Deutsches Theater

Rapsongs für Minna von Barnhelm

| Lesedauer: 5 Minuten
Katrin Pauly
Im Kasten: Major von Tellheim (Max Simonischek), Just (Bernd Moss) und die Wirtin (Lorena Handschin).

Im Kasten: Major von Tellheim (Max Simonischek), Just (Bernd Moss) und die Wirtin (Lorena Handschin).

Foto: Arno Declair

Ein großer, grotesker Spaß: Anne Lenk entstaubt Gotthold Ephraim Lessings Klassiker am Deutschen Theater.

Es ist kompliziert: „Ich bin ein Unfallwagen mit einem Totalschaden.“ Und weiter: „Du bist Superwoman, ich bin dein Kryptonit.“ Der Text ist vom Rapper Fatoni und eigens geschrieben für Anne Lenks Inszenierung von Lessings „Minna von Barnhelm“, die am Wochenende Premiere im Deutschen Theater feierte. Das hätte der Major von Tellheim natürlich niemals so zu seiner Minna gesagt. Und Lessing niemals so geschrieben. Aber komplizierte Beziehungen sind ja nicht dem 18. Jahrhundert vorbehalten, in dem Lessings Lustspiel entstand.

Wenngleich die geschlechtsspezifischen Rollenmuster und Begriffe wie Ehre und Stolz damals natürlich noch andere waren, zumal im Dunstfeld des preußischen Militärs, dem der Major von Tellheim angehörte. Doch Lessing war seiner Zeit auch in diesen Fragen voraus. Spannender Stoff für Regisseurin Anne Lenk, die ihn gemeinsam mit David Heiligers textlich bearbeitet hat und die für ihre präzisen, überzeitlichen Klassikerinszenierungen vielfach ausgezeichnet wurde. Zweimal gab es eine Einladung zum Theatertreffen, ihr „Menschenfeind“ erhielt außerdem den Friedrich-Luft-Preis, der gemeinsam von Deutschlandfunk Kultur und der Berliner Morgenpost vergeben wird. Ihr Fokus lag damals besonders auch auf den emanzipierten, selbstbestimmten Frauen in Molières Stück.

Der Mann glaubt der Frau nicht mehr würdig zu sein

So eine ist Lessings Minna auch. Eine durch die Liebe zur patenten Feministin gewordene Frau, die weiß, was sie will: Nämlich ihren Verlobten Major von Tellheim zurück. Von dem hat sie, obwohl der Siebenjährige Krieg, vorbei ist, länger nichts gehört. Er hat seine Gründe. Wegen Korruptionsverdacht wurde er unehrenhaft entlassen, Geld hat er keins mehr und am Arm verwundet ist er auch. Er sei, befindet er, des sächsischen Edelfräuleins nicht mehr würdig. Die Rechnung hat er allerdings ohne Minna gemacht. Sie wird ihm in allerlei Wirrungen noch klarmachen, dass er kein Totalschaden ist. Und sie nicht Superwoman. In einem Gasthof treffen sie aufeinander.

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Zwei Zimmer hat Judith Oswald dafür auf der Bühne übereinandergestapelt, beides auberginenfarbig gefärbte Guckkästen, die abwechselnd beleuchtet werden. Die Wände oben sind kühl und glatt gekachelt, die unten sind samtig und weich ausgestattet. Oben wird meistens über Geld geredet, über Schuld und Ehre. Unten eher über Gefühle. Als quasi dritte Ebene kommen die eher ernsten Fatoni-Raps dazu, die das gegenwartsbezogene Assoziationsfeld aufmachen: Kapitalismus, Markt, Krieg. Das ist sehr schlau gemacht, weil die Aktualität damit einerseits nicht ausgelassen wird, sie andererseits aber schon durch die Form abgegrenzt ist vom eigentlichen Bühnengeschehen. Sodass dort ausreichend Raum ist für das, was die Regisseurin und ihr Ensemble am meisten interessiert: Die Menschen, ihre Interaktion, ihr Mit- und Gegen-, Über- und Untereinander.

Ein schlurfiger Diener und gigantische Plateauschuhe

Wie sie hier alle aufdrehen, sich auch körperlich verrenken und verschränken, das ist ein großer grotesker Spaß. Von der Kostümbildnerin Sibylle Wallum wurden sie in wunderlich bunte Kleider gesteckt, die sich einerseits an die historische Mode anlehnen, gleichzeitig aber auch seltsam staubig und etwas angegammelt wirken. Ähnlich verhält es sich mit den Figuren, springlebendig und leicht exzentrisch sind sie alle einerseits und gleichzeitig körperlich leicht verbogen, ein bisschen zu groß zu gerade oder zu krumm.

Am auffälligsten ist das bei den Nebenfiguren, bei Tellheims schlurfigem Diener Just zum Beispiel (Bernd Moss) oder beim beflissenen Wachtmeister Werner (Jeremy Mockridge). Der Wirt ist hier eine Wirtin (und gleichzeitig Kriegswaise mit zwei jüngeren Geschwistern namens Emilia und Nathan, gespielt wird sie von Lorena Handschin. Als Minnas Kammermädchen Franziska auf gigantischen Plateauschuhen ist erst vor wenigen Tagen Seyneb Saleh eingesprungen, als Ersatz für die erkrankte Franziska Machens. Hat hervorragend geklappt, wie überhaupt das ganze Zusammenspiel hier durch knackige Dialoge in Verbindung mit großartigem komödiantischen Timing besticht.

Großer Applaus nach der Premiere

Das Ringen um Augenhöhe und Liebe, das sich derweil zwischen dem Major und seiner Minna abspielt, kommt vor diesem Kontrast vergleichsweise unspektakulär daher, obwohl hier ja der eigentliche Storykern mit Tragikpotenzial liegt. Der Major ist bei Max Simonischek ein leidender Liebender, der sich aus übertriebenem Ehrgefühl zu Haltung zwingt. Nur dass es halt die falsche ist. Das wiederum deckt die von Natali Seelig gespielte pfiffige Minna listig auf, indem sie behauptet, sie selbst sei ebenfalls inzwischen verarmt. Parallel wird Tellheim vom König rehabilitiert und großzügig ausbezahlt. Jetzt wähnt er sich wieder würdig, weil überlegen. Minna aber treibt die Sache weiter und sagt, jetzt könne sie nicht mehr mit ihm sein, weil ja nun, mit umgekehrten Vorzeichen, wiederum keine Gleichheit hergestellt sei. Er kapiert und bemerkt den Spiegel, den sie ihm vorhält. Sie löst die List auf. Und zum Schluss: Happyend für alle und sehr großer Applaus vom Premierenpublikum.

Deutsches Theater, Schumannstr. 13a, Kartentelefon 28 441 225. Nächste Termine: 21.10., 25.10. und 27.10.