Film

Sönke Wortmanns „Der Vorname“ ist der Film zur Stunde

| Lesedauer: 5 Minuten
Peter Zander

Foto: 2018 Constantin Film Verleih GmbH

Ein zerstrittener Familienabend, das ist nur im Kino lustig. Hier aber können wir lernen: Wir müssen alle viel mehr streiten.

Es ist eine hübsche Pointe, wenn bei einem Film, der „Der Vorname“ heißt, im Vorspann mal nur die Rufnamen der Stars genannt werden. Aber das nimmt dem folgenden Drama, bei dem es um die leidige Frage geht, ob so ein Name bloß Schall und Rauch oder nicht doch Programm ist, ein wenig den Biss. Unter „Christoph Maria“ und „Florian David“ kann man sich noch vorstellen, wer gemeint ist, aber Caroline, Justus oder selbst Iris? Fehlanzeige.

Der Name, um den in diesem Film gestritten wird, ist allerdings schon ein anderer, eher seltener, und das aus gutem Grunde. „Adolf“ will ein werdender Vater seinen künftigen Spross nennen. Und löst damit bei seiner Familie erst mal Schock und Sprachlosigkeit aus, die dann schnell Vorwürfen und Beschimpfungen weichen. Adolf, das gehe gar nicht, da müsse man unweigerlich an Hitler denken, eine solche Namensgebung sei geschichtsvergessen. Ganz im Gegenteil, so die Verteidigung, auf diese Weise werde das Kind von Anfang an ganz anders politisiert und ein klareres Bewusstsein entwickeln.

Schon beim Aperitif fliegen die Fetzen

Es sollte eigentlich ein netter Familienabend werden, zu dem Elisabeth (Caroline Peters) und ihr Gatte Stephan (Christoph Maria Herbst) geladen haben. Um mal wieder Zeit zu verbringen mit Elisabeths kleinem Bruder Thomas (Florian David Fitz), dem werdenden Papa, seiner schwangeren Freundin Anna (Janina Uhse) und René (Justus von Dohnányi), einem engen Freund der Familie. Lang hat die Dame des Hauses dafür am Herd gestanden. Und dann fliegen schon beim Aperitif die Fetzen und zur Vorspeise fließen Tränen.

Wohlgemerkt: Man befindet sich hier in einer gut si­tu­ierten Villa unter gebildeten Menschen. Aber über die Jahre hat sich im familiären Mantel so viel Druck aufgestaut, dass es nur eine kleine Spitze braucht, um den Reifen platzen zu lassen. Da ist der linksliberale Germanistikprofessor, der immer alles besser weiß und auf den jungen Schwager immer etwas herabschaut, weil der noch nicht mal Abitur hat. Der ist dafür als Immobilienmakler viel erfolgreicher, was er dem Herrn Professor auch gern aufs Brot streicht.

Aber auch sonst gibt es latente Spannungen. Die Hausfrau knabbert daran, dass sie ihre akademische Karriere für die Familie geopfert hat. Und der musische Freund der Familie, der immer vermitteln will, wird nicht für ganz voll genommen, weil alle glauben, dass er ein verklemmter Schwuler ist. So platzen nach und nach lauter lange verdrängte und auf den Lippen verbissene Geheimnisse, Gerüchte und Vorurteile auf. Bald liegen sich alle in den Haaren. Um den Reiznamen Adolf geht es da schon längst nicht mehr.

Das klingt nach einem Stück von Yasmina Reza. Und ist tatsächlich eine französische Boulevardkomödie, allerdings von Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte. „Le prénom“ war seit der Uraufführung 2010 so erfolgreich, dass die Autoren das Stück selbst verfilmten. „Der Vorname“ ist nun aber nicht nur einfach ein deutsches Remake. Auch wenn die Dialoge des Originals geschliffen und gedrechselt waren, waren sie doch ganz auf die Pariser Verhältnisse zugeschnitten. Regisseur Sönke Wortmann war es von Anfang an wichtig, das Ganze auf deutsche Verhältnisse und Befindlichkeiten zu übertragen. Wobei nicht nur der Name Adolf mehr Reizpotenzial hat.

Bei diesem entlarvenden Aufeinanderprall von Egos und Eitelkeiten ist die Herkunft vom Theater unverkennbar. Auch wenn die Kamera höchst agil zwischen Wohnzimmer, Küche und Terrasse wandert und die Mutter (Iris Berben) hier nicht nur am Telefon präsent ist, sondern im fernen Urlaub zu sehen ist, lässt sich die kammerspielartige Reduktion auf einen einzigen Schauplatz nicht kaschieren. Das ist Wortmann in „Frau Müller muss weg“, seiner anderen Bühnenhit-Adaption, weit besser gelungen.

Dafür erweist sich der Erfolgsregisseur einmal mehr als versierter Schauspielerführer, der seine so unterschiedlichen Stars (bei denen die Nachnamen durchaus eine Rolle spielen) nicht nur zu Höchstleistungen anzutreiben weiß, sondern auch zu einem veritablen Ensemble zusammenschweißt. So herrlich ist im deutschen Kino lange nicht gestritten worden. Und endlich geht es dabei mal nicht, wie so oft in deutschen Filmkomödien, nur um Beziehungswehwehchen, sondern um Grundsätzliches.

Damit ist „Der Vorname“ auch so etwas wie der Film zur Stunde. Denn immer öfter wird moniert, dass in unseren digitalen Zeiten alle die Kunst des Diskutierens verlernen. Dass man seine Meinung allzu schnell und oberflächlich über soziale Netzwerke bildet, aber nur noch den Austausch mit Gleichgesinnten sucht und so lediglich das eigene Weltbild bestätigt, statt sich mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen. Ein Makel, dessen Folgen sich jetzt schon in der Politik abzeichnen.

Wir müssen, das lehrt uns diese Gesellschaftskomödie, die weit vielschichtiger ist, als sie scheint, einander wieder mehr zuhören. Wir müssen auch mehr miteinander streiten. Es muss dabei ja nicht um derartig Banales wie einen Vornamen gehen. Und man sollte dabei, das zeigt der Film auch, tunlichst bei Argumenten bleiben und nicht Fäuste einsetzen.