Berlin. Die puerto-ricanische Sängerin Meechot Marrero beginnt an der Deutschen Oper gerade ihre große Karriere. Ein Treffen.

Es gibt schon verschlungene Wege, um Opernsängerin zu werden. Sopranistin Meechot Marrero hält ihren Weg für eine gute Story, die sie unbedingt erzählen will, obwohl es eigentlich eine haarsträubende Geschichte ist. Zunächst hatte die Puerto-Ricanerin Biologie studiert. „Zum Ende des Studiums habe ich in einem Forschungslabor gearbeitet“, erzählt sie, „und habe mich angesteckt mit den Bakterien, an denen ich gerade forschte. Das waren sehr aggressive Bakterien, die sofort die Haut angegriffen haben.“ Den Ärzten war schnell klar, dass sie ins Krankenhaus muss. „Es muss sofort operiert werden, sagte man mir, sonst verliere ich meine Hand. Ich saß in der Aufnahme und war sehr nervös. In dieser Situation habe ich meiner Mutter gestanden, dass ich eigentlich nur Biologie studiert habe, weil ich mich nicht stark genug für ein Musikstudium fühlte.“

Zur Deutschen Oper Berlin gehört Meechot Marrero seit zwei Jahren und singt sich seither durch alle möglichen Partien. In Rolando Villazóns Neuinszenierung der „Fledermaus“ war sie kürzlich als die stimmliche Entdeckung gefeiert worden. Die zierliche Kammerzofe Adele hat mit ihrem Temperament und ihrer Stimmvirtuosität das Publikum und die Kritiker beeindruckt. Beiläufig hat Meechot Marrero ihren
29. Geburtstag gefeiert, wie sie erzählt. Im Haus war kurzfristig entschieden worden, dass sie die Premiere singen soll. Man glaubt dort an ihren Erfolg.

Wer die junge Sängerin in der Rolle der Adele hören will, kann das in dieser Saison noch einmal am Freitag tun. Aber weitere „Fledermaus“-Vorstellungen mit ihr folgen im November. Überhaupt ist die Sopranistin kreuz und quer im Repertoire zu finden, bis zum Saisonende ist sie auch noch als Frasquita in Bizets „Carmen“ zu erleben. „Normalerweise haben junge Sänger nicht so viel auf der Bühne zu tun“, sagt sie. „Ich empfinde es als Privileg, so viel Bühnenerfahrung sammeln zu können.“ Vor allem, so betont sie, es gemeinsam mit so exzellenten Sängern tun zu können. Nach wie vor versteht sich die Charlottenburger Oper als Sängeroper.

Studium am Konservatorium der Inselhauptstadt San Juan

Seit jenem Zwischenfall im Forschungslabor hat sich vieles verändert im Leben von Meechot Marrero. Was in der Biografie zuerst auffällt: Sie muss ein künstlerischer Überflieger sein. Sie hat danach im Konservatorium der Inselhauptstadt San Juan studiert, an Wettbewerben teilgenommen und Preise gewonnen und schnell beim Puerto Rico Symphony Orchestra debütiert. Der erste Karrieresprung führte sie gleich an die Yale School of Music. Nach einem Vorsingen erhielt sie in New York ein Stipendium der Opera Foundation, das sie nach Berlin brachte. Inzwischen hat der Förderkreis der Deutschen Oper ihr Stipendium übernommen. Die Karriere sei eine Stufenleiter, sagt sie: „Es fühlt sich an, als sei ich von Stufe eins gleich auf Stufe sieben geklettert. Es gibt viele junge Kollegen, die an ein solches Haus wie die Deutsche Oper wollen. Ich habe so ein Glück gehabt.“

Auf die Frage nach Träumen will sie sich nicht so recht einlassen. Natürlich gäbe es Träume von Rollen und anderen großen Häusern. Und sie träumt davon, irgendwann einmal eine Stiftung zur Förderung von jungen Sängern auf Puerto Rico zu gründen. Aber sie stört sich an dem Begriff Träume. „Ich habe weniger Träume, sondern Ziele. Ich habe ein Arbeitsethos.“ An der Stelle kommt die Wissenschaftlerin zum Vorschein. Es hat offenbar viel mit ihrer Familie zu tun. Sie stammt aus einem Lehrerelternhaus, die Mutter unterrichtet Naturwissenschaften, der Vater Musik – ein Schlagzeuger. „Sie haben mir beigebracht, dass man alles erreichen kann, wenn man hart arbeitet“, sagt sie: „Aber man muss sich darüber im Klaren sein, was man machen möchte.“

Der Kulturschock begann beim Einkaufen im Supermarkt

Und die Eltern haben ihr beigebracht, dass vieles nur im Team zu erreichen ist. Das ist eine Qualität, die sie jetzt im Opernalltag wiederentdeckt. „Oper ist ein großes Erlebnis, es funktioniert aber nur als Teamsport.“ Ihr Name klingt auch in den Ohren von Pu­er­to-Ri­ca­nern ungewöhnlich. Eigentlich ist Meechot ein thailändischer Nachname. Ihre Eltern gaben ihr den Namen in Erinnerung an eine enge Freundin. Meechot Marrero glaubt, dass ihr der ungewöhnliche Vorname als Künstlername entgegenkommt. Ansonsten betont sie, eine echte Puerto-Ricanerin zu sein. „Wir sind eine sehr kleine Insel, deshalb sind wir sehr stolz darauf, was wir geschaffen haben. Wir sind leidenschaftlich und arbeiten hart.“ Die Karibikinsel hat ungefähr so viele Einwohner wie Berlin, sie ist ein Außengebiet der USA, bezahlt wird in US-Dollar. Aber die Identität sei eine persönliche Frage, sagt Meechot Marrero. „Ich sage immer, dass ich von Puerto Rico komme. Meine Wurzeln und meine Kultur sind völlig anders als die im alten Amerika. Meine Muttersprache ist Spanisch, das Essen ist Latino, unsere Traditionen sind eher südamerikanisch.“

Als sie zum Studium nach Yale kam, erwischte sie der übliche Kulturschock des US-Alltags. „Man geht in einen Supermarkt und findet sich in dem Angebot überhaupt nicht zurecht“, sagt sie. Das ging ihr beim ersten Besuch bei Rossmann ähnlich, weil die Hautcreme ganz anders verpackt ist. Aber in Berlin, sagt sie, verlief die Anpassung bereits schneller. Sie lebt in Moabit. Und wenn sie frei hat, sagt sie, trifft sie nicht nur gern Freunde oder geht ins Kino, sondern dann kommt die Inselbewohnerin zum Vorschein. Sie liebt es, draußen zu sein, auch, um im Park ihre Partien zu studieren. „Ich gehe gerne zu Dussmann“, sagt sie. Zuletzt hat sie sich einen Klavierauszug von „Turandot“ besorgt. Im Februar 2019 debütiert sie als Liu in der Puccini-Oper. „Ich liebe es, dabei ein bisschen herumzustöbern, was ich künftig singen könnte.“

Mehr zum Thema:

Verdi in der Deutschen Oper: Noble Damen, umtriebige Herren

Warum angehende Opernsänger Lautschrift lernen müssen