie, von Drogen berauscht, unters Wasser glitt und ertrank.

Der eine Traum erfüllt sich schnell, der andere nie

Nun kommt kurz vor Weihnachten ein Film ins Kino, „Whitney Houston – I Wanna Dance With Somebody“, der noch einmal ihr Leben aufblättert. Und die Frage nach ihrem Traum stellt. Singen, wie ich singen will: Damit sticht die junge Whitney (Naomi Ackie) schon aus dem Chor ihrer Mama, der bekannten Sängerin Cissy Houston (Tamara Tunie), hervor. Damit weckt sie auch das Gespür des legendären Musikproduzenten Clive Davis (Stanley Tucci).

Der heuert die besten Songwriter für sie an. Es ist hübsch mitanzusehen, wie die Demo-Tapes anhören und Kassette um Kassette in den Recorder legen,. Immer wieder schüttelt Whitney den Kopf. Bis sie auf einen Titel stößt, von dem sie meint, daraus könne sie vielleicht was machen. „Vielleicht?“, meint Davis trocken: „Es muss ins Ohr gehen.“ Whitney lächelt leise. „Das kriege ich hin.“ Und schon hört man den Song „How Will I Know“, der einer ihrer erfolgreichsten werden wird.

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Trailer zum Film: „Whitney Houston - I Wanna Dance With You“

Sein, wie ich sein will: Das aber wird ihr von Anfang an verwehrt. Das fängt schon beim Äußeren an. Sie trägt Hosen und das Haar kurz, ihr strenger Vater John Houston (Clarke Peters) aber zwingt sie, Kleider und die Haare lang zu tragen. Weil sie eine Prinzessin, weil sie America’s Sweetheart werden soll. Die Tochter fügt sich auch in allem anderem. Selbst und gerade, was ihr Liebesleben betrifft. Denn sie liebt eine Frau, Robyn Crawford (Nafessa Williams). Aber die mögen ihre Eltern nicht. Und Gerüchte um eine gleichgeschlechtliche Liebe würden der Karriere schaden.

Das Problem des Films: Die Vita der Houston kennt man vielleicht nur zu gut

So wird Robyn als beste Freundin ausgegeben und wird ihre Managerin. Aber Whitney geht mit Männern aus. Und gerät schließlich an den ungestümen R&B-Sänger Bobby Brown (Ashton Sanders). Der Daddy und der Gatte: Zwei Männer, die ihr Geld ausgeben. Und so leben, wie sie wollen. Die aber Whitney immerzu vorschreiben, was sie zu tun hat. Und sie damit in die Drogensucht treiben.

Kasi Lemmons’ Filmbiographie ist fast erschütternd konventionell. Sie beginnt auf dem Höhepunkt von Whitneys Karriere, 1994 bei der Verleihung der American Music Awards Dann aber fährt der Film auf den Anfang zurück und durchblättert brav chronologisch die Vita. Wobei der Filmverleih mit dem Slogan wirbt: „Entdecke die Whitney, die du nie gekannt hast.“

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Das Problem des Films ist, dass man Whitney eher zu gut kennt. Die Drogenexzesse und das Auf und Ab ihrer Ehe hat man damals schon in den Schlagzeilen verfolgt. Den traurigen Tiefpunkt ihrer Karriere konnten Fans auch in Berlin erleben, als Houston auf ihrer Welttournee 2009 mehrfach die Stimme versagte. Und es gibt auch gleich zwei große Dokumentarfilme, „Whitney: Can I Be Me“ (2017) und „Whitney – Die wahre Geschichte einer Legende“ (2018), die das tragisch vordiktierte Leben dieser Ausnahmekünstlerin erzählen.

Allzu viel Kritik am engeren Umfeld ist nicht zu erwarten

Das Genre des Biopic ist ja eigentlich längst weiter. Erzählt wird ein Leben nur als Ausschnitt, etwa vom Ende her, wie „Judy“ (2019) über Judy Garland. Als Lebensbeichte in einer Gruppentherapie, wie „Rocket Man“ (2019) über Elton John. Als ewigen Justizfall wie „The United States vs. Billy Holiday“ (2021). Oder aus der Sicht eines Managers, der seinen Star ausbeutet und sich von Anfang an als Lügner erweist wie in „Elvis“ (2022).

Von solchen Perspektiven aber ist Bestsellerautor Anthony McCarten weit entfernt. Wie schon „Bohemian Rhapsody“ (2019) verfolgt er auch in diesem Drehbuch sein Sujet ganz altmodisch. Und wie jener Freddie-Mercury-Film von der Gruppe Queen produziert wurde, ist bei diesem hier die Schwägerin Pat Houston beteiligt, die am Ende Whitneys Managerin war. Allzu viel Kritik am engeren Umfeld ist da nicht zu erwarten.

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Und doch sieht man über all dies gnädig hinweg. Denn der Film wird getragen von der umwerfenden Naomi Ackie. Die britische Schauspielerin kennt man bisher nur aus kleineren Rollen aus „Lady Macbeth“ und dem „Star Wars“-Film „Der Aufstieg Skywalkers“. Hier aber gibt sie eine beeindruckende Leistung und verschmilzt ganz mit dem Idol.

Auch wenn sie, sonst ein steter Reiz bei Filmen über Gesangskünstler, nicht selbst singt, weil man das Stimmwunder, das drei Oktaven umfasste, kaum nachahmen kann – die Entwicklung vom jungen, aufstrebenden Mädchen über die reife Künstlerin bis zum späten, ausgebrannten Wrack gelingt ihr bravourös.

So möchte man Whitney Houston in Erinnerung behalten

Und so geht man mit und durch diese Naomi Ackie noch mal alle Stationen dieses Lebens durch. Fast alle. Am Ende tropft der Wasserhahn im Badezimmer zwar schon bedeutungsvoll. Aber der tragisch-banale Tod in der Wanne bleibt dem Zuschauer erspart. Stattdessen sieht man, wie Whitney sich zurück ins Jahr 1994 sehnt, auf die Preisverleihung, mit der der Film anfing und bei der sie ihr berühmtes zehnminütiges Medley dreier kaum singbarer Songs schmettert.

Auch hier hält sich Drehbuchautor McCarten an sein Erfolgsrezept von „Bohemian Rhapsody“ und endet mit einer langen Sequenz eines späten Erfolgs. Aber das nimmt man denkbar an. Denn genau so möchte man Whitney Houston in Erinnerung behalten.

Biopic USA 146 min., von Kasi Lemmons, mit Naomi Ackie, Stanley Tucci, Tamara Tunie